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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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Rokolostudien

ihm diese Zaghaftigkeit nicht einmal übelnehmen. Es ist wahrhaftig nichts
kleines, einen König von so argwöhnischer Gemütsart in der Mitte seiner
knechtischen Umgebung zur Rechenschaft zu ziehen, besonders wenn er gegen
diesen fast keinen Schritt thun kann, ohne die eigne Mutter, die er trotz
alledem zärtlich liebt, und die zu schonen er vom Vater ausdrücklich an¬
gewiesen wird, mitzuverletzen und ihre Schande um den Tag zu bringen.
Und wäre er noch ein thatkräftiger Reformator, den ein heiliger Zorn triebe,
das Schlechte, das ihm auf seinem Wege begegnet, mit Stumpf und Stiel
auszurotten! Wohl hat er ein scharfes Auge für die Schlechtigkeit der
Menschen -- freilich nicht aus Schadenfreude oder einem gewissen Genng-
thuungsgefühl, wie man ihm neuerdings hat andichten wollen --, aber ihr
Anblick, anstatt ihn zum Handeln anzuspornen, erfüllt seinen für alles Schöne
und Edle empfänglichen Sinn mit Ekel und lähmendem Widerwillen. Er
betrachtet die ihm aufgedrungene Refvrmatorrolle geradezu als ein Unglück:


Schmach und Gram,
Daß ich zur Welt sie einzurichten tam!

Es ist nicht anders, allen übergeistreichen, modernen und modernsten
Theorien zum Trotz wird man sich zur Aufhellung dieses "psychologischen
Mtsels" mit Goethes Erklärung begnügen müssen: Hamlet geht unter einer
Last zu Grunde, die er Nieder tragen noch abwerfen kann; es ist hier eine
große That ans eine Seele gelegt, die dieser That nicht gewachsen ist.




Rokokostudien
Artig und galant

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e Wochenschrift aus dem Jahre 1725 kündigt einmal scherz¬
haft ein 1)i(;t,in>nig.ii'ö dos mot.8 t^vorits an, "woraus eine neue
Sprache kann gemacht werden." Es soll damit die gezierte und
mit albernen Modewörtern stetig aufgefrischte Sprache der Stutzer
verspottet werden, wie sie sich auch damals in der Gesellschaft
wohlgefällig breit machte. Die sprachbildnerische Kraft, die hier freiesten
Spielraum fand, ist bekanntlich bis in unsre Tage lebendig geblieben und be¬
reichert, getragen durch die Macht des Huo adsni'aum, uoch immer den Wort¬
schatz mit herrlichen Schöpfn "gen. Wem es Bedürfnis ist, des Lebens


Rokolostudien

ihm diese Zaghaftigkeit nicht einmal übelnehmen. Es ist wahrhaftig nichts
kleines, einen König von so argwöhnischer Gemütsart in der Mitte seiner
knechtischen Umgebung zur Rechenschaft zu ziehen, besonders wenn er gegen
diesen fast keinen Schritt thun kann, ohne die eigne Mutter, die er trotz
alledem zärtlich liebt, und die zu schonen er vom Vater ausdrücklich an¬
gewiesen wird, mitzuverletzen und ihre Schande um den Tag zu bringen.
Und wäre er noch ein thatkräftiger Reformator, den ein heiliger Zorn triebe,
das Schlechte, das ihm auf seinem Wege begegnet, mit Stumpf und Stiel
auszurotten! Wohl hat er ein scharfes Auge für die Schlechtigkeit der
Menschen — freilich nicht aus Schadenfreude oder einem gewissen Genng-
thuungsgefühl, wie man ihm neuerdings hat andichten wollen —, aber ihr
Anblick, anstatt ihn zum Handeln anzuspornen, erfüllt seinen für alles Schöne
und Edle empfänglichen Sinn mit Ekel und lähmendem Widerwillen. Er
betrachtet die ihm aufgedrungene Refvrmatorrolle geradezu als ein Unglück:


Schmach und Gram,
Daß ich zur Welt sie einzurichten tam!

Es ist nicht anders, allen übergeistreichen, modernen und modernsten
Theorien zum Trotz wird man sich zur Aufhellung dieses „psychologischen
Mtsels" mit Goethes Erklärung begnügen müssen: Hamlet geht unter einer
Last zu Grunde, die er Nieder tragen noch abwerfen kann; es ist hier eine
große That ans eine Seele gelegt, die dieser That nicht gewachsen ist.




Rokokostudien
Artig und galant

m
e Wochenschrift aus dem Jahre 1725 kündigt einmal scherz¬
haft ein 1)i(;t,in>nig.ii'ö dos mot.8 t^vorits an, „woraus eine neue
Sprache kann gemacht werden." Es soll damit die gezierte und
mit albernen Modewörtern stetig aufgefrischte Sprache der Stutzer
verspottet werden, wie sie sich auch damals in der Gesellschaft
wohlgefällig breit machte. Die sprachbildnerische Kraft, die hier freiesten
Spielraum fand, ist bekanntlich bis in unsre Tage lebendig geblieben und be¬
reichert, getragen durch die Macht des Huo adsni'aum, uoch immer den Wort¬
schatz mit herrlichen Schöpfn »gen. Wem es Bedürfnis ist, des Lebens


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[0579] Rokolostudien ihm diese Zaghaftigkeit nicht einmal übelnehmen. Es ist wahrhaftig nichts kleines, einen König von so argwöhnischer Gemütsart in der Mitte seiner knechtischen Umgebung zur Rechenschaft zu ziehen, besonders wenn er gegen diesen fast keinen Schritt thun kann, ohne die eigne Mutter, die er trotz alledem zärtlich liebt, und die zu schonen er vom Vater ausdrücklich an¬ gewiesen wird, mitzuverletzen und ihre Schande um den Tag zu bringen. Und wäre er noch ein thatkräftiger Reformator, den ein heiliger Zorn triebe, das Schlechte, das ihm auf seinem Wege begegnet, mit Stumpf und Stiel auszurotten! Wohl hat er ein scharfes Auge für die Schlechtigkeit der Menschen — freilich nicht aus Schadenfreude oder einem gewissen Genng- thuungsgefühl, wie man ihm neuerdings hat andichten wollen —, aber ihr Anblick, anstatt ihn zum Handeln anzuspornen, erfüllt seinen für alles Schöne und Edle empfänglichen Sinn mit Ekel und lähmendem Widerwillen. Er betrachtet die ihm aufgedrungene Refvrmatorrolle geradezu als ein Unglück: Schmach und Gram, Daß ich zur Welt sie einzurichten tam! Es ist nicht anders, allen übergeistreichen, modernen und modernsten Theorien zum Trotz wird man sich zur Aufhellung dieses „psychologischen Mtsels" mit Goethes Erklärung begnügen müssen: Hamlet geht unter einer Last zu Grunde, die er Nieder tragen noch abwerfen kann; es ist hier eine große That ans eine Seele gelegt, die dieser That nicht gewachsen ist. Rokokostudien Artig und galant m e Wochenschrift aus dem Jahre 1725 kündigt einmal scherz¬ haft ein 1)i(;t,in>nig.ii'ö dos mot.8 t^vorits an, „woraus eine neue Sprache kann gemacht werden." Es soll damit die gezierte und mit albernen Modewörtern stetig aufgefrischte Sprache der Stutzer verspottet werden, wie sie sich auch damals in der Gesellschaft wohlgefällig breit machte. Die sprachbildnerische Kraft, die hier freiesten Spielraum fand, ist bekanntlich bis in unsre Tage lebendig geblieben und be¬ reichert, getragen durch die Macht des Huo adsni'aum, uoch immer den Wort¬ schatz mit herrlichen Schöpfn »gen. Wem es Bedürfnis ist, des Lebens

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/579>, abgerufen am 04.05.2024.