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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

Die Leser des Romans, und ihn gelesen zu haben wird keinen gereuen,
mögen selbst empfinden und entscheiden, wie viele menschliche und persönliche
Teilnahme ihnen Gestalt und Geschick, Schuld und Sühne Lehuerts einzuflößen
vermögen. Wohl mir wenige werden mit dem geheimen Kanzleirat Espe
schmerzlich empfinden, daß der Staat in diesem Fall in seinem Recht leer ans-
gegnngen sei und die Justiz das Nachsehen habe. Allein viele werden mit
uns der Meinung sein, daß uns doch endlich wieder einmal andre Menschen
und Schicksale vorgeführt werdeu könnten, denen wir volle Teilnahme widmen
können, auch wenn unsre Dichter, wie es in der Ordnung ist, geschworne Feinde
aller Tugend- und Ofsiziositütsphrasen bleiben.




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Neue Ideale.

Unsre Beziehungen zu den germanische" Vettern im Norden,
den Schweden nud Norwegern, werden von Jahr zu Jahr lebhafter und inniger;
ihre litterarischen Erzeugnisse haben bei uns einen beständig wachsenden Kreis be¬
geisterter Freunde und Verehrer gefunden, ihre volkswirtschaftlichen und päda¬
gogischen Einrichtungen werden von uns studiert, ihre Länder, Gebirge "ud Meere
von unsern Touristen bereist. Es ist keine Frage, dort oben herrscht ein mächtig
aufstrebender Geist, ein frischer gesunder Wettkampf ans allen Gebieten des geistigen,
und wirtschaftlichen Lebens, ein unverkennbares Ringen nach Erhaltung und Aus¬
bildung der germanischen Eigenart. Das ist uns Deutschen nicht entgangen, unsre
Blicke sind in den letzten zehn Jahren mit besondrer Erwartung nach dem Norden
gerichtet, und in manchem Deutschen, dem das ängstliche Liebäugeln mit Frankreich
und Rußland allmählich zuwider geworden ist, hat sich der Wunsch eingestellt, mit
den germanischen Stämmen auch in politischen Fragen Hand in Hand zu gehen.
So schreibt uus ein Leser der Grenzbvtein

Uns Deutschen thut ein großes nationales Ideal not, wie wir es vor 1870
in der Herstellung des deutschen Reiches hatten, ein Ideal, vor dem der Standcs-
nnd Klassenegoismus wieder zurücktritt, und zu dessen Erreichung jeder, wie damals,
alles einzusetzen bereit ist; solch ein ideales Ziel scheint mir zu liegen in dem
Zusammenfassen der germanischen Stämme (ich denke an die Deutschen, die Nieder¬
länder, die Dänen und die Skandinavier) zu einer Politischen Einheit in irgend¬
welcher Form aus dem innern Drange dieser Völker heraus. Es kommt ja in
dem Leben der Völker auf ein Jahrhundert uicht an, und die Zeit des Strebens
ist die schönste. Eine solche Einheit würde so mächtig sein, daß sie den Krieg
fast unmöglich machen würde, selbst dann, wenn sie von den Rüstungen, die diese
Völker heute getrennt unterhalten, einen bedeutenden Teil zu Gunsten von Knttnr-
zwecken fallen ließen. Der Panslawismus zeigt uns die Wege und zugleich die
Notwendigkeit des Zusammenschließens der Germanen.


Maßgebliches und Unmaßgebliches

Die Leser des Romans, und ihn gelesen zu haben wird keinen gereuen,
mögen selbst empfinden und entscheiden, wie viele menschliche und persönliche
Teilnahme ihnen Gestalt und Geschick, Schuld und Sühne Lehuerts einzuflößen
vermögen. Wohl mir wenige werden mit dem geheimen Kanzleirat Espe
schmerzlich empfinden, daß der Staat in diesem Fall in seinem Recht leer ans-
gegnngen sei und die Justiz das Nachsehen habe. Allein viele werden mit
uns der Meinung sein, daß uns doch endlich wieder einmal andre Menschen
und Schicksale vorgeführt werdeu könnten, denen wir volle Teilnahme widmen
können, auch wenn unsre Dichter, wie es in der Ordnung ist, geschworne Feinde
aller Tugend- und Ofsiziositütsphrasen bleiben.




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Neue Ideale.

Unsre Beziehungen zu den germanische» Vettern im Norden,
den Schweden nud Norwegern, werden von Jahr zu Jahr lebhafter und inniger;
ihre litterarischen Erzeugnisse haben bei uns einen beständig wachsenden Kreis be¬
geisterter Freunde und Verehrer gefunden, ihre volkswirtschaftlichen und päda¬
gogischen Einrichtungen werden von uns studiert, ihre Länder, Gebirge »ud Meere
von unsern Touristen bereist. Es ist keine Frage, dort oben herrscht ein mächtig
aufstrebender Geist, ein frischer gesunder Wettkampf ans allen Gebieten des geistigen,
und wirtschaftlichen Lebens, ein unverkennbares Ringen nach Erhaltung und Aus¬
bildung der germanischen Eigenart. Das ist uns Deutschen nicht entgangen, unsre
Blicke sind in den letzten zehn Jahren mit besondrer Erwartung nach dem Norden
gerichtet, und in manchem Deutschen, dem das ängstliche Liebäugeln mit Frankreich
und Rußland allmählich zuwider geworden ist, hat sich der Wunsch eingestellt, mit
den germanischen Stämmen auch in politischen Fragen Hand in Hand zu gehen.
So schreibt uus ein Leser der Grenzbvtein

Uns Deutschen thut ein großes nationales Ideal not, wie wir es vor 1870
in der Herstellung des deutschen Reiches hatten, ein Ideal, vor dem der Standcs-
nnd Klassenegoismus wieder zurücktritt, und zu dessen Erreichung jeder, wie damals,
alles einzusetzen bereit ist; solch ein ideales Ziel scheint mir zu liegen in dem
Zusammenfassen der germanischen Stämme (ich denke an die Deutschen, die Nieder¬
länder, die Dänen und die Skandinavier) zu einer Politischen Einheit in irgend¬
welcher Form aus dem innern Drange dieser Völker heraus. Es kommt ja in
dem Leben der Völker auf ein Jahrhundert uicht an, und die Zeit des Strebens
ist die schönste. Eine solche Einheit würde so mächtig sein, daß sie den Krieg
fast unmöglich machen würde, selbst dann, wenn sie von den Rüstungen, die diese
Völker heute getrennt unterhalten, einen bedeutenden Teil zu Gunsten von Knttnr-
zwecken fallen ließen. Der Panslawismus zeigt uns die Wege und zugleich die
Notwendigkeit des Zusammenschließens der Germanen.


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[0633] Maßgebliches und Unmaßgebliches Die Leser des Romans, und ihn gelesen zu haben wird keinen gereuen, mögen selbst empfinden und entscheiden, wie viele menschliche und persönliche Teilnahme ihnen Gestalt und Geschick, Schuld und Sühne Lehuerts einzuflößen vermögen. Wohl mir wenige werden mit dem geheimen Kanzleirat Espe schmerzlich empfinden, daß der Staat in diesem Fall in seinem Recht leer ans- gegnngen sei und die Justiz das Nachsehen habe. Allein viele werden mit uns der Meinung sein, daß uns doch endlich wieder einmal andre Menschen und Schicksale vorgeführt werdeu könnten, denen wir volle Teilnahme widmen können, auch wenn unsre Dichter, wie es in der Ordnung ist, geschworne Feinde aller Tugend- und Ofsiziositütsphrasen bleiben. Maßgebliches und Unmaßgebliches Neue Ideale. Unsre Beziehungen zu den germanische» Vettern im Norden, den Schweden nud Norwegern, werden von Jahr zu Jahr lebhafter und inniger; ihre litterarischen Erzeugnisse haben bei uns einen beständig wachsenden Kreis be¬ geisterter Freunde und Verehrer gefunden, ihre volkswirtschaftlichen und päda¬ gogischen Einrichtungen werden von uns studiert, ihre Länder, Gebirge »ud Meere von unsern Touristen bereist. Es ist keine Frage, dort oben herrscht ein mächtig aufstrebender Geist, ein frischer gesunder Wettkampf ans allen Gebieten des geistigen, und wirtschaftlichen Lebens, ein unverkennbares Ringen nach Erhaltung und Aus¬ bildung der germanischen Eigenart. Das ist uns Deutschen nicht entgangen, unsre Blicke sind in den letzten zehn Jahren mit besondrer Erwartung nach dem Norden gerichtet, und in manchem Deutschen, dem das ängstliche Liebäugeln mit Frankreich und Rußland allmählich zuwider geworden ist, hat sich der Wunsch eingestellt, mit den germanischen Stämmen auch in politischen Fragen Hand in Hand zu gehen. So schreibt uus ein Leser der Grenzbvtein Uns Deutschen thut ein großes nationales Ideal not, wie wir es vor 1870 in der Herstellung des deutschen Reiches hatten, ein Ideal, vor dem der Standcs- nnd Klassenegoismus wieder zurücktritt, und zu dessen Erreichung jeder, wie damals, alles einzusetzen bereit ist; solch ein ideales Ziel scheint mir zu liegen in dem Zusammenfassen der germanischen Stämme (ich denke an die Deutschen, die Nieder¬ länder, die Dänen und die Skandinavier) zu einer Politischen Einheit in irgend¬ welcher Form aus dem innern Drange dieser Völker heraus. Es kommt ja in dem Leben der Völker auf ein Jahrhundert uicht an, und die Zeit des Strebens ist die schönste. Eine solche Einheit würde so mächtig sein, daß sie den Krieg fast unmöglich machen würde, selbst dann, wenn sie von den Rüstungen, die diese Völker heute getrennt unterhalten, einen bedeutenden Teil zu Gunsten von Knttnr- zwecken fallen ließen. Der Panslawismus zeigt uns die Wege und zugleich die Notwendigkeit des Zusammenschließens der Germanen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/633>, abgerufen am 04.05.2024.