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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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Die Mnnsche des höhern Tehrerstandes in Preußen

mehr nach dem Beispiel der Hochschullehrer richtete, bei denen meines Wissens
solche Wünsche in Bezug auf Rangordnung 5., 4., 3. oder 2. Klasse nicht zu
Tage treten und die trotzdem in der allgemeinen Hochachtung als Hüter und
Mehrer der Wissenschaft nicht zurückstehen, vielmehr bei allen Gebildeten sich
der größten Wertschätzung erfreuen, auch wenn sie nicht gerade zu den Bahn¬
brechern ans ihrem Gebiete gehören. Ebenso steht es mit unsern Ärzten und
Geistlichen. Jedenfalls scheinen mir die dem Lehrerstande keinen Dienst ge¬
leistet zu haben, die vor einigen Jahren dnrch ihr fortgesetztes Drängen dem
preußischen Oberlehrer endlich einen bestimmten Staatsbeamten"rang" aus¬
gewirkt haben. Nach Idealismus schmeckt das nicht, eher nach Büreau-
kratismus.


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Aus der amtlich bestätigten Nachricht, die Regierung wolle das höhere
Schulwesen durch eine besondre Kommission untersuchen lassen, haben die
Vereine der Lehrer höherer Lehranstalten Anlaß genommen, auf einer am
17. August zu Berlin abgehaltenen Nbgeordnetenversammlnng neunundzwanzig
Wünsche zu vereinbaren, die jener Kommission vorgelegt werden sollen. Als
wir einen Bericht darüber Ende September in der Zeitung fanden, fingen wir
mit Begierde an zu lesen, in der Erwartung, die Herren würden der Regie¬
rung und dem Volke das Ende eines Fadens darreichen, an dem wir uns aus
dem Labyrinth der Schnlreformvorschläge auf einen gebahnten Weg heraus¬
finden könnten. Mit bitterer Enttäuschung jedoch wurden wir gar bald inne,
daß sie mir von und für sich selbst sprechen und für die Schule keinen Wunsch
übrig haben. In unsrer rücksichtslos realistischen Zeit erwartet ja niemand
die Überschwänglichkeiten des pädagogischen Jahrhunderts, dessen große Männer
anbetend vor dem Geheimnis der Kindes- und Jünglingsseele standen und
über dem heißen Bemühen, der dnrch leibliche Mängel gefesselten Psyche die
Schwingen zu lösen und ihr den Fing zu den ewigen Höhen zu weisen, sich
selbst samt ihrer Leibesnahruug und Notdurft vergaßen, anch wohl den Rock
zu bürsten und das Haar zu kämmen versäumten. Heutige preußische Ne-
gieruugsräte mögen verwundert den Kopf schütteln, wenn sie einmal die mehr
apostolisch als bureaukratisch klingenden Ansprachen zu Gesicht bekommen, die
ihre Vorgänger nach der Schlacht bei Jena an Schulamtskandidatcn richteten,
die sich zur Wallfahrt nach Jfferteu anschickten. Nein, niemand mutet heute
den Lehrern mehr zu, daß sie sich selbst vergessen sollen. Aber neunund¬
zwanzig Wünsche, und kein einziger für die Schule, für die Schüler darunter,
das ist selbst in unsrer Zeit geordnetster, d. h. allemal bei der eignen
Person anfangender Nächstenliebe entschieden zu wenig. Ich glaube nun
allerdings nicht, daß jene Abgeordnetenversammlnng die Meinung der Mehrzahl
der Lehrer ausgedrückt habe, und sinde nieine Ansicht in Ur. 41 der Grenz-


Die Mnnsche des höhern Tehrerstandes in Preußen

mehr nach dem Beispiel der Hochschullehrer richtete, bei denen meines Wissens
solche Wünsche in Bezug auf Rangordnung 5., 4., 3. oder 2. Klasse nicht zu
Tage treten und die trotzdem in der allgemeinen Hochachtung als Hüter und
Mehrer der Wissenschaft nicht zurückstehen, vielmehr bei allen Gebildeten sich
der größten Wertschätzung erfreuen, auch wenn sie nicht gerade zu den Bahn¬
brechern ans ihrem Gebiete gehören. Ebenso steht es mit unsern Ärzten und
Geistlichen. Jedenfalls scheinen mir die dem Lehrerstande keinen Dienst ge¬
leistet zu haben, die vor einigen Jahren dnrch ihr fortgesetztes Drängen dem
preußischen Oberlehrer endlich einen bestimmten Staatsbeamten„rang" aus¬
gewirkt haben. Nach Idealismus schmeckt das nicht, eher nach Büreau-
kratismus.


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Aus der amtlich bestätigten Nachricht, die Regierung wolle das höhere
Schulwesen durch eine besondre Kommission untersuchen lassen, haben die
Vereine der Lehrer höherer Lehranstalten Anlaß genommen, auf einer am
17. August zu Berlin abgehaltenen Nbgeordnetenversammlnng neunundzwanzig
Wünsche zu vereinbaren, die jener Kommission vorgelegt werden sollen. Als
wir einen Bericht darüber Ende September in der Zeitung fanden, fingen wir
mit Begierde an zu lesen, in der Erwartung, die Herren würden der Regie¬
rung und dem Volke das Ende eines Fadens darreichen, an dem wir uns aus
dem Labyrinth der Schnlreformvorschläge auf einen gebahnten Weg heraus¬
finden könnten. Mit bitterer Enttäuschung jedoch wurden wir gar bald inne,
daß sie mir von und für sich selbst sprechen und für die Schule keinen Wunsch
übrig haben. In unsrer rücksichtslos realistischen Zeit erwartet ja niemand
die Überschwänglichkeiten des pädagogischen Jahrhunderts, dessen große Männer
anbetend vor dem Geheimnis der Kindes- und Jünglingsseele standen und
über dem heißen Bemühen, der dnrch leibliche Mängel gefesselten Psyche die
Schwingen zu lösen und ihr den Fing zu den ewigen Höhen zu weisen, sich
selbst samt ihrer Leibesnahruug und Notdurft vergaßen, anch wohl den Rock
zu bürsten und das Haar zu kämmen versäumten. Heutige preußische Ne-
gieruugsräte mögen verwundert den Kopf schütteln, wenn sie einmal die mehr
apostolisch als bureaukratisch klingenden Ansprachen zu Gesicht bekommen, die
ihre Vorgänger nach der Schlacht bei Jena an Schulamtskandidatcn richteten,
die sich zur Wallfahrt nach Jfferteu anschickten. Nein, niemand mutet heute
den Lehrern mehr zu, daß sie sich selbst vergessen sollen. Aber neunund¬
zwanzig Wünsche, und kein einziger für die Schule, für die Schüler darunter,
das ist selbst in unsrer Zeit geordnetster, d. h. allemal bei der eignen
Person anfangender Nächstenliebe entschieden zu wenig. Ich glaube nun
allerdings nicht, daß jene Abgeordnetenversammlnng die Meinung der Mehrzahl
der Lehrer ausgedrückt habe, und sinde nieine Ansicht in Ur. 41 der Grenz-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/174>, abgerufen am 27.04.2024.