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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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Die Kunstausstellungen in München und Dresden

ist sie eben eine Litteratnrsprache. Doch was auf dem papiernen Wege in
unsre Sprache eingedrungen ist und täglich eindringt, das muß es sich gefallen
lassen, auf seine Echtheit und Berechtigung hin geprüft zu werden. Oft genug
steht nicht der schöpferische Genius der Sprache als Urheber dahinter, sondern
ein vielbeschäftigter Zeitungsschreiber, der, während er schrieb, selbst unter dem
Banne der französischen und englischen Leitartikel stand, dnrch die er sich gerade
hindurch gearbeitet hatte.

Zum Schluß noch ein Wort über das oft beklagte Schwinden des
Sprachgefühls. Es hängt gewiß aufs engste mit dem Übergewicht der ge¬
schriebenen Sprache zusammen. Darum kann das Übel anch nicht allein durch
eine Vermehrung der Grammatikstuudeu in der Schule beseitigt werden. Das
wirksamste Heilmittel ist vielmehr die allmähliche Gewöhnung, bei der Auf¬
nahme des Neuen und bei eignem Schaffen fleißiger und gewissenhafter das
Ohr zu gebrauchen. Es wird heute gar zu viel niedergeschrieben und weiter
verbreitet, ohne vorher vom Ohre geprüft zu sein; der Schreibende Hort seine
Sätze nicht, er sieht sie nur, der Leser nimmt allein durch das Auge auf und
verbreitet das Gelesene geistig, ohne den Klang des lebendigen Wortes im
Ohre vernommen zu haben. Wir denken schon "ans dem. Papier." Ich er¬
innere mich einer treffenden Bemerkung Rudolf Hildebrands aus eiuer Vor¬
lesung: "Wenn früher dem Menschen ein Gedanke plötzlich klar und deutlich
in den Sinn kam, dann wars ihm, als habe ihm ein Geist dies heimlich zu¬
geflüstert; heute sieht er es klar vor sich -- wie gedruckt!"




Die Kunstausstellungen in München und Dresden
Adolf Rosonberg von

as die vou der Dresdner Kunstgenossenschaft veranstaltete Aus¬
stellung von Aquarellen, Pastellen, Handzeichmmgen und Rn-
diruugeu zur Charakteristik der gegenwärtigen deutschen Kunst
beigetragen hat, ist nicht von Belang. Trotz des redlichen Eifers
der Unternehmer ist es nicht gelungen, sie über die Bedeutung
einer örtlichen Kunstausstellung zu erheben, die nur für die engern kunst-
liebenden und kunstübendeu Kreise der sächsischen Hauptstadt von Interesse ge¬
wesen ist. Sie haben eine Art von Lehrkursus durchgemacht, der sie darüber
unterrichtet hat, was in den letzten drei Jahren in den vornehmsten Kunst-


Die Kunstausstellungen in München und Dresden

ist sie eben eine Litteratnrsprache. Doch was auf dem papiernen Wege in
unsre Sprache eingedrungen ist und täglich eindringt, das muß es sich gefallen
lassen, auf seine Echtheit und Berechtigung hin geprüft zu werden. Oft genug
steht nicht der schöpferische Genius der Sprache als Urheber dahinter, sondern
ein vielbeschäftigter Zeitungsschreiber, der, während er schrieb, selbst unter dem
Banne der französischen und englischen Leitartikel stand, dnrch die er sich gerade
hindurch gearbeitet hatte.

Zum Schluß noch ein Wort über das oft beklagte Schwinden des
Sprachgefühls. Es hängt gewiß aufs engste mit dem Übergewicht der ge¬
schriebenen Sprache zusammen. Darum kann das Übel anch nicht allein durch
eine Vermehrung der Grammatikstuudeu in der Schule beseitigt werden. Das
wirksamste Heilmittel ist vielmehr die allmähliche Gewöhnung, bei der Auf¬
nahme des Neuen und bei eignem Schaffen fleißiger und gewissenhafter das
Ohr zu gebrauchen. Es wird heute gar zu viel niedergeschrieben und weiter
verbreitet, ohne vorher vom Ohre geprüft zu sein; der Schreibende Hort seine
Sätze nicht, er sieht sie nur, der Leser nimmt allein durch das Auge auf und
verbreitet das Gelesene geistig, ohne den Klang des lebendigen Wortes im
Ohre vernommen zu haben. Wir denken schon „ans dem. Papier." Ich er¬
innere mich einer treffenden Bemerkung Rudolf Hildebrands aus eiuer Vor¬
lesung: „Wenn früher dem Menschen ein Gedanke plötzlich klar und deutlich
in den Sinn kam, dann wars ihm, als habe ihm ein Geist dies heimlich zu¬
geflüstert; heute sieht er es klar vor sich — wie gedruckt!"




Die Kunstausstellungen in München und Dresden
Adolf Rosonberg von

as die vou der Dresdner Kunstgenossenschaft veranstaltete Aus¬
stellung von Aquarellen, Pastellen, Handzeichmmgen und Rn-
diruugeu zur Charakteristik der gegenwärtigen deutschen Kunst
beigetragen hat, ist nicht von Belang. Trotz des redlichen Eifers
der Unternehmer ist es nicht gelungen, sie über die Bedeutung
einer örtlichen Kunstausstellung zu erheben, die nur für die engern kunst-
liebenden und kunstübendeu Kreise der sächsischen Hauptstadt von Interesse ge¬
wesen ist. Sie haben eine Art von Lehrkursus durchgemacht, der sie darüber
unterrichtet hat, was in den letzten drei Jahren in den vornehmsten Kunst-


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[0372] Die Kunstausstellungen in München und Dresden ist sie eben eine Litteratnrsprache. Doch was auf dem papiernen Wege in unsre Sprache eingedrungen ist und täglich eindringt, das muß es sich gefallen lassen, auf seine Echtheit und Berechtigung hin geprüft zu werden. Oft genug steht nicht der schöpferische Genius der Sprache als Urheber dahinter, sondern ein vielbeschäftigter Zeitungsschreiber, der, während er schrieb, selbst unter dem Banne der französischen und englischen Leitartikel stand, dnrch die er sich gerade hindurch gearbeitet hatte. Zum Schluß noch ein Wort über das oft beklagte Schwinden des Sprachgefühls. Es hängt gewiß aufs engste mit dem Übergewicht der ge¬ schriebenen Sprache zusammen. Darum kann das Übel anch nicht allein durch eine Vermehrung der Grammatikstuudeu in der Schule beseitigt werden. Das wirksamste Heilmittel ist vielmehr die allmähliche Gewöhnung, bei der Auf¬ nahme des Neuen und bei eignem Schaffen fleißiger und gewissenhafter das Ohr zu gebrauchen. Es wird heute gar zu viel niedergeschrieben und weiter verbreitet, ohne vorher vom Ohre geprüft zu sein; der Schreibende Hort seine Sätze nicht, er sieht sie nur, der Leser nimmt allein durch das Auge auf und verbreitet das Gelesene geistig, ohne den Klang des lebendigen Wortes im Ohre vernommen zu haben. Wir denken schon „ans dem. Papier." Ich er¬ innere mich einer treffenden Bemerkung Rudolf Hildebrands aus eiuer Vor¬ lesung: „Wenn früher dem Menschen ein Gedanke plötzlich klar und deutlich in den Sinn kam, dann wars ihm, als habe ihm ein Geist dies heimlich zu¬ geflüstert; heute sieht er es klar vor sich — wie gedruckt!" Die Kunstausstellungen in München und Dresden Adolf Rosonberg von as die vou der Dresdner Kunstgenossenschaft veranstaltete Aus¬ stellung von Aquarellen, Pastellen, Handzeichmmgen und Rn- diruugeu zur Charakteristik der gegenwärtigen deutschen Kunst beigetragen hat, ist nicht von Belang. Trotz des redlichen Eifers der Unternehmer ist es nicht gelungen, sie über die Bedeutung einer örtlichen Kunstausstellung zu erheben, die nur für die engern kunst- liebenden und kunstübendeu Kreise der sächsischen Hauptstadt von Interesse ge¬ wesen ist. Sie haben eine Art von Lehrkursus durchgemacht, der sie darüber unterrichtet hat, was in den letzten drei Jahren in den vornehmsten Kunst-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/372>, abgerufen am 27.04.2024.