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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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Römische Frühlingsbilder

Figuren wahrhaft naiv reden zu lassen; der Rittmeister charakterisirt sich selbst
oft in genialer Weise, Die große Verschiedenheit der Reden des Physikus von
denen Jageteufels haben Nur schon hervorgehoben. Aber weniger wäre mehr
gewesen. Dazu kommen noch öfters starke Zumutungen an den Glauben des
Lesers. Die bekannte Lnstspielvorsehung macht sich einigemale empfindlich
bemerkbar; so wenn Hildegarde gerade in dem Augenblick dazu kommt, wo
Ulrich Lisbeth küßt, wodurch das Mißverständnis entsteht, ans dem die ganze
folgende Romnnhandlung beruht. Oder bei der Kneiperei das Duell -- kaum
glaublich! Oder ein andrer Verstoß gegen unser Wirklichkeitsgefiihl: der Sancho
Pansa des Romans, der Küster Reff, der als ein halbverkommener Trunken¬
bold geschildert wird, trägt nach der Kneiperei den schlafenden Rittmeister auf dem
Rücken davon, wozu doch eine Niesenleibeskraft gehörte, die Reff nicht hat. Aber
diese Schwächen haben doch unsern Genuß an dem Buche nicht trüben können.
Gegen den Schluß hin steigert sich das Pathos der Dichtung und der Ernst
der Handlung, die mit der Aussicht auf die bevorstehenden Befreiungskriege
schließt, in der Weise, daß alle Bedenken in der mächtigsten Teilnahme unter¬
gehen, und daß man den "Eisernen Rittmeister" mit dem Gefühl ans der
Hand legt, das Epos des Preußentums gelesen zu haben.


Moritz Reck er


Römische jrühlingsbilder
V Adolf Stern on
7. Das Pantheon

le eigentümlichste und zauberhafteste Wirkung Roms beruht, wie
jedermann seit lange aus Büchern weiß, aber in glücklicher Wirk¬
lichkeit neu an sich erfährt, ans der Stärke der Gegensätze, ans
der genieinsamen Größe der Denkmale grnndverschiedner Zeiten,
auf der Fülle vergangnen, aber uns doch unvergänglichen Lebens,
die sich in alles Leben der Gegenwart hineindrängt. Auch wer mir Tage
in der ewigen Stadt verweilt, wird natürlich von dem Gegensatze der lebens¬
vollen Hauptstadt und ihrer schweigsamen, feierlichen Campagnaumgebung, von
der Macht des Kolosseums und seiner Nachbarschaft von antiken Triumphbögen,
Tempeltrümmern, Säulen und Mauerresteu und wiederum von der Nieseiigröße
des Petersplatzes mit Peterskirche und Vatikan, Obelisken, Brunnen und Säulen¬
gängen ergriffen. Bei längerem Verweilen vertiefen sich nicht nur diese ersten
großen Eindrücke, die am Ende jeder davonträgt, sie werden anch unablässig


Römische Frühlingsbilder

Figuren wahrhaft naiv reden zu lassen; der Rittmeister charakterisirt sich selbst
oft in genialer Weise, Die große Verschiedenheit der Reden des Physikus von
denen Jageteufels haben Nur schon hervorgehoben. Aber weniger wäre mehr
gewesen. Dazu kommen noch öfters starke Zumutungen an den Glauben des
Lesers. Die bekannte Lnstspielvorsehung macht sich einigemale empfindlich
bemerkbar; so wenn Hildegarde gerade in dem Augenblick dazu kommt, wo
Ulrich Lisbeth küßt, wodurch das Mißverständnis entsteht, ans dem die ganze
folgende Romnnhandlung beruht. Oder bei der Kneiperei das Duell — kaum
glaublich! Oder ein andrer Verstoß gegen unser Wirklichkeitsgefiihl: der Sancho
Pansa des Romans, der Küster Reff, der als ein halbverkommener Trunken¬
bold geschildert wird, trägt nach der Kneiperei den schlafenden Rittmeister auf dem
Rücken davon, wozu doch eine Niesenleibeskraft gehörte, die Reff nicht hat. Aber
diese Schwächen haben doch unsern Genuß an dem Buche nicht trüben können.
Gegen den Schluß hin steigert sich das Pathos der Dichtung und der Ernst
der Handlung, die mit der Aussicht auf die bevorstehenden Befreiungskriege
schließt, in der Weise, daß alle Bedenken in der mächtigsten Teilnahme unter¬
gehen, und daß man den „Eisernen Rittmeister" mit dem Gefühl ans der
Hand legt, das Epos des Preußentums gelesen zu haben.


Moritz Reck er


Römische jrühlingsbilder
V Adolf Stern on
7. Das Pantheon

le eigentümlichste und zauberhafteste Wirkung Roms beruht, wie
jedermann seit lange aus Büchern weiß, aber in glücklicher Wirk¬
lichkeit neu an sich erfährt, ans der Stärke der Gegensätze, ans
der genieinsamen Größe der Denkmale grnndverschiedner Zeiten,
auf der Fülle vergangnen, aber uns doch unvergänglichen Lebens,
die sich in alles Leben der Gegenwart hineindrängt. Auch wer mir Tage
in der ewigen Stadt verweilt, wird natürlich von dem Gegensatze der lebens¬
vollen Hauptstadt und ihrer schweigsamen, feierlichen Campagnaumgebung, von
der Macht des Kolosseums und seiner Nachbarschaft von antiken Triumphbögen,
Tempeltrümmern, Säulen und Mauerresteu und wiederum von der Nieseiigröße
des Petersplatzes mit Peterskirche und Vatikan, Obelisken, Brunnen und Säulen¬
gängen ergriffen. Bei längerem Verweilen vertiefen sich nicht nur diese ersten
großen Eindrücke, die am Ende jeder davonträgt, sie werden anch unablässig


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[0343] Römische Frühlingsbilder Figuren wahrhaft naiv reden zu lassen; der Rittmeister charakterisirt sich selbst oft in genialer Weise, Die große Verschiedenheit der Reden des Physikus von denen Jageteufels haben Nur schon hervorgehoben. Aber weniger wäre mehr gewesen. Dazu kommen noch öfters starke Zumutungen an den Glauben des Lesers. Die bekannte Lnstspielvorsehung macht sich einigemale empfindlich bemerkbar; so wenn Hildegarde gerade in dem Augenblick dazu kommt, wo Ulrich Lisbeth küßt, wodurch das Mißverständnis entsteht, ans dem die ganze folgende Romnnhandlung beruht. Oder bei der Kneiperei das Duell — kaum glaublich! Oder ein andrer Verstoß gegen unser Wirklichkeitsgefiihl: der Sancho Pansa des Romans, der Küster Reff, der als ein halbverkommener Trunken¬ bold geschildert wird, trägt nach der Kneiperei den schlafenden Rittmeister auf dem Rücken davon, wozu doch eine Niesenleibeskraft gehörte, die Reff nicht hat. Aber diese Schwächen haben doch unsern Genuß an dem Buche nicht trüben können. Gegen den Schluß hin steigert sich das Pathos der Dichtung und der Ernst der Handlung, die mit der Aussicht auf die bevorstehenden Befreiungskriege schließt, in der Weise, daß alle Bedenken in der mächtigsten Teilnahme unter¬ gehen, und daß man den „Eisernen Rittmeister" mit dem Gefühl ans der Hand legt, das Epos des Preußentums gelesen zu haben. Moritz Reck er Römische jrühlingsbilder V Adolf Stern on 7. Das Pantheon le eigentümlichste und zauberhafteste Wirkung Roms beruht, wie jedermann seit lange aus Büchern weiß, aber in glücklicher Wirk¬ lichkeit neu an sich erfährt, ans der Stärke der Gegensätze, ans der genieinsamen Größe der Denkmale grnndverschiedner Zeiten, auf der Fülle vergangnen, aber uns doch unvergänglichen Lebens, die sich in alles Leben der Gegenwart hineindrängt. Auch wer mir Tage in der ewigen Stadt verweilt, wird natürlich von dem Gegensatze der lebens¬ vollen Hauptstadt und ihrer schweigsamen, feierlichen Campagnaumgebung, von der Macht des Kolosseums und seiner Nachbarschaft von antiken Triumphbögen, Tempeltrümmern, Säulen und Mauerresteu und wiederum von der Nieseiigröße des Petersplatzes mit Peterskirche und Vatikan, Obelisken, Brunnen und Säulen¬ gängen ergriffen. Bei längerem Verweilen vertiefen sich nicht nur diese ersten großen Eindrücke, die am Ende jeder davonträgt, sie werden anch unablässig

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/343>, abgerufen am 27.04.2024.