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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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Geschichten aus Siebenbürgen

le Teilnahme um dem Geschicke der unter fremder Herrschaft
lebenden deutschen Stämme hat sich im Mutterlande selten zu
der Schwärmerei gesteigert, die man den italienischen, den magya¬
rischen, vor allen den polnischen "Freiheitskämpfern" entgegen¬
brachte. Das ist, wir sagen das ohne Ironie, kein Wunder.
Die Elsässer hatten sich längst von uns losgesagt, und weder die Art der
Deutschen in den Elbherzogtümeru, in den russischen Ostseeprovinzen und ans
dem Sachsenboden, noch die Frngeu, um die es sich bei ihnen handelt, sind
geeignet, die Einbildungskraft zu entzünden. Die Leute sind keine Verschwörer,
keine "brillanten" Reiter, kleiden sich nicht theatralisch, verstehen es uicht,
Tollkühnheit für Zwecke der Reklame auszunutzen; sie kämpfen um ihr Volks-
tum, zäh und nüchtern. Das ist recht anerkennenswert, aber wenig interessant
für romantische Gemüter. Und dann die so langweiligen, so schwer verständ¬
lichen staatsrechtlichen Fragen! Und abgesehen von dieser Seite: die Schleswig-
Holsteiner sind glücklich von Dänemark abgelöst, aber was soll Deutschland
für Livländer, Kurlünder, siebenbürger Sachsen thun? Ihnen die sogenannte
moralische Unterstützung widmen, allein auch das mit aller Vorsicht, da es
ihnen unter Umstünden mehr schaden als nützen kann. Wir verfolgen mit
bitterm Schmerze jeden Fortschritt in der Unterdrückung des Deutschtums in
jenen fernen Gauen, aber die Brüder sind zu weit verschlagen, als daß wir
ihnen Hilfe leisten könnten.

Und sie selbst verzichten, wie es scheint, allmählich darauf, unsre Teil¬
nahme zu erregen. Die vor wenigen Jahren noch umfangreiche baltische und
sächsische publizistische Litteratur wird zusehends magerer. Was nützt es auch,
immer wieder vor Gott und der deutscheu Nation Verwahrung einzulegen


Grenzboten IV 1890 44


Geschichten aus Siebenbürgen

le Teilnahme um dem Geschicke der unter fremder Herrschaft
lebenden deutschen Stämme hat sich im Mutterlande selten zu
der Schwärmerei gesteigert, die man den italienischen, den magya¬
rischen, vor allen den polnischen „Freiheitskämpfern" entgegen¬
brachte. Das ist, wir sagen das ohne Ironie, kein Wunder.
Die Elsässer hatten sich längst von uns losgesagt, und weder die Art der
Deutschen in den Elbherzogtümeru, in den russischen Ostseeprovinzen und ans
dem Sachsenboden, noch die Frngeu, um die es sich bei ihnen handelt, sind
geeignet, die Einbildungskraft zu entzünden. Die Leute sind keine Verschwörer,
keine „brillanten" Reiter, kleiden sich nicht theatralisch, verstehen es uicht,
Tollkühnheit für Zwecke der Reklame auszunutzen; sie kämpfen um ihr Volks-
tum, zäh und nüchtern. Das ist recht anerkennenswert, aber wenig interessant
für romantische Gemüter. Und dann die so langweiligen, so schwer verständ¬
lichen staatsrechtlichen Fragen! Und abgesehen von dieser Seite: die Schleswig-
Holsteiner sind glücklich von Dänemark abgelöst, aber was soll Deutschland
für Livländer, Kurlünder, siebenbürger Sachsen thun? Ihnen die sogenannte
moralische Unterstützung widmen, allein auch das mit aller Vorsicht, da es
ihnen unter Umstünden mehr schaden als nützen kann. Wir verfolgen mit
bitterm Schmerze jeden Fortschritt in der Unterdrückung des Deutschtums in
jenen fernen Gauen, aber die Brüder sind zu weit verschlagen, als daß wir
ihnen Hilfe leisten könnten.

Und sie selbst verzichten, wie es scheint, allmählich darauf, unsre Teil¬
nahme zu erregen. Die vor wenigen Jahren noch umfangreiche baltische und
sächsische publizistische Litteratur wird zusehends magerer. Was nützt es auch,
immer wieder vor Gott und der deutscheu Nation Verwahrung einzulegen


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[0353] [Abbildung] Geschichten aus Siebenbürgen le Teilnahme um dem Geschicke der unter fremder Herrschaft lebenden deutschen Stämme hat sich im Mutterlande selten zu der Schwärmerei gesteigert, die man den italienischen, den magya¬ rischen, vor allen den polnischen „Freiheitskämpfern" entgegen¬ brachte. Das ist, wir sagen das ohne Ironie, kein Wunder. Die Elsässer hatten sich längst von uns losgesagt, und weder die Art der Deutschen in den Elbherzogtümeru, in den russischen Ostseeprovinzen und ans dem Sachsenboden, noch die Frngeu, um die es sich bei ihnen handelt, sind geeignet, die Einbildungskraft zu entzünden. Die Leute sind keine Verschwörer, keine „brillanten" Reiter, kleiden sich nicht theatralisch, verstehen es uicht, Tollkühnheit für Zwecke der Reklame auszunutzen; sie kämpfen um ihr Volks- tum, zäh und nüchtern. Das ist recht anerkennenswert, aber wenig interessant für romantische Gemüter. Und dann die so langweiligen, so schwer verständ¬ lichen staatsrechtlichen Fragen! Und abgesehen von dieser Seite: die Schleswig- Holsteiner sind glücklich von Dänemark abgelöst, aber was soll Deutschland für Livländer, Kurlünder, siebenbürger Sachsen thun? Ihnen die sogenannte moralische Unterstützung widmen, allein auch das mit aller Vorsicht, da es ihnen unter Umstünden mehr schaden als nützen kann. Wir verfolgen mit bitterm Schmerze jeden Fortschritt in der Unterdrückung des Deutschtums in jenen fernen Gauen, aber die Brüder sind zu weit verschlagen, als daß wir ihnen Hilfe leisten könnten. Und sie selbst verzichten, wie es scheint, allmählich darauf, unsre Teil¬ nahme zu erregen. Die vor wenigen Jahren noch umfangreiche baltische und sächsische publizistische Litteratur wird zusehends magerer. Was nützt es auch, immer wieder vor Gott und der deutscheu Nation Verwahrung einzulegen Grenzboten IV 1890 44

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/353>, abgerufen am 27.04.2024.