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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

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Alumneumserinnerungen

Weiß nicht, obs anders worden
In dieser neue" Zeit.

kümmern -- so nannten wirs auf der 5i'renzschule in Dresden.
Es ist zwar keine schöne Bildung, lateinisch im Stamm und in
der Endung griechisch: almnn-^v -- anderwärts sagt man viel¬
leicht richtiger dafür Alumnat --, aber die Form ist mir einmal
lieb und vertraut, darum will ich dabei bleiben.

Alumncum -- was für Erinnerungen weckt dieses Wort in mir! Ich
sehe mich als zehn- oder elfjährigen Jungen im harten Winter früh halb nackt
in kalter, finstrer Kammer stehen und mit der Faust die Eisdecke des blechernen
Waschbeckens durchschlagen, ans dem ich mich waschen sollte, oder in heißer
Sommernacht in engem, dumpfigen Schlafsaal ans dem Bette liegen, von
Wanzen gepeinigt, oder an einem lustigen Frühlingstage beim Mittagessen
traurig an der Thür des Eßsaales stehen, zusehen, wies den andern schmeckt,
"kariren" -- zur Strafe für irgend eine Lumperei, die ich begangen haben
sollte. Das war schrecklich! Und dann sehe ich mich wieder als vierzehn¬
jährigen auf dem Chor der Kreuzkirche stehen, unmittelbar neben dem Kantor,
bei der Osterkantate, in der ich eben mit Herzklopfen die Sopranarie "solo"
gesungen habe, und den Kantor sich zu mir neigen, während er weiter diri-
girt, und mir ein paar Worte des Lobes zuflüstern, und dann wieder als
siebzehnjährigen selber am Dirigentenpulte stehen, den Taktstock schwingen, und
rings um mich eine Schar von fünfzig Jungen, die meinem Taktstock Pariren
und eines jener wunderbaren Ul^Moat kwiiun, nos clowinnin des alten Kreuz¬
schulkantors Homilius herunterhingen. Das war wonnig! Das schönste, was
mir träumen kann, und was mir immer wieder einmal träumt, ist, daß ich
auf dem Chor der Kreuzkirche stehe und eine Motette dirigire.

Wir waren unser zweiunddreißig und hausten in der alten Kreuz¬
schule, die noch heute neben der Kreuzkirche steht, aber, wie so viele alte
Schulhäuser, jetzt dnrch einen neuen Schulpalast ersetzt ist. Unten und im
ersten Stock war die Schule, oben, im zweiten, das übrigens schon Dach¬
geschoß war (denn wenn wir zum Fenster hinaussahen, sahen Nur auf die
Dachrinne), war das Alumneum. Als Wohnräume sollten uns fünf "Zellen"




Alumneumserinnerungen

Weiß nicht, obs anders worden
In dieser neue» Zeit.

kümmern — so nannten wirs auf der 5i'renzschule in Dresden.
Es ist zwar keine schöne Bildung, lateinisch im Stamm und in
der Endung griechisch: almnn-^v — anderwärts sagt man viel¬
leicht richtiger dafür Alumnat —, aber die Form ist mir einmal
lieb und vertraut, darum will ich dabei bleiben.

Alumncum — was für Erinnerungen weckt dieses Wort in mir! Ich
sehe mich als zehn- oder elfjährigen Jungen im harten Winter früh halb nackt
in kalter, finstrer Kammer stehen und mit der Faust die Eisdecke des blechernen
Waschbeckens durchschlagen, ans dem ich mich waschen sollte, oder in heißer
Sommernacht in engem, dumpfigen Schlafsaal ans dem Bette liegen, von
Wanzen gepeinigt, oder an einem lustigen Frühlingstage beim Mittagessen
traurig an der Thür des Eßsaales stehen, zusehen, wies den andern schmeckt,
„kariren" — zur Strafe für irgend eine Lumperei, die ich begangen haben
sollte. Das war schrecklich! Und dann sehe ich mich wieder als vierzehn¬
jährigen auf dem Chor der Kreuzkirche stehen, unmittelbar neben dem Kantor,
bei der Osterkantate, in der ich eben mit Herzklopfen die Sopranarie „solo"
gesungen habe, und den Kantor sich zu mir neigen, während er weiter diri-
girt, und mir ein paar Worte des Lobes zuflüstern, und dann wieder als
siebzehnjährigen selber am Dirigentenpulte stehen, den Taktstock schwingen, und
rings um mich eine Schar von fünfzig Jungen, die meinem Taktstock Pariren
und eines jener wunderbaren Ul^Moat kwiiun, nos clowinnin des alten Kreuz¬
schulkantors Homilius herunterhingen. Das war wonnig! Das schönste, was
mir träumen kann, und was mir immer wieder einmal träumt, ist, daß ich
auf dem Chor der Kreuzkirche stehe und eine Motette dirigire.

Wir waren unser zweiunddreißig und hausten in der alten Kreuz¬
schule, die noch heute neben der Kreuzkirche steht, aber, wie so viele alte
Schulhäuser, jetzt dnrch einen neuen Schulpalast ersetzt ist. Unten und im
ersten Stock war die Schule, oben, im zweiten, das übrigens schon Dach¬
geschoß war (denn wenn wir zum Fenster hinaussahen, sahen Nur auf die
Dachrinne), war das Alumneum. Als Wohnräume sollten uns fünf „Zellen"


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[0093] [Abbildung] Alumneumserinnerungen Weiß nicht, obs anders worden In dieser neue» Zeit. kümmern — so nannten wirs auf der 5i'renzschule in Dresden. Es ist zwar keine schöne Bildung, lateinisch im Stamm und in der Endung griechisch: almnn-^v — anderwärts sagt man viel¬ leicht richtiger dafür Alumnat —, aber die Form ist mir einmal lieb und vertraut, darum will ich dabei bleiben. Alumncum — was für Erinnerungen weckt dieses Wort in mir! Ich sehe mich als zehn- oder elfjährigen Jungen im harten Winter früh halb nackt in kalter, finstrer Kammer stehen und mit der Faust die Eisdecke des blechernen Waschbeckens durchschlagen, ans dem ich mich waschen sollte, oder in heißer Sommernacht in engem, dumpfigen Schlafsaal ans dem Bette liegen, von Wanzen gepeinigt, oder an einem lustigen Frühlingstage beim Mittagessen traurig an der Thür des Eßsaales stehen, zusehen, wies den andern schmeckt, „kariren" — zur Strafe für irgend eine Lumperei, die ich begangen haben sollte. Das war schrecklich! Und dann sehe ich mich wieder als vierzehn¬ jährigen auf dem Chor der Kreuzkirche stehen, unmittelbar neben dem Kantor, bei der Osterkantate, in der ich eben mit Herzklopfen die Sopranarie „solo" gesungen habe, und den Kantor sich zu mir neigen, während er weiter diri- girt, und mir ein paar Worte des Lobes zuflüstern, und dann wieder als siebzehnjährigen selber am Dirigentenpulte stehen, den Taktstock schwingen, und rings um mich eine Schar von fünfzig Jungen, die meinem Taktstock Pariren und eines jener wunderbaren Ul^Moat kwiiun, nos clowinnin des alten Kreuz¬ schulkantors Homilius herunterhingen. Das war wonnig! Das schönste, was mir träumen kann, und was mir immer wieder einmal träumt, ist, daß ich auf dem Chor der Kreuzkirche stehe und eine Motette dirigire. Wir waren unser zweiunddreißig und hausten in der alten Kreuz¬ schule, die noch heute neben der Kreuzkirche steht, aber, wie so viele alte Schulhäuser, jetzt dnrch einen neuen Schulpalast ersetzt ist. Unten und im ersten Stock war die Schule, oben, im zweiten, das übrigens schon Dach¬ geschoß war (denn wenn wir zum Fenster hinaussahen, sahen Nur auf die Dachrinne), war das Alumneum. Als Wohnräume sollten uns fünf „Zellen"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/93>, abgerufen am 28.04.2024.