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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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^osegger als Dramatiker

zweiten Winter i" Leipzig graute. Er hätte bei seinen freundlichen Wirts-
leuten, obgleich er immer vertrauter mit ihnen geworden war, Spaziergänge
mit ihren Kindern unternahm, sich Anfang August sogar von ihnen bereden
ließ, dem "Fischerstechen" ans der Funkeuburg beizuwohnen und unter sechs-
bis zehntausend Menschen, die den Teich umstände", tapfer mit auszuhalten,
nicht gut wohnen bleiben können, da ihm die Eisenbahustraße zu weit vom
Gewandhans und Theater zu, sein schien. Und so leitete denn ein Brief an
Karl Schalter vom 1. Oktober l>!'l<>, kaum ein Jahr nach seiner ersten An¬
kunft, das Verlassen Leipzigs und die Rückkehr in die Heimat ein: "Diesen
Winter sprechen wir uns vielleicht. Mendelssohn-Bartholdh hat mir geraten,
Partituren zu studiren, und sich gewundert, daß ich das nicht in Meiningen
thue, wo ich eS so gut könne als hier. Hier fehlt mir das ^eben in der
Musik, ich meine so recht mitten drinne, ebenso wie in Eisfeld. Mit den
hiesigen großstädtischen Musikern kann man gar nicht so bekannt werden, als
zu einem gemeinsamen thätigen Leben in der Kunst gehört. In Meiningen
würde ich mich an dem Privatmusiktreibeu der Musiker teilnehmen können,
z. B. Sonaten mit Begleitung eines Instruments selbst mit ausführen, was
doch weit nützlicher als das bloße Hören, was hier noch dazu, unsinniges Geld
kostet, sodaß ich mir viel davon versagen muß. Zweitens würde ich auf
diese Art eigne Sachen hören können, was hier mit Versuche" nicht angeht
und doch die Hauptsache ist. - Nach einem Aufenthalte in Meiningen würde
ein Winter in Leipzig mich mehr fördern, als ohne jenen sechs!"

Niemand, der dem geschilderten innern Leben Ludwigs mit Anteil gefolgt ist,
wird bezweifeln, daß noch ganz andre Beweggründe, als die Sorge um seine
Zukunft als Musiker, ihn drängten, Leipzig zu verlassen, und daß der erste
Schritt aus Leipzig hinaus und in die vor einem Jahre verlassenen Heimat-
verhältnisse zurück auch der entscheidende Schritt zu andern Lebensplänen und
Lebenszielen werden mußte, so entschieden der Dichter mich jetzt noch den Ge¬
danken festzuhalten schien, der ihn nach der Musikstadt an der Pleiße geführt hatte.




2^osegger als Dramatiker

aß sich ein erfolgreicher Erzähler mit dem Ruhme, ein guter
Novellist zu sein, nicht begnügt, sonder" auf die Bühne kommen
will, darf keineswegs immer bloß durch das Bedürfnis, reichere
Einnahmen zu erzielen, erklärt werden, wie es boshafte Rezen¬
senten gern thun. Die Bühne hat durch die ungleich mächtigere
Wirkung, die sie, mit dein Buche verglichen, ausübt, noch auf jeden Dichter
einen dämonischen Reiz geübt; ein Bühnenwerk beschäftigt auch die Kritik "ud


^osegger als Dramatiker

zweiten Winter i» Leipzig graute. Er hätte bei seinen freundlichen Wirts-
leuten, obgleich er immer vertrauter mit ihnen geworden war, Spaziergänge
mit ihren Kindern unternahm, sich Anfang August sogar von ihnen bereden
ließ, dem „Fischerstechen" ans der Funkeuburg beizuwohnen und unter sechs-
bis zehntausend Menschen, die den Teich umstände», tapfer mit auszuhalten,
nicht gut wohnen bleiben können, da ihm die Eisenbahustraße zu weit vom
Gewandhans und Theater zu, sein schien. Und so leitete denn ein Brief an
Karl Schalter vom 1. Oktober l>!'l<>, kaum ein Jahr nach seiner ersten An¬
kunft, das Verlassen Leipzigs und die Rückkehr in die Heimat ein: „Diesen
Winter sprechen wir uns vielleicht. Mendelssohn-Bartholdh hat mir geraten,
Partituren zu studiren, und sich gewundert, daß ich das nicht in Meiningen
thue, wo ich eS so gut könne als hier. Hier fehlt mir das ^eben in der
Musik, ich meine so recht mitten drinne, ebenso wie in Eisfeld. Mit den
hiesigen großstädtischen Musikern kann man gar nicht so bekannt werden, als
zu einem gemeinsamen thätigen Leben in der Kunst gehört. In Meiningen
würde ich mich an dem Privatmusiktreibeu der Musiker teilnehmen können,
z. B. Sonaten mit Begleitung eines Instruments selbst mit ausführen, was
doch weit nützlicher als das bloße Hören, was hier noch dazu, unsinniges Geld
kostet, sodaß ich mir viel davon versagen muß. Zweitens würde ich auf
diese Art eigne Sachen hören können, was hier mit Versuche» nicht angeht
und doch die Hauptsache ist. - Nach einem Aufenthalte in Meiningen würde
ein Winter in Leipzig mich mehr fördern, als ohne jenen sechs!"

Niemand, der dem geschilderten innern Leben Ludwigs mit Anteil gefolgt ist,
wird bezweifeln, daß noch ganz andre Beweggründe, als die Sorge um seine
Zukunft als Musiker, ihn drängten, Leipzig zu verlassen, und daß der erste
Schritt aus Leipzig hinaus und in die vor einem Jahre verlassenen Heimat-
verhältnisse zurück auch der entscheidende Schritt zu andern Lebensplänen und
Lebenszielen werden mußte, so entschieden der Dichter mich jetzt noch den Ge¬
danken festzuhalten schien, der ihn nach der Musikstadt an der Pleiße geführt hatte.




2^osegger als Dramatiker

aß sich ein erfolgreicher Erzähler mit dem Ruhme, ein guter
Novellist zu sein, nicht begnügt, sonder» auf die Bühne kommen
will, darf keineswegs immer bloß durch das Bedürfnis, reichere
Einnahmen zu erzielen, erklärt werden, wie es boshafte Rezen¬
senten gern thun. Die Bühne hat durch die ungleich mächtigere
Wirkung, die sie, mit dein Buche verglichen, ausübt, noch auf jeden Dichter
einen dämonischen Reiz geübt; ein Bühnenwerk beschäftigt auch die Kritik »ud


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[0098] ^osegger als Dramatiker zweiten Winter i» Leipzig graute. Er hätte bei seinen freundlichen Wirts- leuten, obgleich er immer vertrauter mit ihnen geworden war, Spaziergänge mit ihren Kindern unternahm, sich Anfang August sogar von ihnen bereden ließ, dem „Fischerstechen" ans der Funkeuburg beizuwohnen und unter sechs- bis zehntausend Menschen, die den Teich umstände», tapfer mit auszuhalten, nicht gut wohnen bleiben können, da ihm die Eisenbahustraße zu weit vom Gewandhans und Theater zu, sein schien. Und so leitete denn ein Brief an Karl Schalter vom 1. Oktober l>!'l<>, kaum ein Jahr nach seiner ersten An¬ kunft, das Verlassen Leipzigs und die Rückkehr in die Heimat ein: „Diesen Winter sprechen wir uns vielleicht. Mendelssohn-Bartholdh hat mir geraten, Partituren zu studiren, und sich gewundert, daß ich das nicht in Meiningen thue, wo ich eS so gut könne als hier. Hier fehlt mir das ^eben in der Musik, ich meine so recht mitten drinne, ebenso wie in Eisfeld. Mit den hiesigen großstädtischen Musikern kann man gar nicht so bekannt werden, als zu einem gemeinsamen thätigen Leben in der Kunst gehört. In Meiningen würde ich mich an dem Privatmusiktreibeu der Musiker teilnehmen können, z. B. Sonaten mit Begleitung eines Instruments selbst mit ausführen, was doch weit nützlicher als das bloße Hören, was hier noch dazu, unsinniges Geld kostet, sodaß ich mir viel davon versagen muß. Zweitens würde ich auf diese Art eigne Sachen hören können, was hier mit Versuche» nicht angeht und doch die Hauptsache ist. - Nach einem Aufenthalte in Meiningen würde ein Winter in Leipzig mich mehr fördern, als ohne jenen sechs!" Niemand, der dem geschilderten innern Leben Ludwigs mit Anteil gefolgt ist, wird bezweifeln, daß noch ganz andre Beweggründe, als die Sorge um seine Zukunft als Musiker, ihn drängten, Leipzig zu verlassen, und daß der erste Schritt aus Leipzig hinaus und in die vor einem Jahre verlassenen Heimat- verhältnisse zurück auch der entscheidende Schritt zu andern Lebensplänen und Lebenszielen werden mußte, so entschieden der Dichter mich jetzt noch den Ge¬ danken festzuhalten schien, der ihn nach der Musikstadt an der Pleiße geführt hatte. 2^osegger als Dramatiker aß sich ein erfolgreicher Erzähler mit dem Ruhme, ein guter Novellist zu sein, nicht begnügt, sonder» auf die Bühne kommen will, darf keineswegs immer bloß durch das Bedürfnis, reichere Einnahmen zu erzielen, erklärt werden, wie es boshafte Rezen¬ senten gern thun. Die Bühne hat durch die ungleich mächtigere Wirkung, die sie, mit dein Buche verglichen, ausübt, noch auf jeden Dichter einen dämonischen Reiz geübt; ein Bühnenwerk beschäftigt auch die Kritik »ud

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/98>, abgerufen am 06.05.2024.