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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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Vereinfachungen auf dem Gebiete des Zivilprozesses

er beste Weg zur Rechtsverwirklichung ist der kürzeste und
billigste. Umständlichkeiten der Gerichtsverfassung und des
Prozeßverfahrens hindern den flotten und glatten Proze߬
verlauf wie Schlagbäume, die über den Rechtsweg gelegt sind.
Der Prozeß muß nicht bloß mit innerer Sachlichkeit, sondern
auch mit haushälterischer Knappheit eingerichtet sein. Im Verhältnis zu diesem
Grundsatz ist die Einzelunterjuchung, ob und welche Ansätze der Gerichtskosten
und der Anwaltsgcbühren ermüßigt werden können, von untergeordneter Be¬
deutung', wenn auch heutzutage der hohe und harte Felsen der Prozeßkosten
am meisten angegriffen wird. Im Nachstehenden soll aus dem Gebiete der
Gerichtsverfassung, des Zivilprozesses und der Prozeßkosten je eine besonders
wichtige Einzelheit besprochen werden, um zu zeigen, wie unser heutiger Prozeß
einfacher zu gestalten wäre und billiger und zweckmüßiger arbeiten könnte.

1. Mit Sorgsamkeit hat die Gerichtsverfassung die Amtsgerichte zahlreich
über das platte Land verteilt und an vielen Orten zur Erleichterung des
Publikums Gerichtstage eingerichtet. Aber es ist ein empfindlicher Übelstand,
daß so viele Amtsgerichte nur mit einem einzigen Richter besetzt sind. Abgelöst
von der anregenden und unterstützenden Beziehung zu einem Fachgenossen, ohne
Zusammenhang mit einem größern Richterkollegium und auf sich selber ange¬
wiesen, soll ein solcher Richter doch auf den verschiedensten Gebieten der Rechts¬
pflege, in der streitigen und nichtstreitigen Gerichtsbarkeit, in der Gefängnis¬
verwaltung und Strafvollstreckung, im Kassenwesen und in der Dienstaufsicht
bewandert fein. Dazu kommt, daß die Plattländischen Stellen meist aus der
Zahl der Gerichtsassessoren, denen noch Gewandtheit und Erfahrung des alten
Praktikers fehlen, besetzt werden. Übernimmt auch der neuernannte sein Amt
mit Pflichteiser, so treibt ihn doch der Wunsch, aufzusteigen und an einen bessern
Ort zu kommen; er hat nur ein halbernftes Bestreben, sich in die örtlichen und
persönlichen Verhältnisse seines Bezirks dauernd einzuleben, und begnügt sich
damit, die Ortschaften, Gemeindevorsteher und Gendarmen zu übersehen und
die Gebräuche, Sitten, Handelsverhültnisfe und Erwerbsquellen seiner Gerichts¬
eingesessenen nur zufällig kennen zu lernen; er ist befriedigt, wenn herkömmlich
die Akten angelegt und geschlossen werden, entstehen und vergehen. Eine einzige
Hand wird selten die verschiednen Justizzweige eindringlich pflegen und in




Vereinfachungen auf dem Gebiete des Zivilprozesses

er beste Weg zur Rechtsverwirklichung ist der kürzeste und
billigste. Umständlichkeiten der Gerichtsverfassung und des
Prozeßverfahrens hindern den flotten und glatten Proze߬
verlauf wie Schlagbäume, die über den Rechtsweg gelegt sind.
Der Prozeß muß nicht bloß mit innerer Sachlichkeit, sondern
auch mit haushälterischer Knappheit eingerichtet sein. Im Verhältnis zu diesem
Grundsatz ist die Einzelunterjuchung, ob und welche Ansätze der Gerichtskosten
und der Anwaltsgcbühren ermüßigt werden können, von untergeordneter Be¬
deutung', wenn auch heutzutage der hohe und harte Felsen der Prozeßkosten
am meisten angegriffen wird. Im Nachstehenden soll aus dem Gebiete der
Gerichtsverfassung, des Zivilprozesses und der Prozeßkosten je eine besonders
wichtige Einzelheit besprochen werden, um zu zeigen, wie unser heutiger Prozeß
einfacher zu gestalten wäre und billiger und zweckmüßiger arbeiten könnte.

1. Mit Sorgsamkeit hat die Gerichtsverfassung die Amtsgerichte zahlreich
über das platte Land verteilt und an vielen Orten zur Erleichterung des
Publikums Gerichtstage eingerichtet. Aber es ist ein empfindlicher Übelstand,
daß so viele Amtsgerichte nur mit einem einzigen Richter besetzt sind. Abgelöst
von der anregenden und unterstützenden Beziehung zu einem Fachgenossen, ohne
Zusammenhang mit einem größern Richterkollegium und auf sich selber ange¬
wiesen, soll ein solcher Richter doch auf den verschiedensten Gebieten der Rechts¬
pflege, in der streitigen und nichtstreitigen Gerichtsbarkeit, in der Gefängnis¬
verwaltung und Strafvollstreckung, im Kassenwesen und in der Dienstaufsicht
bewandert fein. Dazu kommt, daß die Plattländischen Stellen meist aus der
Zahl der Gerichtsassessoren, denen noch Gewandtheit und Erfahrung des alten
Praktikers fehlen, besetzt werden. Übernimmt auch der neuernannte sein Amt
mit Pflichteiser, so treibt ihn doch der Wunsch, aufzusteigen und an einen bessern
Ort zu kommen; er hat nur ein halbernftes Bestreben, sich in die örtlichen und
persönlichen Verhältnisse seines Bezirks dauernd einzuleben, und begnügt sich
damit, die Ortschaften, Gemeindevorsteher und Gendarmen zu übersehen und
die Gebräuche, Sitten, Handelsverhültnisfe und Erwerbsquellen seiner Gerichts¬
eingesessenen nur zufällig kennen zu lernen; er ist befriedigt, wenn herkömmlich
die Akten angelegt und geschlossen werden, entstehen und vergehen. Eine einzige
Hand wird selten die verschiednen Justizzweige eindringlich pflegen und in


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[0413] [Abbildung] Vereinfachungen auf dem Gebiete des Zivilprozesses er beste Weg zur Rechtsverwirklichung ist der kürzeste und billigste. Umständlichkeiten der Gerichtsverfassung und des Prozeßverfahrens hindern den flotten und glatten Proze߬ verlauf wie Schlagbäume, die über den Rechtsweg gelegt sind. Der Prozeß muß nicht bloß mit innerer Sachlichkeit, sondern auch mit haushälterischer Knappheit eingerichtet sein. Im Verhältnis zu diesem Grundsatz ist die Einzelunterjuchung, ob und welche Ansätze der Gerichtskosten und der Anwaltsgcbühren ermüßigt werden können, von untergeordneter Be¬ deutung', wenn auch heutzutage der hohe und harte Felsen der Prozeßkosten am meisten angegriffen wird. Im Nachstehenden soll aus dem Gebiete der Gerichtsverfassung, des Zivilprozesses und der Prozeßkosten je eine besonders wichtige Einzelheit besprochen werden, um zu zeigen, wie unser heutiger Prozeß einfacher zu gestalten wäre und billiger und zweckmüßiger arbeiten könnte. 1. Mit Sorgsamkeit hat die Gerichtsverfassung die Amtsgerichte zahlreich über das platte Land verteilt und an vielen Orten zur Erleichterung des Publikums Gerichtstage eingerichtet. Aber es ist ein empfindlicher Übelstand, daß so viele Amtsgerichte nur mit einem einzigen Richter besetzt sind. Abgelöst von der anregenden und unterstützenden Beziehung zu einem Fachgenossen, ohne Zusammenhang mit einem größern Richterkollegium und auf sich selber ange¬ wiesen, soll ein solcher Richter doch auf den verschiedensten Gebieten der Rechts¬ pflege, in der streitigen und nichtstreitigen Gerichtsbarkeit, in der Gefängnis¬ verwaltung und Strafvollstreckung, im Kassenwesen und in der Dienstaufsicht bewandert fein. Dazu kommt, daß die Plattländischen Stellen meist aus der Zahl der Gerichtsassessoren, denen noch Gewandtheit und Erfahrung des alten Praktikers fehlen, besetzt werden. Übernimmt auch der neuernannte sein Amt mit Pflichteiser, so treibt ihn doch der Wunsch, aufzusteigen und an einen bessern Ort zu kommen; er hat nur ein halbernftes Bestreben, sich in die örtlichen und persönlichen Verhältnisse seines Bezirks dauernd einzuleben, und begnügt sich damit, die Ortschaften, Gemeindevorsteher und Gendarmen zu übersehen und die Gebräuche, Sitten, Handelsverhültnisfe und Erwerbsquellen seiner Gerichts¬ eingesessenen nur zufällig kennen zu lernen; er ist befriedigt, wenn herkömmlich die Akten angelegt und geschlossen werden, entstehen und vergehen. Eine einzige Hand wird selten die verschiednen Justizzweige eindringlich pflegen und in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/413>, abgerufen am 27.04.2024.