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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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Geschichtsphilosophische Gedanken
Nachtrag.

Während der Drucklegung dieser Zeilen hat in der Sitzung
des Reichstags vom 13. März 18!) l nochmals eine Debatte über das Verbot
der Einfuhr des amerikanischen Schweinefleisches stattgefunden, aus der wir
folgendes ergänzend nachtragen. In endlicher Anerkennung der Thatsache,
daß die heimischen Fleischprvdukte in gesundheitlicher Beziehung zu den größten
Bedenken Veranlassung geben, hat die amerikanische Regierung schon im Jahre 1890
ein Gesetz über die Fleischschnu erlassen, das jedoch sogar in Amerika selbst
als ungenügend bezeichnet worden ist. Darnach war weder eine mikroskopische
noch überhaupt eine thatsächlich obligatorische Untersuchung vorgeschrieben,
sondern beides lediglich in das Belieben der Exporteure gestellt worden. Daher
hat man denn das Gesetz in so fern zu verbessern gesucht, als das von den
gesund befundenen Tieren herrührende Fleisch mit besondern Kennzeichen ver¬
sehen werden soll; wie jedoch und in welchem Umfange, vor allein aber mit
welcher thatsächlichen Wirkung dieses verbesserte Gesetz angewandt worden ist
oder werden soll, darüber fehlen bis jetzt alle Nachweise, so daß die nun
einmal von seiten Amerikas selbst zugestandene Trichinengefahr nach wie vor
als fortbestehend angesehen werden muß. Und diese Gefahr kann auch dadurch
uicht als ohne weiteres beseitigt angesehen werden, daß mau in unsern Ein¬
fuhrhäfen eine Trichinenschau einrichten will, denn auch diese wird bei der
Schwierigkeit ihrer Ausübung wegen der kolossalen Geschäftslast bei wirklich
flottgehcnder Einfuhr niemals vollständig zuverlässig werden. In dieser Rich¬
tung bietet die erwähnte Denkschrift der belgischen Regierung ebenfalls die
beachtenswertesten Mahnungen zur Vorsicht dar, und es muß unsern Behörden
zum hohen Verdienst angerechnet werden, daß sie zwar der Aufhebung des
gedachten Verbotes durchaus nicht schlechterdings verneinend gegenüberstehn,
anderseits aber doch auch zugleich die Gesundheit von Millionen wachsam im
Auge behalten.




Geschichtsphilosophische Gedanken
v g ^ . ' .

aß jeder Mensch, jedes Volk, jedes Zeitalter Aufgaben zu lösen
finde, ist der Zweck aller geschichtlichen Veränderungen. Daher
oürfen die drei großen Fragen des Menschengeschlechts, die meta¬
physische, die religiös-kirchliche, die politisch-soziale, niemals gelöst
werden, denn die Arbeit an ihrer Lösung bildet eben den Inhalt
der Geschichte. "Nachdem zu Hegels Zeit die vernünftige Monarchie erreicht
(worden?) ist, also der Geist sich selbst gefunden hat. hat die Geschichte kein Ziel


Geschichtsphilosophische Gedanken
Nachtrag.

Während der Drucklegung dieser Zeilen hat in der Sitzung
des Reichstags vom 13. März 18!) l nochmals eine Debatte über das Verbot
der Einfuhr des amerikanischen Schweinefleisches stattgefunden, aus der wir
folgendes ergänzend nachtragen. In endlicher Anerkennung der Thatsache,
daß die heimischen Fleischprvdukte in gesundheitlicher Beziehung zu den größten
Bedenken Veranlassung geben, hat die amerikanische Regierung schon im Jahre 1890
ein Gesetz über die Fleischschnu erlassen, das jedoch sogar in Amerika selbst
als ungenügend bezeichnet worden ist. Darnach war weder eine mikroskopische
noch überhaupt eine thatsächlich obligatorische Untersuchung vorgeschrieben,
sondern beides lediglich in das Belieben der Exporteure gestellt worden. Daher
hat man denn das Gesetz in so fern zu verbessern gesucht, als das von den
gesund befundenen Tieren herrührende Fleisch mit besondern Kennzeichen ver¬
sehen werden soll; wie jedoch und in welchem Umfange, vor allein aber mit
welcher thatsächlichen Wirkung dieses verbesserte Gesetz angewandt worden ist
oder werden soll, darüber fehlen bis jetzt alle Nachweise, so daß die nun
einmal von seiten Amerikas selbst zugestandene Trichinengefahr nach wie vor
als fortbestehend angesehen werden muß. Und diese Gefahr kann auch dadurch
uicht als ohne weiteres beseitigt angesehen werden, daß mau in unsern Ein¬
fuhrhäfen eine Trichinenschau einrichten will, denn auch diese wird bei der
Schwierigkeit ihrer Ausübung wegen der kolossalen Geschäftslast bei wirklich
flottgehcnder Einfuhr niemals vollständig zuverlässig werden. In dieser Rich¬
tung bietet die erwähnte Denkschrift der belgischen Regierung ebenfalls die
beachtenswertesten Mahnungen zur Vorsicht dar, und es muß unsern Behörden
zum hohen Verdienst angerechnet werden, daß sie zwar der Aufhebung des
gedachten Verbotes durchaus nicht schlechterdings verneinend gegenüberstehn,
anderseits aber doch auch zugleich die Gesundheit von Millionen wachsam im
Auge behalten.




Geschichtsphilosophische Gedanken
v g ^ . ' .

aß jeder Mensch, jedes Volk, jedes Zeitalter Aufgaben zu lösen
finde, ist der Zweck aller geschichtlichen Veränderungen. Daher
oürfen die drei großen Fragen des Menschengeschlechts, die meta¬
physische, die religiös-kirchliche, die politisch-soziale, niemals gelöst
werden, denn die Arbeit an ihrer Lösung bildet eben den Inhalt
der Geschichte. „Nachdem zu Hegels Zeit die vernünftige Monarchie erreicht
(worden?) ist, also der Geist sich selbst gefunden hat. hat die Geschichte kein Ziel


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[0595] Geschichtsphilosophische Gedanken Nachtrag. Während der Drucklegung dieser Zeilen hat in der Sitzung des Reichstags vom 13. März 18!) l nochmals eine Debatte über das Verbot der Einfuhr des amerikanischen Schweinefleisches stattgefunden, aus der wir folgendes ergänzend nachtragen. In endlicher Anerkennung der Thatsache, daß die heimischen Fleischprvdukte in gesundheitlicher Beziehung zu den größten Bedenken Veranlassung geben, hat die amerikanische Regierung schon im Jahre 1890 ein Gesetz über die Fleischschnu erlassen, das jedoch sogar in Amerika selbst als ungenügend bezeichnet worden ist. Darnach war weder eine mikroskopische noch überhaupt eine thatsächlich obligatorische Untersuchung vorgeschrieben, sondern beides lediglich in das Belieben der Exporteure gestellt worden. Daher hat man denn das Gesetz in so fern zu verbessern gesucht, als das von den gesund befundenen Tieren herrührende Fleisch mit besondern Kennzeichen ver¬ sehen werden soll; wie jedoch und in welchem Umfange, vor allein aber mit welcher thatsächlichen Wirkung dieses verbesserte Gesetz angewandt worden ist oder werden soll, darüber fehlen bis jetzt alle Nachweise, so daß die nun einmal von seiten Amerikas selbst zugestandene Trichinengefahr nach wie vor als fortbestehend angesehen werden muß. Und diese Gefahr kann auch dadurch uicht als ohne weiteres beseitigt angesehen werden, daß mau in unsern Ein¬ fuhrhäfen eine Trichinenschau einrichten will, denn auch diese wird bei der Schwierigkeit ihrer Ausübung wegen der kolossalen Geschäftslast bei wirklich flottgehcnder Einfuhr niemals vollständig zuverlässig werden. In dieser Rich¬ tung bietet die erwähnte Denkschrift der belgischen Regierung ebenfalls die beachtenswertesten Mahnungen zur Vorsicht dar, und es muß unsern Behörden zum hohen Verdienst angerechnet werden, daß sie zwar der Aufhebung des gedachten Verbotes durchaus nicht schlechterdings verneinend gegenüberstehn, anderseits aber doch auch zugleich die Gesundheit von Millionen wachsam im Auge behalten. Geschichtsphilosophische Gedanken v g ^ . ' . aß jeder Mensch, jedes Volk, jedes Zeitalter Aufgaben zu lösen finde, ist der Zweck aller geschichtlichen Veränderungen. Daher oürfen die drei großen Fragen des Menschengeschlechts, die meta¬ physische, die religiös-kirchliche, die politisch-soziale, niemals gelöst werden, denn die Arbeit an ihrer Lösung bildet eben den Inhalt der Geschichte. „Nachdem zu Hegels Zeit die vernünftige Monarchie erreicht (worden?) ist, also der Geist sich selbst gefunden hat. hat die Geschichte kein Ziel

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/595>, abgerufen am 05.05.2024.