Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite


Das allgemeine Wahlrecht
(Schluß)

in 14. März begannen in Berlin die Unruhen, die, täglich wach¬
send, den König am 13. veranlaßten, den Vereinigten Landtag
schon auf den 2. April zu berufen, die Preßfreiheit zu bewilligen
und eine Umgestaltung der preußischen und der deutschen Ver¬
fassung in Aussicht zu stelle". Der Jubel, womit die vor dein
Schloß versammelte Menge diese Zusagen aufnahm, wurde jedoch auf eine
verhängnisvolle Weise unterbrochen; es kam zu einem neuen, erbitterten Kampfe
zwischen Soldaten und Bürgern, der infolge der Schwäche des Königs ein
unerwartetes Ende nahm: die siegreichen Truppen zogen sich zurück und über¬
ließen der Menge die Herrschaft in den Straße". Diese Zaghaftigkeit des Königs
mußte über den Gang der nächsten Ereignisse entscheiden. Denn jetzt gaben
auch die, die bis dahin einer maßvollen Reform das Wort geredet hatten,
den verlassenen Posten ans. Als Beispiel dieses in weiten Kreisen sich voll¬
ziehenden Umschwunges mag die Kölnische Zeitung dienen, die bis zum 18. März
mit Nachdruck für den Ausbau der Verfassung auf den bestehenden Grundlagen
eingetreten war. "In dem Wunsche, heftigem Erschütterungen zuvorzukommen,"
empfahl sie nunmehr das allgemeine Wahlrecht.

Am 24. März versammelten sich im Rathause zu Köln die Vertreter vou
achtzehn rheinischen Städten, darunter manche, die in frühern Beschlüssen einen
gemäßigten Standpunkt eingenommen hatten. Ans ihrer Beratung ging eine
Adresse an den König hervor, worin eine Volksvertretung gefordert wurde,
"frei gewählt vom Volke aus dem Volke, ohne Rücksicht auf die bisherige oder
eine andre Einteilung in Stände, mit möglichst niedrigem Zensus für die
aktive Wahlfähigkeit, ohne Zensus für die passive." Jener möglichst niedrige
Zensus war jedoch einigen der Vertreter schon zu viel, und der Gemeinderat


Grenzboten IV 1890 H6


Das allgemeine Wahlrecht
(Schluß)

in 14. März begannen in Berlin die Unruhen, die, täglich wach¬
send, den König am 13. veranlaßten, den Vereinigten Landtag
schon auf den 2. April zu berufen, die Preßfreiheit zu bewilligen
und eine Umgestaltung der preußischen und der deutschen Ver¬
fassung in Aussicht zu stelle». Der Jubel, womit die vor dein
Schloß versammelte Menge diese Zusagen aufnahm, wurde jedoch auf eine
verhängnisvolle Weise unterbrochen; es kam zu einem neuen, erbitterten Kampfe
zwischen Soldaten und Bürgern, der infolge der Schwäche des Königs ein
unerwartetes Ende nahm: die siegreichen Truppen zogen sich zurück und über¬
ließen der Menge die Herrschaft in den Straße«. Diese Zaghaftigkeit des Königs
mußte über den Gang der nächsten Ereignisse entscheiden. Denn jetzt gaben
auch die, die bis dahin einer maßvollen Reform das Wort geredet hatten,
den verlassenen Posten ans. Als Beispiel dieses in weiten Kreisen sich voll¬
ziehenden Umschwunges mag die Kölnische Zeitung dienen, die bis zum 18. März
mit Nachdruck für den Ausbau der Verfassung auf den bestehenden Grundlagen
eingetreten war. „In dem Wunsche, heftigem Erschütterungen zuvorzukommen,"
empfahl sie nunmehr das allgemeine Wahlrecht.

Am 24. März versammelten sich im Rathause zu Köln die Vertreter vou
achtzehn rheinischen Städten, darunter manche, die in frühern Beschlüssen einen
gemäßigten Standpunkt eingenommen hatten. Ans ihrer Beratung ging eine
Adresse an den König hervor, worin eine Volksvertretung gefordert wurde,
„frei gewählt vom Volke aus dem Volke, ohne Rücksicht auf die bisherige oder
eine andre Einteilung in Stände, mit möglichst niedrigem Zensus für die
aktive Wahlfähigkeit, ohne Zensus für die passive." Jener möglichst niedrige
Zensus war jedoch einigen der Vertreter schon zu viel, und der Gemeinderat


Grenzboten IV 1890 H6
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0209" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/208788"/>
            <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341851_208578/figures/grenzboten_341851_208578_208788_000.jpg"/><lb/>
          </div>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Das allgemeine Wahlrecht<lb/>
(Schluß) </head><lb/>
          <p xml:id="ID_580"> in 14. März begannen in Berlin die Unruhen, die, täglich wach¬<lb/>
send, den König am 13. veranlaßten, den Vereinigten Landtag<lb/>
schon auf den 2. April zu berufen, die Preßfreiheit zu bewilligen<lb/>
und eine Umgestaltung der preußischen und der deutschen Ver¬<lb/>
fassung in Aussicht zu stelle». Der Jubel, womit die vor dein<lb/>
Schloß versammelte Menge diese Zusagen aufnahm, wurde jedoch auf eine<lb/>
verhängnisvolle Weise unterbrochen; es kam zu einem neuen, erbitterten Kampfe<lb/>
zwischen Soldaten und Bürgern, der infolge der Schwäche des Königs ein<lb/>
unerwartetes Ende nahm: die siegreichen Truppen zogen sich zurück und über¬<lb/>
ließen der Menge die Herrschaft in den Straße«. Diese Zaghaftigkeit des Königs<lb/>
mußte über den Gang der nächsten Ereignisse entscheiden. Denn jetzt gaben<lb/>
auch die, die bis dahin einer maßvollen Reform das Wort geredet hatten,<lb/>
den verlassenen Posten ans. Als Beispiel dieses in weiten Kreisen sich voll¬<lb/>
ziehenden Umschwunges mag die Kölnische Zeitung dienen, die bis zum 18. März<lb/>
mit Nachdruck für den Ausbau der Verfassung auf den bestehenden Grundlagen<lb/>
eingetreten war. &#x201E;In dem Wunsche, heftigem Erschütterungen zuvorzukommen,"<lb/>
empfahl sie nunmehr das allgemeine Wahlrecht.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_581" next="#ID_582"> Am 24. März versammelten sich im Rathause zu Köln die Vertreter vou<lb/>
achtzehn rheinischen Städten, darunter manche, die in frühern Beschlüssen einen<lb/>
gemäßigten Standpunkt eingenommen hatten. Ans ihrer Beratung ging eine<lb/>
Adresse an den König hervor, worin eine Volksvertretung gefordert wurde,<lb/>
&#x201E;frei gewählt vom Volke aus dem Volke, ohne Rücksicht auf die bisherige oder<lb/>
eine andre Einteilung in Stände, mit möglichst niedrigem Zensus für die<lb/>
aktive Wahlfähigkeit, ohne Zensus für die passive." Jener möglichst niedrige<lb/>
Zensus war jedoch einigen der Vertreter schon zu viel, und der Gemeinderat</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten IV 1890 H6</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0209] [Abbildung] Das allgemeine Wahlrecht (Schluß) in 14. März begannen in Berlin die Unruhen, die, täglich wach¬ send, den König am 13. veranlaßten, den Vereinigten Landtag schon auf den 2. April zu berufen, die Preßfreiheit zu bewilligen und eine Umgestaltung der preußischen und der deutschen Ver¬ fassung in Aussicht zu stelle». Der Jubel, womit die vor dein Schloß versammelte Menge diese Zusagen aufnahm, wurde jedoch auf eine verhängnisvolle Weise unterbrochen; es kam zu einem neuen, erbitterten Kampfe zwischen Soldaten und Bürgern, der infolge der Schwäche des Königs ein unerwartetes Ende nahm: die siegreichen Truppen zogen sich zurück und über¬ ließen der Menge die Herrschaft in den Straße«. Diese Zaghaftigkeit des Königs mußte über den Gang der nächsten Ereignisse entscheiden. Denn jetzt gaben auch die, die bis dahin einer maßvollen Reform das Wort geredet hatten, den verlassenen Posten ans. Als Beispiel dieses in weiten Kreisen sich voll¬ ziehenden Umschwunges mag die Kölnische Zeitung dienen, die bis zum 18. März mit Nachdruck für den Ausbau der Verfassung auf den bestehenden Grundlagen eingetreten war. „In dem Wunsche, heftigem Erschütterungen zuvorzukommen," empfahl sie nunmehr das allgemeine Wahlrecht. Am 24. März versammelten sich im Rathause zu Köln die Vertreter vou achtzehn rheinischen Städten, darunter manche, die in frühern Beschlüssen einen gemäßigten Standpunkt eingenommen hatten. Ans ihrer Beratung ging eine Adresse an den König hervor, worin eine Volksvertretung gefordert wurde, „frei gewählt vom Volke aus dem Volke, ohne Rücksicht auf die bisherige oder eine andre Einteilung in Stände, mit möglichst niedrigem Zensus für die aktive Wahlfähigkeit, ohne Zensus für die passive." Jener möglichst niedrige Zensus war jedoch einigen der Vertreter schon zu viel, und der Gemeinderat Grenzboten IV 1890 H6

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/209
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/209>, abgerufen am 27.04.2024.