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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

geschildert. "Zum einfältigen Wahren wollte imm in allem zurückkehren.
Schnürbrust und Adhad verschwanden, der Puder zerstob, die Haare fielen in
natürlichen Locken." Diese mächtige Bewegung mußte auch die in ihrem Au-
sehn gesunkene Mnsche hinwegfegen wie der Nvvembersturm das dürre Blatt
des Waldes. "Verehre, was du verfolgtest; verfolge, was du verehrtest" war
der Taufspruch des neuen Geschlechts.




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Osterzensuren.

Im sechsten Hefte der Grenzl'oder hat wieder einmal el"
Schülcrvater seinem gepreßten Herzen Lust gemacht; er hat sich bitter darüber be¬
nagt, daß bei den Versehungen an unsern Hähern Schulen zu viel Gewicht auf
die schriftlichen Arbeiten gelegt würde, die sonstigen Leistungen und die ganze
geistige Begabung des Schülers zu wenig berücksichtigt würden; die Entscheidung
würde zu äußerlich nach dem im Laufe des Schuljahres in den Notizbüchern der
Lehrer entstandenen Zisferwerke getroffen.

In der vorletzten Nummer der Grenzboten kommt nun ein Lehrer und be¬
streitet diese Behauptungen mit großer Entschiedenheit; der Verfasser jener Be¬
schwerden kenne die Verhältnisse nicht, könne sie gar nicht kennen, da er eben nicht
Lehrer sei, er habe sich jedenfalls nur von seinem "Herrn Sohn" etwas zutragen
lassen; von allen seinen Behauptungen sei genau das Gegenteil der Fall.

Wie gewöhnlich, so wird Wohl mich hier das Richtige in der Mitte liegen.
Jeder von beiden -- der Vater wie der Lehrer -- hat seine Persönlichen Erfah¬
rungen etwas kühn verallgemeinert, der eine behauptet zu viel, der andre will zu
wenig zugeben. Möge also noch einem Dritten das Wort vergönnt sein, der lange
genug Schüler und -- Lehrer gewesen ist, um zu wissen, wies zugeht, aber auch
lange genug in andern Wirkungskreisen gestanden hat, um die Dinge auch noch
von einem etwas andern Standpunkte als dem des Lehrers ansehen zu können,
ums übrigens schon während seiner Lehrerzeit sein stetes Bemühen war, ihn damals
freilich etwas in den Geruch der Ketzerei brachte.

Daß es im Lehrerberufe, wie in jedem andern höhern Berufe, ich Null gar
nicht sagen geistvolle und geistlose, aber einsichtige und weniger einsichtige, freiere
und beschränktere Köpfe giebt, das wird Wohl auch der Verfasser der Erwiderung
nicht leugnen wollen. Oder sollte er in seiner Lehrerlanfbahn immer nur mit
Männern der erstem Art in Berührung gekommen sein? Dann wäre er und die
Schulen, wo das geschehen wäre, im höchsten Grade glücklich zu preisen. Ich
glaube nicht recht daran. Daß unsre Sprache gern alle engherzig Pedantische Be¬
handlung einer Sache mit den Wörtern "schulmeistern, Schulmeistere!, schulmeister¬
haft" bezeichnet, spricht nicht gerade dafür, daß der Lehrerstand aus lauter Geistern


Maßgebliches und Unmaßgebliches

geschildert. „Zum einfältigen Wahren wollte imm in allem zurückkehren.
Schnürbrust und Adhad verschwanden, der Puder zerstob, die Haare fielen in
natürlichen Locken." Diese mächtige Bewegung mußte auch die in ihrem Au-
sehn gesunkene Mnsche hinwegfegen wie der Nvvembersturm das dürre Blatt
des Waldes. „Verehre, was du verfolgtest; verfolge, was du verehrtest" war
der Taufspruch des neuen Geschlechts.




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Osterzensuren.

Im sechsten Hefte der Grenzl'oder hat wieder einmal el»
Schülcrvater seinem gepreßten Herzen Lust gemacht; er hat sich bitter darüber be¬
nagt, daß bei den Versehungen an unsern Hähern Schulen zu viel Gewicht auf
die schriftlichen Arbeiten gelegt würde, die sonstigen Leistungen und die ganze
geistige Begabung des Schülers zu wenig berücksichtigt würden; die Entscheidung
würde zu äußerlich nach dem im Laufe des Schuljahres in den Notizbüchern der
Lehrer entstandenen Zisferwerke getroffen.

In der vorletzten Nummer der Grenzboten kommt nun ein Lehrer und be¬
streitet diese Behauptungen mit großer Entschiedenheit; der Verfasser jener Be¬
schwerden kenne die Verhältnisse nicht, könne sie gar nicht kennen, da er eben nicht
Lehrer sei, er habe sich jedenfalls nur von seinem „Herrn Sohn" etwas zutragen
lassen; von allen seinen Behauptungen sei genau das Gegenteil der Fall.

Wie gewöhnlich, so wird Wohl mich hier das Richtige in der Mitte liegen.
Jeder von beiden — der Vater wie der Lehrer — hat seine Persönlichen Erfah¬
rungen etwas kühn verallgemeinert, der eine behauptet zu viel, der andre will zu
wenig zugeben. Möge also noch einem Dritten das Wort vergönnt sein, der lange
genug Schüler und — Lehrer gewesen ist, um zu wissen, wies zugeht, aber auch
lange genug in andern Wirkungskreisen gestanden hat, um die Dinge auch noch
von einem etwas andern Standpunkte als dem des Lehrers ansehen zu können,
ums übrigens schon während seiner Lehrerzeit sein stetes Bemühen war, ihn damals
freilich etwas in den Geruch der Ketzerei brachte.

Daß es im Lehrerberufe, wie in jedem andern höhern Berufe, ich Null gar
nicht sagen geistvolle und geistlose, aber einsichtige und weniger einsichtige, freiere
und beschränktere Köpfe giebt, das wird Wohl auch der Verfasser der Erwiderung
nicht leugnen wollen. Oder sollte er in seiner Lehrerlanfbahn immer nur mit
Männern der erstem Art in Berührung gekommen sein? Dann wäre er und die
Schulen, wo das geschehen wäre, im höchsten Grade glücklich zu preisen. Ich
glaube nicht recht daran. Daß unsre Sprache gern alle engherzig Pedantische Be¬
handlung einer Sache mit den Wörtern „schulmeistern, Schulmeistere!, schulmeister¬
haft" bezeichnet, spricht nicht gerade dafür, daß der Lehrerstand aus lauter Geistern


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[0526] Maßgebliches und Unmaßgebliches geschildert. „Zum einfältigen Wahren wollte imm in allem zurückkehren. Schnürbrust und Adhad verschwanden, der Puder zerstob, die Haare fielen in natürlichen Locken." Diese mächtige Bewegung mußte auch die in ihrem Au- sehn gesunkene Mnsche hinwegfegen wie der Nvvembersturm das dürre Blatt des Waldes. „Verehre, was du verfolgtest; verfolge, was du verehrtest" war der Taufspruch des neuen Geschlechts. Maßgebliches und Unmaßgebliches Osterzensuren. Im sechsten Hefte der Grenzl'oder hat wieder einmal el» Schülcrvater seinem gepreßten Herzen Lust gemacht; er hat sich bitter darüber be¬ nagt, daß bei den Versehungen an unsern Hähern Schulen zu viel Gewicht auf die schriftlichen Arbeiten gelegt würde, die sonstigen Leistungen und die ganze geistige Begabung des Schülers zu wenig berücksichtigt würden; die Entscheidung würde zu äußerlich nach dem im Laufe des Schuljahres in den Notizbüchern der Lehrer entstandenen Zisferwerke getroffen. In der vorletzten Nummer der Grenzboten kommt nun ein Lehrer und be¬ streitet diese Behauptungen mit großer Entschiedenheit; der Verfasser jener Be¬ schwerden kenne die Verhältnisse nicht, könne sie gar nicht kennen, da er eben nicht Lehrer sei, er habe sich jedenfalls nur von seinem „Herrn Sohn" etwas zutragen lassen; von allen seinen Behauptungen sei genau das Gegenteil der Fall. Wie gewöhnlich, so wird Wohl mich hier das Richtige in der Mitte liegen. Jeder von beiden — der Vater wie der Lehrer — hat seine Persönlichen Erfah¬ rungen etwas kühn verallgemeinert, der eine behauptet zu viel, der andre will zu wenig zugeben. Möge also noch einem Dritten das Wort vergönnt sein, der lange genug Schüler und — Lehrer gewesen ist, um zu wissen, wies zugeht, aber auch lange genug in andern Wirkungskreisen gestanden hat, um die Dinge auch noch von einem etwas andern Standpunkte als dem des Lehrers ansehen zu können, ums übrigens schon während seiner Lehrerzeit sein stetes Bemühen war, ihn damals freilich etwas in den Geruch der Ketzerei brachte. Daß es im Lehrerberufe, wie in jedem andern höhern Berufe, ich Null gar nicht sagen geistvolle und geistlose, aber einsichtige und weniger einsichtige, freiere und beschränktere Köpfe giebt, das wird Wohl auch der Verfasser der Erwiderung nicht leugnen wollen. Oder sollte er in seiner Lehrerlanfbahn immer nur mit Männern der erstem Art in Berührung gekommen sein? Dann wäre er und die Schulen, wo das geschehen wäre, im höchsten Grade glücklich zu preisen. Ich glaube nicht recht daran. Daß unsre Sprache gern alle engherzig Pedantische Be¬ handlung einer Sache mit den Wörtern „schulmeistern, Schulmeistere!, schulmeister¬ haft" bezeichnet, spricht nicht gerade dafür, daß der Lehrerstand aus lauter Geistern

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/526>, abgerufen am 06.05.2024.