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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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Die wahrhaftige Geschichte on>n den drei Wünschen

und spat, dann wird sie sich nicht mehr über Dinge, die sie gar nichts
angehen, den Kopf zerbrechen, und vor allem einen jeden nach seiner Fa^on
selig werden lassen.

Über das naturalistische Zukunftsdrama sind nicht viele Worte nötig.
Dank den "freien Bühnen" ist ja das Rezept kein Geheimnis mehr. "Steile
dir vor, daß eine Mustersammlung von lasterhaften, von halb übergeschnappten
und von unausstehlichen Menschen unter einem Dache leben müsse, und berechne
dann, wie sich "nach pshcho-physischen Gesetzen" deren Verkehr entwickeln müßte."
Der Realismus ist in allen Nebensachen streng zu wahren, insbesondre müsse"
schlechte Angewohnheiten und rohe Reden ""erzogener Menschen mit photo-
graphischer Treue wiedergegeben werden; nur wo der Realismus dem Autor
unbequem sein würde, ist von ihm abzusehen. Wenn z. B. die Glanzszene
einer Dichtung darin besteht, daß ein besoffener Lump in das Schlafzimmer
eines Mädchens eindringt und die Thür hinter sich abschließt, so darf nicht
etwa jemand, wie das vor Erfindung des Naturalismus wohl geschehe" wäre,
mit kräftigem Fußtritte die Thür sprenge" und den Helden niederschlagen, da
er für ein erbaulicheres Ende aufgespart werden muß!

Alle"" Anscheine nach hat die Influenza jetzt ihre" Höhepunkt erreicht,
und es darf daher, auch nach pshcho-phhsischeu Gesetzen, den" Eintritte der
Reaktion entgegengesehen werde". Mit dieser tröstliche" Aussicht nehme" wir
vorläufig von der "Moderne" Abschied.




Die wahrhaftige Geschichte von den drei Wünschen
(!)tlo Ludwig von (Fortsetzung)

lie Anwesenden bezeugten mit mir dem ersten Litteraten, wie er
seine Erzählung mit einem tiefen Seufzer als Punktum geschlossen
hatte, ihre Teilnahme und wandten sich nnn zu dem zweite"
Litteraten, der alsbald folgendermaßen das Wort nahm.

Geschichte des zweiten Litteraten

Vor allen Dingen muß ich Ihnen, so begann der Litteratus mit denn
Pflaster auf der rechten Wange, den Wunsch, den ich als Schneiderjunge that,
als ich mit meinen beiden Leidensgefährten hinter den noch unbenützten Buden
saß, die uns eine Meiner waren gegen den möglichen Überfall eines unsrer
Tyrannen, vor alle" Dingen muß ich Ihnen diese" Wunsch in das Gedächtnis


Die wahrhaftige Geschichte on>n den drei Wünschen

und spat, dann wird sie sich nicht mehr über Dinge, die sie gar nichts
angehen, den Kopf zerbrechen, und vor allem einen jeden nach seiner Fa^on
selig werden lassen.

Über das naturalistische Zukunftsdrama sind nicht viele Worte nötig.
Dank den „freien Bühnen" ist ja das Rezept kein Geheimnis mehr. „Steile
dir vor, daß eine Mustersammlung von lasterhaften, von halb übergeschnappten
und von unausstehlichen Menschen unter einem Dache leben müsse, und berechne
dann, wie sich »nach pshcho-physischen Gesetzen« deren Verkehr entwickeln müßte."
Der Realismus ist in allen Nebensachen streng zu wahren, insbesondre müsse»
schlechte Angewohnheiten und rohe Reden »»erzogener Menschen mit photo-
graphischer Treue wiedergegeben werden; nur wo der Realismus dem Autor
unbequem sein würde, ist von ihm abzusehen. Wenn z. B. die Glanzszene
einer Dichtung darin besteht, daß ein besoffener Lump in das Schlafzimmer
eines Mädchens eindringt und die Thür hinter sich abschließt, so darf nicht
etwa jemand, wie das vor Erfindung des Naturalismus wohl geschehe» wäre,
mit kräftigem Fußtritte die Thür sprenge» und den Helden niederschlagen, da
er für ein erbaulicheres Ende aufgespart werden muß!

Alle»» Anscheine nach hat die Influenza jetzt ihre» Höhepunkt erreicht,
und es darf daher, auch nach pshcho-phhsischeu Gesetzen, den» Eintritte der
Reaktion entgegengesehen werde». Mit dieser tröstliche» Aussicht nehme» wir
vorläufig von der „Moderne" Abschied.




Die wahrhaftige Geschichte von den drei Wünschen
(!)tlo Ludwig von (Fortsetzung)

lie Anwesenden bezeugten mit mir dem ersten Litteraten, wie er
seine Erzählung mit einem tiefen Seufzer als Punktum geschlossen
hatte, ihre Teilnahme und wandten sich nnn zu dem zweite»
Litteraten, der alsbald folgendermaßen das Wort nahm.

Geschichte des zweiten Litteraten

Vor allen Dingen muß ich Ihnen, so begann der Litteratus mit denn
Pflaster auf der rechten Wange, den Wunsch, den ich als Schneiderjunge that,
als ich mit meinen beiden Leidensgefährten hinter den noch unbenützten Buden
saß, die uns eine Meiner waren gegen den möglichen Überfall eines unsrer
Tyrannen, vor alle» Dingen muß ich Ihnen diese» Wunsch in das Gedächtnis


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[0488] Die wahrhaftige Geschichte on>n den drei Wünschen und spat, dann wird sie sich nicht mehr über Dinge, die sie gar nichts angehen, den Kopf zerbrechen, und vor allem einen jeden nach seiner Fa^on selig werden lassen. Über das naturalistische Zukunftsdrama sind nicht viele Worte nötig. Dank den „freien Bühnen" ist ja das Rezept kein Geheimnis mehr. „Steile dir vor, daß eine Mustersammlung von lasterhaften, von halb übergeschnappten und von unausstehlichen Menschen unter einem Dache leben müsse, und berechne dann, wie sich »nach pshcho-physischen Gesetzen« deren Verkehr entwickeln müßte." Der Realismus ist in allen Nebensachen streng zu wahren, insbesondre müsse» schlechte Angewohnheiten und rohe Reden »»erzogener Menschen mit photo- graphischer Treue wiedergegeben werden; nur wo der Realismus dem Autor unbequem sein würde, ist von ihm abzusehen. Wenn z. B. die Glanzszene einer Dichtung darin besteht, daß ein besoffener Lump in das Schlafzimmer eines Mädchens eindringt und die Thür hinter sich abschließt, so darf nicht etwa jemand, wie das vor Erfindung des Naturalismus wohl geschehe» wäre, mit kräftigem Fußtritte die Thür sprenge» und den Helden niederschlagen, da er für ein erbaulicheres Ende aufgespart werden muß! Alle»» Anscheine nach hat die Influenza jetzt ihre» Höhepunkt erreicht, und es darf daher, auch nach pshcho-phhsischeu Gesetzen, den» Eintritte der Reaktion entgegengesehen werde». Mit dieser tröstliche» Aussicht nehme» wir vorläufig von der „Moderne" Abschied. Die wahrhaftige Geschichte von den drei Wünschen (!)tlo Ludwig von (Fortsetzung) lie Anwesenden bezeugten mit mir dem ersten Litteraten, wie er seine Erzählung mit einem tiefen Seufzer als Punktum geschlossen hatte, ihre Teilnahme und wandten sich nnn zu dem zweite» Litteraten, der alsbald folgendermaßen das Wort nahm. Geschichte des zweiten Litteraten Vor allen Dingen muß ich Ihnen, so begann der Litteratus mit denn Pflaster auf der rechten Wange, den Wunsch, den ich als Schneiderjunge that, als ich mit meinen beiden Leidensgefährten hinter den noch unbenützten Buden saß, die uns eine Meiner waren gegen den möglichen Überfall eines unsrer Tyrannen, vor alle» Dingen muß ich Ihnen diese» Wunsch in das Gedächtnis

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/488>, abgerufen am 28.04.2024.