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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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Die preußische Justizverwaltung

um dem sozialen Kampfe seine Bitterkeit zu nehmen, wenn Staat und Gesell¬
schaft bloß aus philanthropischer, wenn auch uoch so anerkennenswerter Ge¬
sinnung heraus Opfer dringen. Es sei in unsrer ja so segensreichen historischen
Entwicklung begründet, daß wir uns zu einer grundsätzlichen Anerkennung der
Fnchvereine und ihrer wirtschaftlichen Bestrebungen schwer entschließen konnten,
schwerer als in Frankreich, das schon in der großen Revolution rücksichtslos
mit seiner ganzen Vergangenheit gebrochen habe. Und doch müsse dieser
Schritt versucht werden, wenn die Verquickung politischer, d. h. revolutionärer
mit den rein wirtschaftlichen Interessen innerhalb der deutschen Arbeiterschaft
gesprengt werden solle. Der Verfasser schließt mit der gewiß von jedem Vater-
landsfreunde geteilten Hoffnung, daß sich "unter gerechter und entschlossener
Handhabung einer nicht nur über den Parteien, sondern über den Gesellschafts¬
klassen stehenden Staatsgewalt, unter sittlich freier, hingebender Arbeit aller
von sozialem Pflichtbewußtsein erfüllten positiven Kräfte unsre weitere innere
Entwicklung ohne zu heftige Erschütterungen vollziehen und die Morgenröte
des sozialen Friedens uns wenigstens von ferne noch leuchten werde."




Die preußische Justizverwaltung

ührend den meisten sachlichen Maßnahmen der neuen Negierung
von der Bevölkerung zweifellos volles Vertrauen entgegengebracht
wird und man sich mit dem Geiste, der sich im Regierungs- und
Verwnltungsapparat an den höchsten wie an den untern Stellen
kundgiebt, überwiegend gern und dankbar einverstanden erklärt,
ist dies beides bei einem, und zwar dem grundlegendsten Zweige des Staats¬
lebens, nicht der Fall. Während ferner besonders in Preußen mit den Ministern
Herrfurth, Miquel, Thielen, Berlepsch u. s. w. in die betreffendenRessorts richtiges
Schaffen eingezogen ist, das auf weitgehende Sympathie" rechnen kann, be¬
ginnen über ein ebenfalls neu besetztes Ressort die Klagen und Beschwerden
immer lauter und unabweisbarer zu werden: über die Justizverwaltung und
die Rechtspflege.

Es könnte zunächst nahe liegen, wie dies ja auch von minder kundiger Seite
schon geschehen ist, wo man den Dingen nicht auf den Grund zu sehen vermag,
für diese Thatsache die neuen Justizgesetze vom Jahre 1877 verantwortlich zu


Grenzboten 1 18W L4
Die preußische Justizverwaltung

um dem sozialen Kampfe seine Bitterkeit zu nehmen, wenn Staat und Gesell¬
schaft bloß aus philanthropischer, wenn auch uoch so anerkennenswerter Ge¬
sinnung heraus Opfer dringen. Es sei in unsrer ja so segensreichen historischen
Entwicklung begründet, daß wir uns zu einer grundsätzlichen Anerkennung der
Fnchvereine und ihrer wirtschaftlichen Bestrebungen schwer entschließen konnten,
schwerer als in Frankreich, das schon in der großen Revolution rücksichtslos
mit seiner ganzen Vergangenheit gebrochen habe. Und doch müsse dieser
Schritt versucht werden, wenn die Verquickung politischer, d. h. revolutionärer
mit den rein wirtschaftlichen Interessen innerhalb der deutschen Arbeiterschaft
gesprengt werden solle. Der Verfasser schließt mit der gewiß von jedem Vater-
landsfreunde geteilten Hoffnung, daß sich „unter gerechter und entschlossener
Handhabung einer nicht nur über den Parteien, sondern über den Gesellschafts¬
klassen stehenden Staatsgewalt, unter sittlich freier, hingebender Arbeit aller
von sozialem Pflichtbewußtsein erfüllten positiven Kräfte unsre weitere innere
Entwicklung ohne zu heftige Erschütterungen vollziehen und die Morgenröte
des sozialen Friedens uns wenigstens von ferne noch leuchten werde."




Die preußische Justizverwaltung

ührend den meisten sachlichen Maßnahmen der neuen Negierung
von der Bevölkerung zweifellos volles Vertrauen entgegengebracht
wird und man sich mit dem Geiste, der sich im Regierungs- und
Verwnltungsapparat an den höchsten wie an den untern Stellen
kundgiebt, überwiegend gern und dankbar einverstanden erklärt,
ist dies beides bei einem, und zwar dem grundlegendsten Zweige des Staats¬
lebens, nicht der Fall. Während ferner besonders in Preußen mit den Ministern
Herrfurth, Miquel, Thielen, Berlepsch u. s. w. in die betreffendenRessorts richtiges
Schaffen eingezogen ist, das auf weitgehende Sympathie» rechnen kann, be¬
ginnen über ein ebenfalls neu besetztes Ressort die Klagen und Beschwerden
immer lauter und unabweisbarer zu werden: über die Justizverwaltung und
die Rechtspflege.

Es könnte zunächst nahe liegen, wie dies ja auch von minder kundiger Seite
schon geschehen ist, wo man den Dingen nicht auf den Grund zu sehen vermag,
für diese Thatsache die neuen Justizgesetze vom Jahre 1877 verantwortlich zu


Grenzboten 1 18W L4
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[0273] Die preußische Justizverwaltung um dem sozialen Kampfe seine Bitterkeit zu nehmen, wenn Staat und Gesell¬ schaft bloß aus philanthropischer, wenn auch uoch so anerkennenswerter Ge¬ sinnung heraus Opfer dringen. Es sei in unsrer ja so segensreichen historischen Entwicklung begründet, daß wir uns zu einer grundsätzlichen Anerkennung der Fnchvereine und ihrer wirtschaftlichen Bestrebungen schwer entschließen konnten, schwerer als in Frankreich, das schon in der großen Revolution rücksichtslos mit seiner ganzen Vergangenheit gebrochen habe. Und doch müsse dieser Schritt versucht werden, wenn die Verquickung politischer, d. h. revolutionärer mit den rein wirtschaftlichen Interessen innerhalb der deutschen Arbeiterschaft gesprengt werden solle. Der Verfasser schließt mit der gewiß von jedem Vater- landsfreunde geteilten Hoffnung, daß sich „unter gerechter und entschlossener Handhabung einer nicht nur über den Parteien, sondern über den Gesellschafts¬ klassen stehenden Staatsgewalt, unter sittlich freier, hingebender Arbeit aller von sozialem Pflichtbewußtsein erfüllten positiven Kräfte unsre weitere innere Entwicklung ohne zu heftige Erschütterungen vollziehen und die Morgenröte des sozialen Friedens uns wenigstens von ferne noch leuchten werde." Die preußische Justizverwaltung ührend den meisten sachlichen Maßnahmen der neuen Negierung von der Bevölkerung zweifellos volles Vertrauen entgegengebracht wird und man sich mit dem Geiste, der sich im Regierungs- und Verwnltungsapparat an den höchsten wie an den untern Stellen kundgiebt, überwiegend gern und dankbar einverstanden erklärt, ist dies beides bei einem, und zwar dem grundlegendsten Zweige des Staats¬ lebens, nicht der Fall. Während ferner besonders in Preußen mit den Ministern Herrfurth, Miquel, Thielen, Berlepsch u. s. w. in die betreffendenRessorts richtiges Schaffen eingezogen ist, das auf weitgehende Sympathie» rechnen kann, be¬ ginnen über ein ebenfalls neu besetztes Ressort die Klagen und Beschwerden immer lauter und unabweisbarer zu werden: über die Justizverwaltung und die Rechtspflege. Es könnte zunächst nahe liegen, wie dies ja auch von minder kundiger Seite schon geschehen ist, wo man den Dingen nicht auf den Grund zu sehen vermag, für diese Thatsache die neuen Justizgesetze vom Jahre 1877 verantwortlich zu Grenzboten 1 18W L4

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/273>, abgerufen am 06.05.2024.