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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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Das mittelalterliche Sektenivesen

wenn auch nnter Entlehnung eines lehnrechtlichen Ausdrucks -- verlangen,
der Staat, die Gesamtheit, war Obereigentümer von allein Grund und Boden.

In unserm Hvhlenprozeß, haben wir gesehen, war es nahe daran, daß
die beiden streitenden Gemeinden zwischen ihren Höhlenanteilen eine Mauer
aufgerichtet und damit das Kunstwerk der Natur zerstört, verhunzt hätten.
Nach geltendem Recht hätte der Staat hiergegen so wenig einschreiten können,
wie gegen den von den Schopflochern geplanten Stollenban. Nach dem von uns
gehofften einheitlichen Recht der Zukunft wäre er befugt, in solchem Fall ein
Verbot auszusprechen, weil auch die Gemeinde nicht vollständige, oberste (sou¬
veräne) Herrin über ihre Markung ist, ihr Grundeigentum uicht zum Schade"
der Wirtschaft oder der Wissenschaft oder der Kunst willkürlich und mutwillig
vernichten darf. Wird unsre Hoffnung ans ein solches Recht in Erfüllung
gehen? Das hängt von den Entschlüssen des deutscheu Volkes und seiner
Vertreter ab: sie werden zu'wählen haben zwischen diesem künftigen Recht des
Staates und einer längern oder kürzern Probe der rechts- und staatsloseu Glück¬
seligkeit der sozialdemokratischen Gesellschaftsordnung. Mögen sie die rechte
Wahl treffen, ehe es zu spät ist.




Das mittelalterliche Hektenwesen
(Schluß)

i
nne mau die Hierarchie als eine geschichtlich gewordene
Körperschaft, die mit Reichtümern, Machtmitteln und Macht¬
befugnissen ausgerüstet und mit obrigkeitlichen Verpflichtungen
belastet war, so wird mau es selbstverständlich finden, daß sie
die Sekten auszurotten suchte, und nur die grausame" Mittel
und das rohe Verfahren verurteilen, die dabei angewendet wurden. Die Grau¬
samkeit der kirchlichen und weltlichen Polizei- und Strafrechtspflege im Mittel¬
alter, die übrigens in Deutschland erst gegen das Jahr 1700 ihren Höhepunkt
erreichte, erklärt sich auf dieselbe Weise, wie die Grausamkeit unfähiger Schul¬
meister, die sich aus Feigheit oder Ungeschicklichkeit oder übel angebrachter
Güte eine Zeit lang auf der Nase herumspielen lassen und dann, nachdem
die Unordnung zu groß geworden ist, sich nicht anders zu helfen wissen, als
indem sie die Kinder braun und blau schlagen oder wie der kluge und weise
Bürgermeister van Bett schreien: Ja ja, das wird das beste sein, ja ja, ich


Das mittelalterliche Sektenivesen

wenn auch nnter Entlehnung eines lehnrechtlichen Ausdrucks — verlangen,
der Staat, die Gesamtheit, war Obereigentümer von allein Grund und Boden.

In unserm Hvhlenprozeß, haben wir gesehen, war es nahe daran, daß
die beiden streitenden Gemeinden zwischen ihren Höhlenanteilen eine Mauer
aufgerichtet und damit das Kunstwerk der Natur zerstört, verhunzt hätten.
Nach geltendem Recht hätte der Staat hiergegen so wenig einschreiten können,
wie gegen den von den Schopflochern geplanten Stollenban. Nach dem von uns
gehofften einheitlichen Recht der Zukunft wäre er befugt, in solchem Fall ein
Verbot auszusprechen, weil auch die Gemeinde nicht vollständige, oberste (sou¬
veräne) Herrin über ihre Markung ist, ihr Grundeigentum uicht zum Schade«
der Wirtschaft oder der Wissenschaft oder der Kunst willkürlich und mutwillig
vernichten darf. Wird unsre Hoffnung ans ein solches Recht in Erfüllung
gehen? Das hängt von den Entschlüssen des deutscheu Volkes und seiner
Vertreter ab: sie werden zu'wählen haben zwischen diesem künftigen Recht des
Staates und einer längern oder kürzern Probe der rechts- und staatsloseu Glück¬
seligkeit der sozialdemokratischen Gesellschaftsordnung. Mögen sie die rechte
Wahl treffen, ehe es zu spät ist.




Das mittelalterliche Hektenwesen
(Schluß)

i
nne mau die Hierarchie als eine geschichtlich gewordene
Körperschaft, die mit Reichtümern, Machtmitteln und Macht¬
befugnissen ausgerüstet und mit obrigkeitlichen Verpflichtungen
belastet war, so wird mau es selbstverständlich finden, daß sie
die Sekten auszurotten suchte, und nur die grausame» Mittel
und das rohe Verfahren verurteilen, die dabei angewendet wurden. Die Grau¬
samkeit der kirchlichen und weltlichen Polizei- und Strafrechtspflege im Mittel¬
alter, die übrigens in Deutschland erst gegen das Jahr 1700 ihren Höhepunkt
erreichte, erklärt sich auf dieselbe Weise, wie die Grausamkeit unfähiger Schul¬
meister, die sich aus Feigheit oder Ungeschicklichkeit oder übel angebrachter
Güte eine Zeit lang auf der Nase herumspielen lassen und dann, nachdem
die Unordnung zu groß geworden ist, sich nicht anders zu helfen wissen, als
indem sie die Kinder braun und blau schlagen oder wie der kluge und weise
Bürgermeister van Bett schreien: Ja ja, das wird das beste sein, ja ja, ich


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[0278] Das mittelalterliche Sektenivesen wenn auch nnter Entlehnung eines lehnrechtlichen Ausdrucks — verlangen, der Staat, die Gesamtheit, war Obereigentümer von allein Grund und Boden. In unserm Hvhlenprozeß, haben wir gesehen, war es nahe daran, daß die beiden streitenden Gemeinden zwischen ihren Höhlenanteilen eine Mauer aufgerichtet und damit das Kunstwerk der Natur zerstört, verhunzt hätten. Nach geltendem Recht hätte der Staat hiergegen so wenig einschreiten können, wie gegen den von den Schopflochern geplanten Stollenban. Nach dem von uns gehofften einheitlichen Recht der Zukunft wäre er befugt, in solchem Fall ein Verbot auszusprechen, weil auch die Gemeinde nicht vollständige, oberste (sou¬ veräne) Herrin über ihre Markung ist, ihr Grundeigentum uicht zum Schade« der Wirtschaft oder der Wissenschaft oder der Kunst willkürlich und mutwillig vernichten darf. Wird unsre Hoffnung ans ein solches Recht in Erfüllung gehen? Das hängt von den Entschlüssen des deutscheu Volkes und seiner Vertreter ab: sie werden zu'wählen haben zwischen diesem künftigen Recht des Staates und einer längern oder kürzern Probe der rechts- und staatsloseu Glück¬ seligkeit der sozialdemokratischen Gesellschaftsordnung. Mögen sie die rechte Wahl treffen, ehe es zu spät ist. Das mittelalterliche Hektenwesen (Schluß) i nne mau die Hierarchie als eine geschichtlich gewordene Körperschaft, die mit Reichtümern, Machtmitteln und Macht¬ befugnissen ausgerüstet und mit obrigkeitlichen Verpflichtungen belastet war, so wird mau es selbstverständlich finden, daß sie die Sekten auszurotten suchte, und nur die grausame» Mittel und das rohe Verfahren verurteilen, die dabei angewendet wurden. Die Grau¬ samkeit der kirchlichen und weltlichen Polizei- und Strafrechtspflege im Mittel¬ alter, die übrigens in Deutschland erst gegen das Jahr 1700 ihren Höhepunkt erreichte, erklärt sich auf dieselbe Weise, wie die Grausamkeit unfähiger Schul¬ meister, die sich aus Feigheit oder Ungeschicklichkeit oder übel angebrachter Güte eine Zeit lang auf der Nase herumspielen lassen und dann, nachdem die Unordnung zu groß geworden ist, sich nicht anders zu helfen wissen, als indem sie die Kinder braun und blau schlagen oder wie der kluge und weise Bürgermeister van Bett schreien: Ja ja, das wird das beste sein, ja ja, ich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/278>, abgerufen am 04.05.2024.