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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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Die neu gefundene Lchrift des Aristoteles

Leichenfeier umstanden die höchsten Würdenträger des Reichs und Preußens
den Sarg und hörten die Rede mit an, die der höchste katholische Geistliche
des preußischen Staates zur Lobpreisung des Dahingeschiedenen hielt, und die
mit den Worten schloß: "Wir alle bezeugen ihm an seinem Sarge, daß er
einen guten Kampf gekämpft. Gott gebe uns, wofür er gekämpft, was er
erhofft." So berichtet der Reichsanzeiger.

Mitunter scheint die Weltgeschichte an einzelnen Erscheinungen recht auf¬
fällig zeigen zu wollen, welch ein sonderbares Ding doch die Politik ist.




Die neu gefundene Schrift des Aristoteles

ins der berühmtesten Werke des Aristoteles, die "Politieu" mit
den Verfassungen von eiuhundertachtundfünfzig Staaten, oft zitirt
von spätern Schriftstellern, glaubte man noch vor kurzem mit
> Ausnahme der Zitate gänzlich verloren: jetzt ist in Papyrus-
tollen, die man aus ägyptischen Gräbern ans Licht gezogen hat,
der Hauptteil des Werkes, die "Verfassung Athens" gefunden worden. Als
die Rollen dem Britischen Museum, zu dessen größten Schützen sie jetzt zählen,
zum Ankaufe vorlagen, war ihr wertvoller Inhalt den Verkäufern wie den
Käufern noch gleich unbekannt; aber als man sich an die Entzifferung der
vier Rollen machte, da konnte es nicht lange zweifelhaft bleiben, daß mau
wirklich des Aristoteles "Athenische Verfassung" in den Händen habe. Denn ganz
abgesehen davon, daß von vornherein der Inhalt und die Vehandlnngsweise
darauf hinwies: von den achtundfunfzig Stellen des Werkes, die in der spätern
Litteratur mit ausdrücklicher Angabe der Quelle zitirt werden, fand man in
den entzifferten Abschnitten der Papyrusrollen fünfundfünfzig, zum Teil in
richtigerer Fassung, wieder.

Der ersten Nachricht, die von dem kostbaren neuen Funde verlautete,
folgte seine Veröffentlichung") auf dem Fuße nach; im Auftrage der Direktion
des Britischen Museums hat Herr Kenyon, Universitätslehrer zu Oxford und
Beamter in der Bibliothek der Manuskrirte des Britischen Museums, die
v<M-z xriueexs, die jetzt (im März) bereits in zweiter Auflage vorliegt, mit
großer Genauigkeit und Gründlichkeit besorgt. Das Werk wird unsre Philo-



*) ^ristotlo, On tus oonst.nul.ioii L^ileiis vit. Ix/ Z?. 0. Xon/on, AI. ^ ,
it. sa., Lvia,!"t et"o'Nllsvnm, 1891.
Die neu gefundene Lchrift des Aristoteles

Leichenfeier umstanden die höchsten Würdenträger des Reichs und Preußens
den Sarg und hörten die Rede mit an, die der höchste katholische Geistliche
des preußischen Staates zur Lobpreisung des Dahingeschiedenen hielt, und die
mit den Worten schloß: „Wir alle bezeugen ihm an seinem Sarge, daß er
einen guten Kampf gekämpft. Gott gebe uns, wofür er gekämpft, was er
erhofft." So berichtet der Reichsanzeiger.

Mitunter scheint die Weltgeschichte an einzelnen Erscheinungen recht auf¬
fällig zeigen zu wollen, welch ein sonderbares Ding doch die Politik ist.




Die neu gefundene Schrift des Aristoteles

ins der berühmtesten Werke des Aristoteles, die „Politieu" mit
den Verfassungen von eiuhundertachtundfünfzig Staaten, oft zitirt
von spätern Schriftstellern, glaubte man noch vor kurzem mit
> Ausnahme der Zitate gänzlich verloren: jetzt ist in Papyrus-
tollen, die man aus ägyptischen Gräbern ans Licht gezogen hat,
der Hauptteil des Werkes, die „Verfassung Athens" gefunden worden. Als
die Rollen dem Britischen Museum, zu dessen größten Schützen sie jetzt zählen,
zum Ankaufe vorlagen, war ihr wertvoller Inhalt den Verkäufern wie den
Käufern noch gleich unbekannt; aber als man sich an die Entzifferung der
vier Rollen machte, da konnte es nicht lange zweifelhaft bleiben, daß mau
wirklich des Aristoteles „Athenische Verfassung" in den Händen habe. Denn ganz
abgesehen davon, daß von vornherein der Inhalt und die Vehandlnngsweise
darauf hinwies: von den achtundfunfzig Stellen des Werkes, die in der spätern
Litteratur mit ausdrücklicher Angabe der Quelle zitirt werden, fand man in
den entzifferten Abschnitten der Papyrusrollen fünfundfünfzig, zum Teil in
richtigerer Fassung, wieder.

Der ersten Nachricht, die von dem kostbaren neuen Funde verlautete,
folgte seine Veröffentlichung") auf dem Fuße nach; im Auftrage der Direktion
des Britischen Museums hat Herr Kenyon, Universitätslehrer zu Oxford und
Beamter in der Bibliothek der Manuskrirte des Britischen Museums, die
v<M-z xriueexs, die jetzt (im März) bereits in zweiter Auflage vorliegt, mit
großer Genauigkeit und Gründlichkeit besorgt. Das Werk wird unsre Philo-



*) ^ristotlo, On tus oonst.nul.ioii L^ileiis vit. Ix/ Z?. 0. Xon/on, AI. ^ ,
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/23>, abgerufen am 04.05.2024.