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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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Zur 5>chulrede des Kaisers

er noch daran zweifeln sollte, daß wir uns in einem pädagogischen
Zeitalter befinden, den würde Wohl die merkwürdige Thatsache
umstimmen können, das; das Oberhaupt des Reiches selbst das
Wort ergreift, um in der Schulfrage ein eignes Programm zu
entwickeln.

Daß vor hundert Jahren die ganze Atmosphäre von pädagogischer Denk¬
weise durchsetzt war, ist bekannt. Wir erinnern nnr an Lessings ,,Erziehung
des Menschengeschlechts," an Schillers ,,Briefe über die ästhetische Erziehung
des Menschen," an Goethes große didaktische Romane, an Fichtes "Reden an
die deutsche Nation." Aber während vor drei Menschenaltern die Entartung
der französischen Revolution, die die innere Haltlosigkeit und Hohlheit der
herrschenden Kultur aufdeckte, deu Gedanken in den edelsten Geistern hervor¬
trieb, ein edleres, glücklicheres Geschlecht durch eine neue Erziehungsweise zu
bilden und auf neuer Grundlage der gesamten Nation neues Heil zu bereiten,
bricht sich jetzt an hervorragendster Stelle die Überzeugung Bahn, der
kommenden, alles vernichtenden Anarchie den Boden zu entziehen durch Ein¬
führung einer neuen Erziehung. Nichts natürlicher nud naheliegender! Wie
oft ist der Gedanke in der verschiedensten Weise ausgesprochen worden, daß
das Schicksal eines Volkes, seine Blüte wie sein Zerfall, im tiefsten Grunde
von der Erziehung abhänge, die der Jngend zuteil werde. Wie oft hat man
dargelegt, daß allein dnrch verbesserte Nvlkserziehnng der rechte Grund gelegt
inertem könne, um die Schäden im Staat, im sozialen wie im Familienleben
gründlich auszuheilen, um den Nachkommen eine bessere Zukunft zu sichern
Immer haben Philosophen, Erzieher, Reformatoren in Kirche und Staat die
Jugendbildung als den Hebelarm angesehen, mit dem die Zukunft zu bewegen'


Grmzlwwi lo 1890 V8


Zur 5>chulrede des Kaisers

er noch daran zweifeln sollte, daß wir uns in einem pädagogischen
Zeitalter befinden, den würde Wohl die merkwürdige Thatsache
umstimmen können, das; das Oberhaupt des Reiches selbst das
Wort ergreift, um in der Schulfrage ein eignes Programm zu
entwickeln.

Daß vor hundert Jahren die ganze Atmosphäre von pädagogischer Denk¬
weise durchsetzt war, ist bekannt. Wir erinnern nnr an Lessings ,,Erziehung
des Menschengeschlechts," an Schillers ,,Briefe über die ästhetische Erziehung
des Menschen," an Goethes große didaktische Romane, an Fichtes „Reden an
die deutsche Nation." Aber während vor drei Menschenaltern die Entartung
der französischen Revolution, die die innere Haltlosigkeit und Hohlheit der
herrschenden Kultur aufdeckte, deu Gedanken in den edelsten Geistern hervor¬
trieb, ein edleres, glücklicheres Geschlecht durch eine neue Erziehungsweise zu
bilden und auf neuer Grundlage der gesamten Nation neues Heil zu bereiten,
bricht sich jetzt an hervorragendster Stelle die Überzeugung Bahn, der
kommenden, alles vernichtenden Anarchie den Boden zu entziehen durch Ein¬
führung einer neuen Erziehung. Nichts natürlicher nud naheliegender! Wie
oft ist der Gedanke in der verschiedensten Weise ausgesprochen worden, daß
das Schicksal eines Volkes, seine Blüte wie sein Zerfall, im tiefsten Grunde
von der Erziehung abhänge, die der Jngend zuteil werde. Wie oft hat man
dargelegt, daß allein dnrch verbesserte Nvlkserziehnng der rechte Grund gelegt
inertem könne, um die Schäden im Staat, im sozialen wie im Familienleben
gründlich auszuheilen, um den Nachkommen eine bessere Zukunft zu sichern
Immer haben Philosophen, Erzieher, Reformatoren in Kirche und Staat die
Jugendbildung als den Hebelarm angesehen, mit dem die Zukunft zu bewegen'


Grmzlwwi lo 1890 V8
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[0545] [Abbildung] Zur 5>chulrede des Kaisers er noch daran zweifeln sollte, daß wir uns in einem pädagogischen Zeitalter befinden, den würde Wohl die merkwürdige Thatsache umstimmen können, das; das Oberhaupt des Reiches selbst das Wort ergreift, um in der Schulfrage ein eignes Programm zu entwickeln. Daß vor hundert Jahren die ganze Atmosphäre von pädagogischer Denk¬ weise durchsetzt war, ist bekannt. Wir erinnern nnr an Lessings ,,Erziehung des Menschengeschlechts," an Schillers ,,Briefe über die ästhetische Erziehung des Menschen," an Goethes große didaktische Romane, an Fichtes „Reden an die deutsche Nation." Aber während vor drei Menschenaltern die Entartung der französischen Revolution, die die innere Haltlosigkeit und Hohlheit der herrschenden Kultur aufdeckte, deu Gedanken in den edelsten Geistern hervor¬ trieb, ein edleres, glücklicheres Geschlecht durch eine neue Erziehungsweise zu bilden und auf neuer Grundlage der gesamten Nation neues Heil zu bereiten, bricht sich jetzt an hervorragendster Stelle die Überzeugung Bahn, der kommenden, alles vernichtenden Anarchie den Boden zu entziehen durch Ein¬ führung einer neuen Erziehung. Nichts natürlicher nud naheliegender! Wie oft ist der Gedanke in der verschiedensten Weise ausgesprochen worden, daß das Schicksal eines Volkes, seine Blüte wie sein Zerfall, im tiefsten Grunde von der Erziehung abhänge, die der Jngend zuteil werde. Wie oft hat man dargelegt, daß allein dnrch verbesserte Nvlkserziehnng der rechte Grund gelegt inertem könne, um die Schäden im Staat, im sozialen wie im Familienleben gründlich auszuheilen, um den Nachkommen eine bessere Zukunft zu sichern Immer haben Philosophen, Erzieher, Reformatoren in Kirche und Staat die Jugendbildung als den Hebelarm angesehen, mit dem die Zukunft zu bewegen' Grmzlwwi lo 1890 V8

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/545>, abgerufen am 27.04.2024.