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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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Der Entwurf des preußischen Oolksschulgesetzes

as oft verheißene und lange erwartete Gesetz liegt endlich im
Entwürfe vor, hat auch die erste Lesung im Abgeordnetenhause
erfahren; man kann jedoch nicht sagen, daß dieses Gesetz und daß
die Besprechungen der Presse und die Erörterung darüber im Abge¬
ordnetenhause zu besondrer Befriedigung Anlaß gäbe". Man
sollte meinen, daß ein solches tief in rechtliche, konfessionelle und soziale Ver¬
hältnisse einschneidendes Gesetz lebhafter Zustimmung oder ebenso lebhafter Ab¬
lehnung begegnen wurde; statt dessen findet es zuerst ein allgemeines Still¬
schweigen und dann einige lahme Erörterungen, die weder viel sagen, noch
viel bestreiten. Wie ist das zu verstehen? Wollten die Zeitungen vermeiden,
dem Urteil der ihnen befreundeten Parteien vorzugreifen V Herrscht das Be¬
wußtsein, daß es sich hier um einen Gegenstand handelt, dem gegenüber man
mit logischen Folgerungen und der Parteilosuug nicht auskommt, der vielmehr
Kenntnis von Land und Leuten und Einsicht in die praktische Schulverwaltung
fordert? Oder hatte man eine gewisse Scheu, ein Urteil gegen das Gesetz
auszusprechen, während man wußte, daß um hoher Stelle großer Wert ans
sein Zustandekommen gelegt wird?

Im Abgeordnetenhaus" hat man zwei Tage lang von allen möglichen
Dingen und Beziehungen, aber sehr wenig von der Schule geredet, und die
dürfte doch bei einem Schulgesetze die Hauptsache sein. Brück bezeichnet das
Gesetz als revolutionär, es führe zur Allmacht des Staates und sei nicht
geeignet, die Bedürfnisse und Rechte der Konfessionen zu sichern. Reichensperger
wirft die Verfassungsfrage auf, und Windthorst hält das Gesetz wegen der
Stellung des Geistlichen im Schulvorstaude für unannehmbar und fordert feine
Ausdehnung auf die höhern Schulen und die Seminarien. Zelle wünscht, daß
die Privntschuleu mit in den Rahmen des Gesetzes gefaßt werden, wobei das


Grenzboten IV 139et 74


Der Entwurf des preußischen Oolksschulgesetzes

as oft verheißene und lange erwartete Gesetz liegt endlich im
Entwürfe vor, hat auch die erste Lesung im Abgeordnetenhause
erfahren; man kann jedoch nicht sagen, daß dieses Gesetz und daß
die Besprechungen der Presse und die Erörterung darüber im Abge¬
ordnetenhause zu besondrer Befriedigung Anlaß gäbe». Man
sollte meinen, daß ein solches tief in rechtliche, konfessionelle und soziale Ver¬
hältnisse einschneidendes Gesetz lebhafter Zustimmung oder ebenso lebhafter Ab¬
lehnung begegnen wurde; statt dessen findet es zuerst ein allgemeines Still¬
schweigen und dann einige lahme Erörterungen, die weder viel sagen, noch
viel bestreiten. Wie ist das zu verstehen? Wollten die Zeitungen vermeiden,
dem Urteil der ihnen befreundeten Parteien vorzugreifen V Herrscht das Be¬
wußtsein, daß es sich hier um einen Gegenstand handelt, dem gegenüber man
mit logischen Folgerungen und der Parteilosuug nicht auskommt, der vielmehr
Kenntnis von Land und Leuten und Einsicht in die praktische Schulverwaltung
fordert? Oder hatte man eine gewisse Scheu, ein Urteil gegen das Gesetz
auszusprechen, während man wußte, daß um hoher Stelle großer Wert ans
sein Zustandekommen gelegt wird?

Im Abgeordnetenhaus« hat man zwei Tage lang von allen möglichen
Dingen und Beziehungen, aber sehr wenig von der Schule geredet, und die
dürfte doch bei einem Schulgesetze die Hauptsache sein. Brück bezeichnet das
Gesetz als revolutionär, es führe zur Allmacht des Staates und sei nicht
geeignet, die Bedürfnisse und Rechte der Konfessionen zu sichern. Reichensperger
wirft die Verfassungsfrage auf, und Windthorst hält das Gesetz wegen der
Stellung des Geistlichen im Schulvorstaude für unannehmbar und fordert feine
Ausdehnung auf die höhern Schulen und die Seminarien. Zelle wünscht, daß
die Privntschuleu mit in den Rahmen des Gesetzes gefaßt werden, wobei das


Grenzboten IV 139et 74
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[0593] [Abbildung] Der Entwurf des preußischen Oolksschulgesetzes as oft verheißene und lange erwartete Gesetz liegt endlich im Entwürfe vor, hat auch die erste Lesung im Abgeordnetenhause erfahren; man kann jedoch nicht sagen, daß dieses Gesetz und daß die Besprechungen der Presse und die Erörterung darüber im Abge¬ ordnetenhause zu besondrer Befriedigung Anlaß gäbe». Man sollte meinen, daß ein solches tief in rechtliche, konfessionelle und soziale Ver¬ hältnisse einschneidendes Gesetz lebhafter Zustimmung oder ebenso lebhafter Ab¬ lehnung begegnen wurde; statt dessen findet es zuerst ein allgemeines Still¬ schweigen und dann einige lahme Erörterungen, die weder viel sagen, noch viel bestreiten. Wie ist das zu verstehen? Wollten die Zeitungen vermeiden, dem Urteil der ihnen befreundeten Parteien vorzugreifen V Herrscht das Be¬ wußtsein, daß es sich hier um einen Gegenstand handelt, dem gegenüber man mit logischen Folgerungen und der Parteilosuug nicht auskommt, der vielmehr Kenntnis von Land und Leuten und Einsicht in die praktische Schulverwaltung fordert? Oder hatte man eine gewisse Scheu, ein Urteil gegen das Gesetz auszusprechen, während man wußte, daß um hoher Stelle großer Wert ans sein Zustandekommen gelegt wird? Im Abgeordnetenhaus« hat man zwei Tage lang von allen möglichen Dingen und Beziehungen, aber sehr wenig von der Schule geredet, und die dürfte doch bei einem Schulgesetze die Hauptsache sein. Brück bezeichnet das Gesetz als revolutionär, es führe zur Allmacht des Staates und sei nicht geeignet, die Bedürfnisse und Rechte der Konfessionen zu sichern. Reichensperger wirft die Verfassungsfrage auf, und Windthorst hält das Gesetz wegen der Stellung des Geistlichen im Schulvorstaude für unannehmbar und fordert feine Ausdehnung auf die höhern Schulen und die Seminarien. Zelle wünscht, daß die Privntschuleu mit in den Rahmen des Gesetzes gefaßt werden, wobei das Grenzboten IV 139et 74

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/593>, abgerufen am 27.04.2024.