Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite


Der gegenwärtige ^laut der Arbeiterbewegung

ii jeder Nummer des Reichsanzeigers werden bekanntlich seit
geraumer Zeit die in den Lokalzeitungen täglich erscheinenden
Berichte über die in unsrer Industrie veranstalteten Streits und
Arbeiterversammlungen zusammengestellt. Diese Einrichtung kann
nicht dankbar genug anerkannt werden, denn sie giebt dem
Sozialpvlitiker Gelegenheit, sich unausgesetzt über den Stand der Arbeiter¬
bewegung zu unterrichten. Wir fassen im Nachstehenden aus jenen Berichten
das Wesentlichste zusammen, um einen Überblick über die in der letzten Zeit
zum Durchbrüche gekommenen Bestrebungen zu geben. Denn wenn diese auch
nicht in gleichem Maße wie der große Streik der Bergarbeiter die öffentliche
Meinung erregt haben, so lassen sie doch die nächsten Ziele der sozialdemo-
kratischen Agitation nicht minder erkennen, als auf welchem Wege der endliche
Sieg dieser Partei erreicht werden soll.

Überblickt man das vorige Jahr, so zeigt sich, daß die Bewegung nach
außen hiu gegen früher an Stärke verloren hat. Es ist dies vor allem als
eine Folge der kaiserlichen Erlasse vom 4. Februar anzusehen. Aber auch die
Energie, die die Arbeitgeber gegen die Demonstration des 1. Mai entwickelt haben,
hat die Arbeiter zu größerer Ruhe und Besonnenheit gebracht, sodaß trotz der
Aufhebung des Sozialistengesetzes, abgesehen von den nicht sehr bedeutenden
Ausschreitungen in Sprvttau, auch die öffentliche Ordnung nicht gestört worden
ist. Die Führer der Sozialdemokratie haben überdies erklärt, daß sie versuchen
wollen, ihre Ziele zunächst auf gesetzlichem Wege zu erreichen. Erst im letzten
Bierteljahr ist die Bewegung wieder etwas lebhafter geworden, und es verlohnt
1'es, ans die Vorkommnisse näher einzugehen.

Zunächst hat es in dem letzten Vierteljahre nicht an Streiks gefehlt.
Nach den Berichten kaun man berechnen, daß in mehr als fünfzig Fabriken


Grenzlwtm I 1891 L5


Der gegenwärtige ^laut der Arbeiterbewegung

ii jeder Nummer des Reichsanzeigers werden bekanntlich seit
geraumer Zeit die in den Lokalzeitungen täglich erscheinenden
Berichte über die in unsrer Industrie veranstalteten Streits und
Arbeiterversammlungen zusammengestellt. Diese Einrichtung kann
nicht dankbar genug anerkannt werden, denn sie giebt dem
Sozialpvlitiker Gelegenheit, sich unausgesetzt über den Stand der Arbeiter¬
bewegung zu unterrichten. Wir fassen im Nachstehenden aus jenen Berichten
das Wesentlichste zusammen, um einen Überblick über die in der letzten Zeit
zum Durchbrüche gekommenen Bestrebungen zu geben. Denn wenn diese auch
nicht in gleichem Maße wie der große Streik der Bergarbeiter die öffentliche
Meinung erregt haben, so lassen sie doch die nächsten Ziele der sozialdemo-
kratischen Agitation nicht minder erkennen, als auf welchem Wege der endliche
Sieg dieser Partei erreicht werden soll.

Überblickt man das vorige Jahr, so zeigt sich, daß die Bewegung nach
außen hiu gegen früher an Stärke verloren hat. Es ist dies vor allem als
eine Folge der kaiserlichen Erlasse vom 4. Februar anzusehen. Aber auch die
Energie, die die Arbeitgeber gegen die Demonstration des 1. Mai entwickelt haben,
hat die Arbeiter zu größerer Ruhe und Besonnenheit gebracht, sodaß trotz der
Aufhebung des Sozialistengesetzes, abgesehen von den nicht sehr bedeutenden
Ausschreitungen in Sprvttau, auch die öffentliche Ordnung nicht gestört worden
ist. Die Führer der Sozialdemokratie haben überdies erklärt, daß sie versuchen
wollen, ihre Ziele zunächst auf gesetzlichem Wege zu erreichen. Erst im letzten
Bierteljahr ist die Bewegung wieder etwas lebhafter geworden, und es verlohnt
1'es, ans die Vorkommnisse näher einzugehen.

Zunächst hat es in dem letzten Vierteljahre nicht an Streiks gefehlt.
Nach den Berichten kaun man berechnen, daß in mehr als fünfzig Fabriken


Grenzlwtm I 1891 L5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0201" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/209434"/>
          <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341853_209232/figures/grenzboten_341853_209232_209434_000.jpg"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Der gegenwärtige ^laut der Arbeiterbewegung</head><lb/>
          <p xml:id="ID_584"> ii jeder Nummer des Reichsanzeigers werden bekanntlich seit<lb/>
geraumer Zeit die in den Lokalzeitungen täglich erscheinenden<lb/>
Berichte über die in unsrer Industrie veranstalteten Streits und<lb/>
Arbeiterversammlungen zusammengestellt. Diese Einrichtung kann<lb/>
nicht dankbar genug anerkannt werden, denn sie giebt dem<lb/>
Sozialpvlitiker Gelegenheit, sich unausgesetzt über den Stand der Arbeiter¬<lb/>
bewegung zu unterrichten. Wir fassen im Nachstehenden aus jenen Berichten<lb/>
das Wesentlichste zusammen, um einen Überblick über die in der letzten Zeit<lb/>
zum Durchbrüche gekommenen Bestrebungen zu geben. Denn wenn diese auch<lb/>
nicht in gleichem Maße wie der große Streik der Bergarbeiter die öffentliche<lb/>
Meinung erregt haben, so lassen sie doch die nächsten Ziele der sozialdemo-<lb/>
kratischen Agitation nicht minder erkennen, als auf welchem Wege der endliche<lb/>
Sieg dieser Partei erreicht werden soll.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_585"> Überblickt man das vorige Jahr, so zeigt sich, daß die Bewegung nach<lb/>
außen hiu gegen früher an Stärke verloren hat. Es ist dies vor allem als<lb/>
eine Folge der kaiserlichen Erlasse vom 4. Februar anzusehen. Aber auch die<lb/>
Energie, die die Arbeitgeber gegen die Demonstration des 1. Mai entwickelt haben,<lb/>
hat die Arbeiter zu größerer Ruhe und Besonnenheit gebracht, sodaß trotz der<lb/>
Aufhebung des Sozialistengesetzes, abgesehen von den nicht sehr bedeutenden<lb/>
Ausschreitungen in Sprvttau, auch die öffentliche Ordnung nicht gestört worden<lb/>
ist. Die Führer der Sozialdemokratie haben überdies erklärt, daß sie versuchen<lb/>
wollen, ihre Ziele zunächst auf gesetzlichem Wege zu erreichen. Erst im letzten<lb/>
Bierteljahr ist die Bewegung wieder etwas lebhafter geworden, und es verlohnt<lb/>
1'es, ans die Vorkommnisse näher einzugehen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_586" next="#ID_587"> Zunächst hat es in dem letzten Vierteljahre nicht an Streiks gefehlt.<lb/>
Nach den Berichten kaun man berechnen, daß in mehr als fünfzig Fabriken</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzlwtm I 1891 L5</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0201] [Abbildung] Der gegenwärtige ^laut der Arbeiterbewegung ii jeder Nummer des Reichsanzeigers werden bekanntlich seit geraumer Zeit die in den Lokalzeitungen täglich erscheinenden Berichte über die in unsrer Industrie veranstalteten Streits und Arbeiterversammlungen zusammengestellt. Diese Einrichtung kann nicht dankbar genug anerkannt werden, denn sie giebt dem Sozialpvlitiker Gelegenheit, sich unausgesetzt über den Stand der Arbeiter¬ bewegung zu unterrichten. Wir fassen im Nachstehenden aus jenen Berichten das Wesentlichste zusammen, um einen Überblick über die in der letzten Zeit zum Durchbrüche gekommenen Bestrebungen zu geben. Denn wenn diese auch nicht in gleichem Maße wie der große Streik der Bergarbeiter die öffentliche Meinung erregt haben, so lassen sie doch die nächsten Ziele der sozialdemo- kratischen Agitation nicht minder erkennen, als auf welchem Wege der endliche Sieg dieser Partei erreicht werden soll. Überblickt man das vorige Jahr, so zeigt sich, daß die Bewegung nach außen hiu gegen früher an Stärke verloren hat. Es ist dies vor allem als eine Folge der kaiserlichen Erlasse vom 4. Februar anzusehen. Aber auch die Energie, die die Arbeitgeber gegen die Demonstration des 1. Mai entwickelt haben, hat die Arbeiter zu größerer Ruhe und Besonnenheit gebracht, sodaß trotz der Aufhebung des Sozialistengesetzes, abgesehen von den nicht sehr bedeutenden Ausschreitungen in Sprvttau, auch die öffentliche Ordnung nicht gestört worden ist. Die Führer der Sozialdemokratie haben überdies erklärt, daß sie versuchen wollen, ihre Ziele zunächst auf gesetzlichem Wege zu erreichen. Erst im letzten Bierteljahr ist die Bewegung wieder etwas lebhafter geworden, und es verlohnt 1'es, ans die Vorkommnisse näher einzugehen. Zunächst hat es in dem letzten Vierteljahre nicht an Streiks gefehlt. Nach den Berichten kaun man berechnen, daß in mehr als fünfzig Fabriken Grenzlwtm I 1891 L5

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/201
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/201>, abgerufen am 06.05.2024.