Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Talleyrands Memoiren

alles einzelne Thun die Richtung nehmen muß. Dabei mag es vorkommen,
daß mancher, den Blick nuf das ferne Ziel gerichtet, das Nächstliegende über¬
sieht, nährend es dein "Praktiker" geschehen kann, daß er nach Erreichung
des sein ganzes Denken beherrschenden nächsten Zieles nicht recht weiß, was
er nun weiter wollen und erstreben soll.

Lange Jahre habe" die Deutschen über der Beschäftigung mit den letzten
Fragen und dein Streben nach entfernt liegenden Idealen die Aufgaben des
Tages und die Verwirklichung des zunächst erreichbaren versäumt; unsre Zeit
ist der entgegengesetzten Einseitigkeit verfallen und nnr zu sehr geneigt, in der
gegebenen Wirklichkeit, in der Beschäftigung mit den Hilfsmitteln aufzugehen
und darüber das Ideale, die letzten Zwecke aus den Augen zu verlieren; sie
verabscheut allen "Doktrinarismus." Aufgabe des zukünftige" Geschlechts wird
es sein, hier die richtige Mitte zu finden, und nach manchen Anzeichen darf
man wohl erwarten, daß dies geschehen werde.




Talleyrands Memoiren

icht nnr bei Lebzeiten können es Staatsmänner selten der Welt
recht machen, auch nach ihrem Tode ändert sich das nicht. Man
erwartet, man fordert, daß sie über die Zeit, wo sie hervor¬
ragenden Anteil an den Geschäften hatten, Aufzeichnungen machen
und diese der Öffentlichkeit nicht vorenthalten. Werden diese aber
gedruckt, so lange die behandelten Ereignisse noch neu sind, so ist das zu früh;
bleiben sie lange verborgen, so verliert das Publikum das Interesse an den
Gerichte". Plaudern sie Geheimnisse ans, so beschuldigt man den Verfasser
der Indiskretion; hat er das Amtsgeheimnis gewahrt, so fragt der Leser:
Sonst nichts? Das wußten wir ja schou alles. Bei den jetzt erschienenen
Denkwürdigkeiten des Fürsten Tallehrand trifft in beiden Füllen das zweite
Sie kommen sehr spät. Nach des Verfassers Willen hätten sie dreißig
^"hre nach seinem Tode, also 1808 erscheinen können, aber die Testaments¬
vollstrecker schoben die Veröffentlichung so weit hinaus, daß man hatte meinen
'.^ Fuchs, wie man ihn wohl zu nennen Pflegte, erzähle gar
gefährliche Dinge. Solche Erwartungen sehen sich um, wenigstens in dem
uns in Übersetzungvorliegenden ersten Bande, gründlich getäuscht, und die
^hob^wird wohl in der Fortsetzung dieselbe bleiben.



°) Memoiren des Fürsten Talleyrcnid, herausgegeben mit einer Vorrede und
^ niierknngcn vom Herzog von Broglie. Deutsche Originalausgabe von Adolf Ebeling.
Rom und Leipzig, Alb. Ahn.
Talleyrands Memoiren

alles einzelne Thun die Richtung nehmen muß. Dabei mag es vorkommen,
daß mancher, den Blick nuf das ferne Ziel gerichtet, das Nächstliegende über¬
sieht, nährend es dein „Praktiker" geschehen kann, daß er nach Erreichung
des sein ganzes Denken beherrschenden nächsten Zieles nicht recht weiß, was
er nun weiter wollen und erstreben soll.

Lange Jahre habe» die Deutschen über der Beschäftigung mit den letzten
Fragen und dein Streben nach entfernt liegenden Idealen die Aufgaben des
Tages und die Verwirklichung des zunächst erreichbaren versäumt; unsre Zeit
ist der entgegengesetzten Einseitigkeit verfallen und nnr zu sehr geneigt, in der
gegebenen Wirklichkeit, in der Beschäftigung mit den Hilfsmitteln aufzugehen
und darüber das Ideale, die letzten Zwecke aus den Augen zu verlieren; sie
verabscheut allen „Doktrinarismus." Aufgabe des zukünftige» Geschlechts wird
es sein, hier die richtige Mitte zu finden, und nach manchen Anzeichen darf
man wohl erwarten, daß dies geschehen werde.




Talleyrands Memoiren

icht nnr bei Lebzeiten können es Staatsmänner selten der Welt
recht machen, auch nach ihrem Tode ändert sich das nicht. Man
erwartet, man fordert, daß sie über die Zeit, wo sie hervor¬
ragenden Anteil an den Geschäften hatten, Aufzeichnungen machen
und diese der Öffentlichkeit nicht vorenthalten. Werden diese aber
gedruckt, so lange die behandelten Ereignisse noch neu sind, so ist das zu früh;
bleiben sie lange verborgen, so verliert das Publikum das Interesse an den
Gerichte«. Plaudern sie Geheimnisse ans, so beschuldigt man den Verfasser
der Indiskretion; hat er das Amtsgeheimnis gewahrt, so fragt der Leser:
Sonst nichts? Das wußten wir ja schou alles. Bei den jetzt erschienenen
Denkwürdigkeiten des Fürsten Tallehrand trifft in beiden Füllen das zweite
Sie kommen sehr spät. Nach des Verfassers Willen hätten sie dreißig
^"hre nach seinem Tode, also 1808 erscheinen können, aber die Testaments¬
vollstrecker schoben die Veröffentlichung so weit hinaus, daß man hatte meinen
'.^ Fuchs, wie man ihn wohl zu nennen Pflegte, erzähle gar
gefährliche Dinge. Solche Erwartungen sehen sich um, wenigstens in dem
uns in Übersetzungvorliegenden ersten Bande, gründlich getäuscht, und die
^hob^wird wohl in der Fortsetzung dieselbe bleiben.



°) Memoiren des Fürsten Talleyrcnid, herausgegeben mit einer Vorrede und
^ niierknngcn vom Herzog von Broglie. Deutsche Originalausgabe von Adolf Ebeling.
Rom und Leipzig, Alb. Ahn.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0079" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/209946"/>
          <fw type="header" place="top"> Talleyrands Memoiren</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_203" prev="#ID_202"> alles einzelne Thun die Richtung nehmen muß. Dabei mag es vorkommen,<lb/>
daß mancher, den Blick nuf das ferne Ziel gerichtet, das Nächstliegende über¬<lb/>
sieht, nährend es dein &#x201E;Praktiker" geschehen kann, daß er nach Erreichung<lb/>
des sein ganzes Denken beherrschenden nächsten Zieles nicht recht weiß, was<lb/>
er nun weiter wollen und erstreben soll.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_204"> Lange Jahre habe» die Deutschen über der Beschäftigung mit den letzten<lb/>
Fragen und dein Streben nach entfernt liegenden Idealen die Aufgaben des<lb/>
Tages und die Verwirklichung des zunächst erreichbaren versäumt; unsre Zeit<lb/>
ist der entgegengesetzten Einseitigkeit verfallen und nnr zu sehr geneigt, in der<lb/>
gegebenen Wirklichkeit, in der Beschäftigung mit den Hilfsmitteln aufzugehen<lb/>
und darüber das Ideale, die letzten Zwecke aus den Augen zu verlieren; sie<lb/>
verabscheut allen &#x201E;Doktrinarismus." Aufgabe des zukünftige» Geschlechts wird<lb/>
es sein, hier die richtige Mitte zu finden, und nach manchen Anzeichen darf<lb/>
man wohl erwarten, daß dies geschehen werde.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Talleyrands Memoiren</head><lb/>
          <p xml:id="ID_205"> icht nnr bei Lebzeiten können es Staatsmänner selten der Welt<lb/>
recht machen, auch nach ihrem Tode ändert sich das nicht. Man<lb/>
erwartet, man fordert, daß sie über die Zeit, wo sie hervor¬<lb/>
ragenden Anteil an den Geschäften hatten, Aufzeichnungen machen<lb/>
und diese der Öffentlichkeit nicht vorenthalten. Werden diese aber<lb/>
gedruckt, so lange die behandelten Ereignisse noch neu sind, so ist das zu früh;<lb/>
bleiben sie lange verborgen, so verliert das Publikum das Interesse an den<lb/>
Gerichte«. Plaudern sie Geheimnisse ans, so beschuldigt man den Verfasser<lb/>
der Indiskretion; hat er das Amtsgeheimnis gewahrt, so fragt der Leser:<lb/>
Sonst nichts? Das wußten wir ja schou alles. Bei den jetzt erschienenen<lb/>
Denkwürdigkeiten des Fürsten Tallehrand trifft in beiden Füllen das zweite<lb/>
Sie kommen sehr spät. Nach des Verfassers Willen hätten sie dreißig<lb/>
^"hre nach seinem Tode, also 1808 erscheinen können, aber die Testaments¬<lb/>
vollstrecker schoben die Veröffentlichung so weit hinaus, daß man hatte meinen<lb/>
'.^ Fuchs, wie man ihn wohl zu nennen Pflegte, erzähle gar<lb/>
gefährliche Dinge. Solche Erwartungen sehen sich um, wenigstens in dem<lb/>
uns in Übersetzungvorliegenden ersten Bande, gründlich getäuscht, und die<lb/>
^hob^wird wohl in der Fortsetzung dieselbe bleiben.</p><lb/>
          <note xml:id="FID_7" place="foot"> °) Memoiren des Fürsten Talleyrcnid, herausgegeben mit einer Vorrede und<lb/>
^ niierknngcn vom Herzog von Broglie. Deutsche Originalausgabe von Adolf Ebeling.<lb/>
Rom und Leipzig, Alb. Ahn.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0079] Talleyrands Memoiren alles einzelne Thun die Richtung nehmen muß. Dabei mag es vorkommen, daß mancher, den Blick nuf das ferne Ziel gerichtet, das Nächstliegende über¬ sieht, nährend es dein „Praktiker" geschehen kann, daß er nach Erreichung des sein ganzes Denken beherrschenden nächsten Zieles nicht recht weiß, was er nun weiter wollen und erstreben soll. Lange Jahre habe» die Deutschen über der Beschäftigung mit den letzten Fragen und dein Streben nach entfernt liegenden Idealen die Aufgaben des Tages und die Verwirklichung des zunächst erreichbaren versäumt; unsre Zeit ist der entgegengesetzten Einseitigkeit verfallen und nnr zu sehr geneigt, in der gegebenen Wirklichkeit, in der Beschäftigung mit den Hilfsmitteln aufzugehen und darüber das Ideale, die letzten Zwecke aus den Augen zu verlieren; sie verabscheut allen „Doktrinarismus." Aufgabe des zukünftige» Geschlechts wird es sein, hier die richtige Mitte zu finden, und nach manchen Anzeichen darf man wohl erwarten, daß dies geschehen werde. Talleyrands Memoiren icht nnr bei Lebzeiten können es Staatsmänner selten der Welt recht machen, auch nach ihrem Tode ändert sich das nicht. Man erwartet, man fordert, daß sie über die Zeit, wo sie hervor¬ ragenden Anteil an den Geschäften hatten, Aufzeichnungen machen und diese der Öffentlichkeit nicht vorenthalten. Werden diese aber gedruckt, so lange die behandelten Ereignisse noch neu sind, so ist das zu früh; bleiben sie lange verborgen, so verliert das Publikum das Interesse an den Gerichte«. Plaudern sie Geheimnisse ans, so beschuldigt man den Verfasser der Indiskretion; hat er das Amtsgeheimnis gewahrt, so fragt der Leser: Sonst nichts? Das wußten wir ja schou alles. Bei den jetzt erschienenen Denkwürdigkeiten des Fürsten Tallehrand trifft in beiden Füllen das zweite Sie kommen sehr spät. Nach des Verfassers Willen hätten sie dreißig ^"hre nach seinem Tode, also 1808 erscheinen können, aber die Testaments¬ vollstrecker schoben die Veröffentlichung so weit hinaus, daß man hatte meinen '.^ Fuchs, wie man ihn wohl zu nennen Pflegte, erzähle gar gefährliche Dinge. Solche Erwartungen sehen sich um, wenigstens in dem uns in Übersetzungvorliegenden ersten Bande, gründlich getäuscht, und die ^hob^wird wohl in der Fortsetzung dieselbe bleiben. °) Memoiren des Fürsten Talleyrcnid, herausgegeben mit einer Vorrede und ^ niierknngcn vom Herzog von Broglie. Deutsche Originalausgabe von Adolf Ebeling. Rom und Leipzig, Alb. Ahn.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/79
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/79>, abgerufen am 03.05.2024.