Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Rembrriiidt, ^reugheh Dürer als Lrjielier

freies Denke" auch in den letzten Fragen liebt, die seine geistige Verfassung
bestimmen sollen, der mag sich an die Flut pessimistischer, optimistischer,
evolntiouistischer, spiritistischer, hypnvtistischer, in Buddha, Mahomet oder der
vierten Dimension geweihter Traktate und Suren halten, deren Schwall im
Zeitalter Schopenhauers zu einem grenzenlosen tosenden Meere ange¬
wachsen ist.




2?e"nbrandt, Breughel, Dürer als Erzieher

ars man über ein Buch, das in Jahresfrist ein viertelhundert
Auflagen erlebt hat, erst jetzt, setzt noch sprechen? Der "Erfolg"
ist sast ohne Beispiel: konnte man nur auch erfahren, wie viele von
den Tausenden, die Rembrandt als Erzieher, Von einem
Deutschen gekauft haben müssen, es wirklich gelesen haben!
Denn das Lesen dieses Buches ist ein schweres Stück Arbeit, und das mag
die Verspätung dieses Berichtes entschuldige". An gutem Willen hat es mir
nicht gefehlt. Wahrend der Zimmerhaft nach einer Krankheit kam es mir als
Neuigkeit, warm aus dem Ofen zu und wurde dankbar willkommen geheißen;
es begleitete mich in den südlichen Frühling und wurde im Sommer nicht
vergessen. Aber immer wieder ermüdete ich nach mutigen Anlaufe. Das
Sprunghafte, das fortwährende Abschweifen vom Hnndertsten zum Tausendsten
oder, wie ein andres Sprichwort sagt, vom Nachtwächter zum römischen
Kaiser, die Unmasse kühner Vehanptnngen, die zu beweisen der Verfasser nicht
nötig findet: das allein würde hinreichen, den Leser zu verstimmen. Nimmt
man sich jedoch die Mühe, darüber nachzudenken, was der Verfasser mit
einzelnen Sätzen und mit dem ganzen Buch eigentlich sagen wolle, so reißt
vollends die stärkste Geduld. Vielleicht ist mir das Ganze zu hoch oder zu
tief, genng. ich habe es vielfach nicht verstanden.

Versuche ich, einen Gedankengang aus den Gedankensprüngen und ---
Nichtgedankeu zu entwickeln, so erhalte ich etwa folgendes. Unsre Zeit ist
nicht gesund, Rückkehr zur Natur und zur Wahrheit soll sie heilen. "Über-
kultnr ist thatsächlich uoch roher als Unkultur" (S. "Religion, Philosophie,
Politik, Poesie, bildende Kunst führen schließlich auf eine gemeinsame Quelle
zurück: Echtheit der Gesinnung, Treue gegen sich selbst, Wahrheitsliebe. Hier
liegt das Zentrum der Menschennatur." Diese Sätze werden keinen Wider-


Grenzboten IV 1890 7'i
Rembrriiidt, ^reugheh Dürer als Lrjielier

freies Denke» auch in den letzten Fragen liebt, die seine geistige Verfassung
bestimmen sollen, der mag sich an die Flut pessimistischer, optimistischer,
evolntiouistischer, spiritistischer, hypnvtistischer, in Buddha, Mahomet oder der
vierten Dimension geweihter Traktate und Suren halten, deren Schwall im
Zeitalter Schopenhauers zu einem grenzenlosen tosenden Meere ange¬
wachsen ist.




2?e»nbrandt, Breughel, Dürer als Erzieher

ars man über ein Buch, das in Jahresfrist ein viertelhundert
Auflagen erlebt hat, erst jetzt, setzt noch sprechen? Der „Erfolg"
ist sast ohne Beispiel: konnte man nur auch erfahren, wie viele von
den Tausenden, die Rembrandt als Erzieher, Von einem
Deutschen gekauft haben müssen, es wirklich gelesen haben!
Denn das Lesen dieses Buches ist ein schweres Stück Arbeit, und das mag
die Verspätung dieses Berichtes entschuldige». An gutem Willen hat es mir
nicht gefehlt. Wahrend der Zimmerhaft nach einer Krankheit kam es mir als
Neuigkeit, warm aus dem Ofen zu und wurde dankbar willkommen geheißen;
es begleitete mich in den südlichen Frühling und wurde im Sommer nicht
vergessen. Aber immer wieder ermüdete ich nach mutigen Anlaufe. Das
Sprunghafte, das fortwährende Abschweifen vom Hnndertsten zum Tausendsten
oder, wie ein andres Sprichwort sagt, vom Nachtwächter zum römischen
Kaiser, die Unmasse kühner Vehanptnngen, die zu beweisen der Verfasser nicht
nötig findet: das allein würde hinreichen, den Leser zu verstimmen. Nimmt
man sich jedoch die Mühe, darüber nachzudenken, was der Verfasser mit
einzelnen Sätzen und mit dem ganzen Buch eigentlich sagen wolle, so reißt
vollends die stärkste Geduld. Vielleicht ist mir das Ganze zu hoch oder zu
tief, genng. ich habe es vielfach nicht verstanden.

Versuche ich, einen Gedankengang aus den Gedankensprüngen und —-
Nichtgedankeu zu entwickeln, so erhalte ich etwa folgendes. Unsre Zeit ist
nicht gesund, Rückkehr zur Natur und zur Wahrheit soll sie heilen. „Über-
kultnr ist thatsächlich uoch roher als Unkultur" (S. „Religion, Philosophie,
Politik, Poesie, bildende Kunst führen schließlich auf eine gemeinsame Quelle
zurück: Echtheit der Gesinnung, Treue gegen sich selbst, Wahrheitsliebe. Hier
liegt das Zentrum der Menschennatur." Diese Sätze werden keinen Wider-


Grenzboten IV 1890 7'i
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0609" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/209188"/>
          <fw type="header" place="top"> Rembrriiidt, ^reugheh Dürer als Lrjielier</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1805" prev="#ID_1804"> freies Denke» auch in den letzten Fragen liebt, die seine geistige Verfassung<lb/>
bestimmen sollen, der mag sich an die Flut pessimistischer, optimistischer,<lb/>
evolntiouistischer, spiritistischer, hypnvtistischer, in Buddha, Mahomet oder der<lb/>
vierten Dimension geweihter Traktate und Suren halten, deren Schwall im<lb/>
Zeitalter Schopenhauers zu einem grenzenlosen tosenden Meere ange¬<lb/>
wachsen ist.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> 2?e»nbrandt, Breughel, Dürer als Erzieher</head><lb/>
          <p xml:id="ID_1806"> ars man über ein Buch, das in Jahresfrist ein viertelhundert<lb/>
Auflagen erlebt hat, erst jetzt, setzt noch sprechen? Der &#x201E;Erfolg"<lb/>
ist sast ohne Beispiel: konnte man nur auch erfahren, wie viele von<lb/>
den Tausenden, die Rembrandt als Erzieher, Von einem<lb/>
Deutschen gekauft haben müssen, es wirklich gelesen haben!<lb/>
Denn das Lesen dieses Buches ist ein schweres Stück Arbeit, und das mag<lb/>
die Verspätung dieses Berichtes entschuldige». An gutem Willen hat es mir<lb/>
nicht gefehlt. Wahrend der Zimmerhaft nach einer Krankheit kam es mir als<lb/>
Neuigkeit, warm aus dem Ofen zu und wurde dankbar willkommen geheißen;<lb/>
es begleitete mich in den südlichen Frühling und wurde im Sommer nicht<lb/>
vergessen. Aber immer wieder ermüdete ich nach mutigen Anlaufe. Das<lb/>
Sprunghafte, das fortwährende Abschweifen vom Hnndertsten zum Tausendsten<lb/>
oder, wie ein andres Sprichwort sagt, vom Nachtwächter zum römischen<lb/>
Kaiser, die Unmasse kühner Vehanptnngen, die zu beweisen der Verfasser nicht<lb/>
nötig findet: das allein würde hinreichen, den Leser zu verstimmen. Nimmt<lb/>
man sich jedoch die Mühe, darüber nachzudenken, was der Verfasser mit<lb/>
einzelnen Sätzen und mit dem ganzen Buch eigentlich sagen wolle, so reißt<lb/>
vollends die stärkste Geduld. Vielleicht ist mir das Ganze zu hoch oder zu<lb/>
tief, genng. ich habe es vielfach nicht verstanden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1807" next="#ID_1808"> Versuche ich, einen Gedankengang aus den Gedankensprüngen und &#x2014;-<lb/>
Nichtgedankeu zu entwickeln, so erhalte ich etwa folgendes. Unsre Zeit ist<lb/>
nicht gesund, Rückkehr zur Natur und zur Wahrheit soll sie heilen. &#x201E;Über-<lb/>
kultnr ist thatsächlich uoch roher als Unkultur" (S. &#x201E;Religion, Philosophie,<lb/>
Politik, Poesie, bildende Kunst führen schließlich auf eine gemeinsame Quelle<lb/>
zurück: Echtheit der Gesinnung, Treue gegen sich selbst, Wahrheitsliebe. Hier<lb/>
liegt das Zentrum der Menschennatur." Diese Sätze werden keinen Wider-</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten IV 1890 7'i</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0609] Rembrriiidt, ^reugheh Dürer als Lrjielier freies Denke» auch in den letzten Fragen liebt, die seine geistige Verfassung bestimmen sollen, der mag sich an die Flut pessimistischer, optimistischer, evolntiouistischer, spiritistischer, hypnvtistischer, in Buddha, Mahomet oder der vierten Dimension geweihter Traktate und Suren halten, deren Schwall im Zeitalter Schopenhauers zu einem grenzenlosen tosenden Meere ange¬ wachsen ist. 2?e»nbrandt, Breughel, Dürer als Erzieher ars man über ein Buch, das in Jahresfrist ein viertelhundert Auflagen erlebt hat, erst jetzt, setzt noch sprechen? Der „Erfolg" ist sast ohne Beispiel: konnte man nur auch erfahren, wie viele von den Tausenden, die Rembrandt als Erzieher, Von einem Deutschen gekauft haben müssen, es wirklich gelesen haben! Denn das Lesen dieses Buches ist ein schweres Stück Arbeit, und das mag die Verspätung dieses Berichtes entschuldige». An gutem Willen hat es mir nicht gefehlt. Wahrend der Zimmerhaft nach einer Krankheit kam es mir als Neuigkeit, warm aus dem Ofen zu und wurde dankbar willkommen geheißen; es begleitete mich in den südlichen Frühling und wurde im Sommer nicht vergessen. Aber immer wieder ermüdete ich nach mutigen Anlaufe. Das Sprunghafte, das fortwährende Abschweifen vom Hnndertsten zum Tausendsten oder, wie ein andres Sprichwort sagt, vom Nachtwächter zum römischen Kaiser, die Unmasse kühner Vehanptnngen, die zu beweisen der Verfasser nicht nötig findet: das allein würde hinreichen, den Leser zu verstimmen. Nimmt man sich jedoch die Mühe, darüber nachzudenken, was der Verfasser mit einzelnen Sätzen und mit dem ganzen Buch eigentlich sagen wolle, so reißt vollends die stärkste Geduld. Vielleicht ist mir das Ganze zu hoch oder zu tief, genng. ich habe es vielfach nicht verstanden. Versuche ich, einen Gedankengang aus den Gedankensprüngen und —- Nichtgedankeu zu entwickeln, so erhalte ich etwa folgendes. Unsre Zeit ist nicht gesund, Rückkehr zur Natur und zur Wahrheit soll sie heilen. „Über- kultnr ist thatsächlich uoch roher als Unkultur" (S. „Religion, Philosophie, Politik, Poesie, bildende Kunst führen schließlich auf eine gemeinsame Quelle zurück: Echtheit der Gesinnung, Treue gegen sich selbst, Wahrheitsliebe. Hier liegt das Zentrum der Menschennatur." Diese Sätze werden keinen Wider- Grenzboten IV 1890 7'i

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/609
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/609>, abgerufen am 27.04.2024.