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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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Wesentliche, das Charakteristische eines Menschen festzuhalten, und dabei einen feinen
Blick für das Koniische an den Tag gelegt hat, rasch zum allgemeinen Liebling
geworden. Wer hätte sich nicht um seinem "Klub Eintracht," an seinen "Zirkus-
bildcrn," an seinen "Spreeathenern" ergötzt! In den "Meiningern" hat er sich eine
höhere, ernstere Aufgabe gestellt -- wenigstens zum Teil, denn der Schalk sitzt
ihm doch immer im Nacken. Eine Anzahl dieser schönen Blätter führen uns die
hervorragendsten Mitglieder der Meininger Truppe in schlichten Porträts, natürlich
in einer ihrer Hnuptrollen vor, dazu gesellen sich dann einzelne Szenen, ernste
und heitere, aus den aufgeführten Stücken, wo sie zu zweien, dreien und auch in
größern Gruppen vereinigt erscheinen. Hieran reiht sich aber schließlich eine Folge von
Blättern, in denen der Zeichner erst in seinem eigensten Element ist und ohne die die
"Meininger" gar keine rechte Allerssche Mappe wärein die köstlichen Blätter, die
uns hinter die Kulissen führen und uns zeigen, wie sie da vor der Probetafel stehen
und Ananda Lindner fragt: "Schöne Rollen für mich?" wie Frau Präses sich
die Perrücke aufstecken läßt mit den drängenden Worten: "Rasch, rasch, Hessen,
mein Stichwort kommt gleich"! wie Herr Froböse sich über die Fusseln an den
Hosen ärgert und der Friseur ihm lachend erwidert: "Sie haben immer was zu
mäkeln, das ist historisch"! wie die "Herren Pagen" gemütlich in der Damen-
garderobe sitzen und Strümpfe stricken, wie Meister Crvnegk in der Probe die
Glocke schwingt und die Schlacht bei Philippi leitet: "Da oben! ihr Vorposten!
mit größerer Spannung geradeaus sehen"! wie der Inspizient mit erhobenem
Finger droht: "Bssssst! -- Bitte um Ruhe! mäßigen Sie ihr Organ, man
hört ja draußen jedes Wort" -- und endlich auch die hübschen Blätter, die uns
die Meininger auch außer dem Theater zeigen: ihrer drei oder vier beim
Eisenbahnsknt, Herrn Richard in den Ferien als Alpenfex u. f. w. Damit
soll aber keineswegs gesagt sein, daß die ernsten Blätter in ihrer Art nicht ebenso
schön wären; der Unterschied zwischen den landläufigen Schauspielerkostümlülderu,
wie sie in den Phvtvgraphenschankästen unsrer Großstädte hängen, und denen man
den Schneider und den Friseur ans dreißig Schritte ansieht, und deu Schöpfungen
eines geistvollen Zeichners, der den Künstler mit seiner Rolle in eins verschmilzt
und uns alle Kulissen, alle Schminke und alles Lampenlicht vergessen macht, ist
uns selten so deutlich zum Bewußtsein gekommen, wie vor diesen schönen Porträts
und Rollenbildern.

Wer einen Freund hat, der für die Meiuiuger geschwärmt hat und noch
schwärmt, und er will ihm eine große Freude machen, der lege ihm diese Mappe
auf deu Weihnachtstisch!




Litteratur
Gesammelte Aufsätze von Karl Steffensen. Mit einem Vorwort von Rudolf Eucken,
Professor der Philosophie in Jena. Basel, C. Detloff, 189V

Steffensen hat sich der seit vierzig Jahren mode gewordenen Auflösung der
Philosophie in Physik gegenüber ablehnend Verhalten; daraus erklärt es sich zur
Genüge, daß er ziemlich unbekannt geblieben ist. Der durch philosophische" Gehalt


Wesentliche, das Charakteristische eines Menschen festzuhalten, und dabei einen feinen
Blick für das Koniische an den Tag gelegt hat, rasch zum allgemeinen Liebling
geworden. Wer hätte sich nicht um seinem „Klub Eintracht," an seinen „Zirkus-
bildcrn," an seinen „Spreeathenern" ergötzt! In den „Meiningern" hat er sich eine
höhere, ernstere Aufgabe gestellt — wenigstens zum Teil, denn der Schalk sitzt
ihm doch immer im Nacken. Eine Anzahl dieser schönen Blätter führen uns die
hervorragendsten Mitglieder der Meininger Truppe in schlichten Porträts, natürlich
in einer ihrer Hnuptrollen vor, dazu gesellen sich dann einzelne Szenen, ernste
und heitere, aus den aufgeführten Stücken, wo sie zu zweien, dreien und auch in
größern Gruppen vereinigt erscheinen. Hieran reiht sich aber schließlich eine Folge von
Blättern, in denen der Zeichner erst in seinem eigensten Element ist und ohne die die
„Meininger" gar keine rechte Allerssche Mappe wärein die köstlichen Blätter, die
uns hinter die Kulissen führen und uns zeigen, wie sie da vor der Probetafel stehen
und Ananda Lindner fragt: „Schöne Rollen für mich?" wie Frau Präses sich
die Perrücke aufstecken läßt mit den drängenden Worten: „Rasch, rasch, Hessen,
mein Stichwort kommt gleich"! wie Herr Froböse sich über die Fusseln an den
Hosen ärgert und der Friseur ihm lachend erwidert: „Sie haben immer was zu
mäkeln, das ist historisch"! wie die „Herren Pagen" gemütlich in der Damen-
garderobe sitzen und Strümpfe stricken, wie Meister Crvnegk in der Probe die
Glocke schwingt und die Schlacht bei Philippi leitet: „Da oben! ihr Vorposten!
mit größerer Spannung geradeaus sehen"! wie der Inspizient mit erhobenem
Finger droht: „Bssssst! — Bitte um Ruhe! mäßigen Sie ihr Organ, man
hört ja draußen jedes Wort" — und endlich auch die hübschen Blätter, die uns
die Meininger auch außer dem Theater zeigen: ihrer drei oder vier beim
Eisenbahnsknt, Herrn Richard in den Ferien als Alpenfex u. f. w. Damit
soll aber keineswegs gesagt sein, daß die ernsten Blätter in ihrer Art nicht ebenso
schön wären; der Unterschied zwischen den landläufigen Schauspielerkostümlülderu,
wie sie in den Phvtvgraphenschankästen unsrer Großstädte hängen, und denen man
den Schneider und den Friseur ans dreißig Schritte ansieht, und deu Schöpfungen
eines geistvollen Zeichners, der den Künstler mit seiner Rolle in eins verschmilzt
und uns alle Kulissen, alle Schminke und alles Lampenlicht vergessen macht, ist
uns selten so deutlich zum Bewußtsein gekommen, wie vor diesen schönen Porträts
und Rollenbildern.

Wer einen Freund hat, der für die Meiuiuger geschwärmt hat und noch
schwärmt, und er will ihm eine große Freude machen, der lege ihm diese Mappe
auf deu Weihnachtstisch!




Litteratur
Gesammelte Aufsätze von Karl Steffensen. Mit einem Vorwort von Rudolf Eucken,
Professor der Philosophie in Jena. Basel, C. Detloff, 189V

Steffensen hat sich der seit vierzig Jahren mode gewordenen Auflösung der
Philosophie in Physik gegenüber ablehnend Verhalten; daraus erklärt es sich zur
Genüge, daß er ziemlich unbekannt geblieben ist. Der durch philosophische» Gehalt


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/543>, abgerufen am 28.04.2024.