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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

geordnetsten Gesellschaftskreise hiuuutergesickert. daß mau förmlich stolz drauf
sein kann, in seinen Gesellschnftskr<iseu ganz unberührt davon geblieben zu
sein Den Wiener Sprachuurat aber, deu wollen wir uns doch ein für alle¬
mal vom Halse halten. Das fehlte noch, daß die Sprache Lessings und
Goethes hundert Jahre später durch Wiener Zeitungsdeutsch "aufgebessert"

(FvNsetmnn, final)




Maßgebliches und Unmaßgebliches

Münchner Flugschriften. Mit den "Modernen" ergeht es uns wie mit
den Sozinldemolratcn. Begierig greifen wir nach jeder neuen Proklamation in
der Hoffnung, endlich einmal nicht in, Orakelsprüchen, sondern in gemeinverständ¬
lichen^ klaren Worten das Programm ' der Gemeinde zu erhalten, und immer wieder
werden wir mit Sätzen abgespeist, bei denen sich wahrscheinlich die Eingeweihten
etwas bestimmtes denken, die aber für die Außenstehenden eine verfängliche Ähn¬
lichkeit mit deu Thronreden Sarastrvs haben. Auch die von Dr. M. G. Conrad,
der ja wohl die Würde des Hohenpriesters der Modernen bekleidet, herausgegebnen
Münchner Flugschriften (1. Die Moderne, Vortrag von M. G. C. 2. Deutsche
Lvrik von hente, Vortrag von O. I. Bierbaum) bieten nichts Neues, als die
Mitteilung, daß in München eine "Gesellschaft für modernes Leben" nnter Dr.
Conrads Vorsitz gegründet worden ist. Die Gesellschaft "stellt sich zur Aufgabe
die Pflege und Verbreitung modernen schöpferischen Geistes auf allen Gebieten"
und veranstaltet zu diesem Zwecke Vortragsabende, an denen "einschlägige Fragen
theoretisch ^"d dnrch Vorlesung moderner Geisteswerke jeder Gattung beleuchtet
werden," sie wird eine "freie Bühne" errichten, Sonderausstelluugeu vou ,,die
moderne Entwicklung besonders kennzeichnenden Werken der der Gesellschaft an-
aelwrenden bildenden Künstler" veranstalten und endlich eine Zeitschrift herausgeben
I- wohl eben die Flugblätter. Daß die Moderne modern ist, geht allerdings aus
diesen Sätzen hervor, denen sich die Verlagshandlung mit der Versicherung an¬
schließt, fie sei "mit dem modernsten Letternmaterial reichhaltig assortirt." Leider
klären uns auch diese Lettern nicht ans, denn abgesehen von einigen Schnörkeln an
den Titelschristen sehen sie den allgemein gebräuchlichen täuschend ähnlich. Die
fortwährende Wiederholung des einen Schlagworts macht uns nicht klüger, als den
,",.,, Poeten, dem seiue Wirtin mit der Polizei drohte, der Schlußtruuipf: "Weiß
? was die Polizei ist? Das ist die - Polizei!"

Haben wir jene Summe eigenartiger geistiger Frucht auf allen Feldern der
'Sö 'schaftlichen, litterarische", künstlerischen und sozialen Welterneuerung (!), daß
' ins einen positiven Inhalt zu dem Begriff der Moderne in reicher Maunich-
!^^it leisten können?" fragt Conrad und antwortet sich selbst: "Ja. wir haben
it o' - ' die Hand ans Werk!" Auf staatliche Fürsorge dürfe nicht gewartet
1"'/" ' Der harmonische, vernünftige, menschlichedle Neubau des Lebens muß
^'^ gefährlichen Krisen behütet werde"." darau will die Gesellschaft mitwirken durch^


Grmzboien I INI 78
Maßgebliches und Unmaßgebliches

geordnetsten Gesellschaftskreise hiuuutergesickert. daß mau förmlich stolz drauf
sein kann, in seinen Gesellschnftskr<iseu ganz unberührt davon geblieben zu
sein Den Wiener Sprachuurat aber, deu wollen wir uns doch ein für alle¬
mal vom Halse halten. Das fehlte noch, daß die Sprache Lessings und
Goethes hundert Jahre später durch Wiener Zeitungsdeutsch „aufgebessert"

(FvNsetmnn, final)




Maßgebliches und Unmaßgebliches

Münchner Flugschriften. Mit den „Modernen" ergeht es uns wie mit
den Sozinldemolratcn. Begierig greifen wir nach jeder neuen Proklamation in
der Hoffnung, endlich einmal nicht in, Orakelsprüchen, sondern in gemeinverständ¬
lichen^ klaren Worten das Programm ' der Gemeinde zu erhalten, und immer wieder
werden wir mit Sätzen abgespeist, bei denen sich wahrscheinlich die Eingeweihten
etwas bestimmtes denken, die aber für die Außenstehenden eine verfängliche Ähn¬
lichkeit mit deu Thronreden Sarastrvs haben. Auch die von Dr. M. G. Conrad,
der ja wohl die Würde des Hohenpriesters der Modernen bekleidet, herausgegebnen
Münchner Flugschriften (1. Die Moderne, Vortrag von M. G. C. 2. Deutsche
Lvrik von hente, Vortrag von O. I. Bierbaum) bieten nichts Neues, als die
Mitteilung, daß in München eine „Gesellschaft für modernes Leben" nnter Dr.
Conrads Vorsitz gegründet worden ist. Die Gesellschaft „stellt sich zur Aufgabe
die Pflege und Verbreitung modernen schöpferischen Geistes auf allen Gebieten"
und veranstaltet zu diesem Zwecke Vortragsabende, an denen „einschlägige Fragen
theoretisch ^„d dnrch Vorlesung moderner Geisteswerke jeder Gattung beleuchtet
werden," sie wird eine „freie Bühne" errichten, Sonderausstelluugeu vou ,,die
moderne Entwicklung besonders kennzeichnenden Werken der der Gesellschaft an-
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I- wohl eben die Flugblätter. Daß die Moderne modern ist, geht allerdings aus
diesen Sätzen hervor, denen sich die Verlagshandlung mit der Versicherung an¬
schließt, fie sei „mit dem modernsten Letternmaterial reichhaltig assortirt." Leider
klären uns auch diese Lettern nicht ans, denn abgesehen von einigen Schnörkeln an
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fortwährende Wiederholung des einen Schlagworts macht uns nicht klüger, als den
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? was die Polizei ist? Das ist die - Polizei!"

Haben wir jene Summe eigenartiger geistiger Frucht auf allen Feldern der
'Sö 'schaftlichen, litterarische», künstlerischen und sozialen Welterneuerung (!), daß
' ins einen positiven Inhalt zu dem Begriff der Moderne in reicher Maunich-
!^^it leisten können?" fragt Conrad und antwortet sich selbst: „Ja. wir haben
it o' - ' die Hand ans Werk!" Auf staatliche Fürsorge dürfe nicht gewartet
1"'/" ' Der harmonische, vernünftige, menschlichedle Neubau des Lebens muß
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[0625] Maßgebliches und Unmaßgebliches geordnetsten Gesellschaftskreise hiuuutergesickert. daß mau förmlich stolz drauf sein kann, in seinen Gesellschnftskr<iseu ganz unberührt davon geblieben zu sein Den Wiener Sprachuurat aber, deu wollen wir uns doch ein für alle¬ mal vom Halse halten. Das fehlte noch, daß die Sprache Lessings und Goethes hundert Jahre später durch Wiener Zeitungsdeutsch „aufgebessert" (FvNsetmnn, final) Maßgebliches und Unmaßgebliches Münchner Flugschriften. Mit den „Modernen" ergeht es uns wie mit den Sozinldemolratcn. Begierig greifen wir nach jeder neuen Proklamation in der Hoffnung, endlich einmal nicht in, Orakelsprüchen, sondern in gemeinverständ¬ lichen^ klaren Worten das Programm ' der Gemeinde zu erhalten, und immer wieder werden wir mit Sätzen abgespeist, bei denen sich wahrscheinlich die Eingeweihten etwas bestimmtes denken, die aber für die Außenstehenden eine verfängliche Ähn¬ lichkeit mit deu Thronreden Sarastrvs haben. Auch die von Dr. M. G. Conrad, der ja wohl die Würde des Hohenpriesters der Modernen bekleidet, herausgegebnen Münchner Flugschriften (1. Die Moderne, Vortrag von M. G. C. 2. Deutsche Lvrik von hente, Vortrag von O. I. Bierbaum) bieten nichts Neues, als die Mitteilung, daß in München eine „Gesellschaft für modernes Leben" nnter Dr. Conrads Vorsitz gegründet worden ist. Die Gesellschaft „stellt sich zur Aufgabe die Pflege und Verbreitung modernen schöpferischen Geistes auf allen Gebieten" und veranstaltet zu diesem Zwecke Vortragsabende, an denen „einschlägige Fragen theoretisch ^„d dnrch Vorlesung moderner Geisteswerke jeder Gattung beleuchtet werden," sie wird eine „freie Bühne" errichten, Sonderausstelluugeu vou ,,die moderne Entwicklung besonders kennzeichnenden Werken der der Gesellschaft an- aelwrenden bildenden Künstler" veranstalten und endlich eine Zeitschrift herausgeben I- wohl eben die Flugblätter. Daß die Moderne modern ist, geht allerdings aus diesen Sätzen hervor, denen sich die Verlagshandlung mit der Versicherung an¬ schließt, fie sei „mit dem modernsten Letternmaterial reichhaltig assortirt." Leider klären uns auch diese Lettern nicht ans, denn abgesehen von einigen Schnörkeln an den Titelschristen sehen sie den allgemein gebräuchlichen täuschend ähnlich. Die fortwährende Wiederholung des einen Schlagworts macht uns nicht klüger, als den ,»,.,, Poeten, dem seiue Wirtin mit der Polizei drohte, der Schlußtruuipf: „Weiß ? was die Polizei ist? Das ist die - Polizei!" Haben wir jene Summe eigenartiger geistiger Frucht auf allen Feldern der 'Sö 'schaftlichen, litterarische», künstlerischen und sozialen Welterneuerung (!), daß ' ins einen positiven Inhalt zu dem Begriff der Moderne in reicher Maunich- !^^it leisten können?" fragt Conrad und antwortet sich selbst: „Ja. wir haben it o' - ' die Hand ans Werk!" Auf staatliche Fürsorge dürfe nicht gewartet 1"'/" ' Der harmonische, vernünftige, menschlichedle Neubau des Lebens muß ^'^ gefährlichen Krisen behütet werde»." darau will die Gesellschaft mitwirken durch^ Grmzboien I INI 78

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/625>, abgerufen am 06.05.2024.