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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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Nordwestafrika und die transsaharische Bahn

le Augen der politischen Welt sind wieder einmal nach der Nord-
küste Afrikas gerichtet. Hier sind es zwei Staaten, die von Zeit
zu Zeit das Interesse Enropas in Anspruch nehmen: Ägypten
und Marokko.

In dem Westreiche haben sich mit Jahresanbrnch Kabylen
des Rifgebirges und der angrenzenden Ebene gegen Tanger, den Sitz der
europäischen Vertreter, in Bewegung gesetzt, um dadurch zu erlangen, daß der
Sultan von Marokko den ungerechten und grausamen Statthalter, Hadschi
Mohamed ben Ali es Sndok, abrufe. England, Spanien und Frankreich haben
min schleunigst Schiffe abgesandt zum Schutze ihrer bedrohten Unterthanen;
in Wahrheit aber nur, um sich gegenseitig zu überwachen. Es spielt sich
dn vor unsern Augen wieder dasselbe Schauspiel ab, das vor einigen Jahren,
als der Sultan krank war, ein Franzose folgendermaßen beschrieb: "Der
Sultan von Marokko liegt im Sterben, und ganz Europa ist in Aufregung!
Die dort beteiligte" Mächte haben Kriegsschiffe in die Gewässer von Tanger
geschickt, und man genießt den Anblick von habsüchtigen Erben, die sich um
das Sterbelager eines im Todeskampfe liegenden scharen. Alles stößt und
drängt sich, um seinen Teil zu erhalten, aber auch in der Hoffnung, Erbe des
Ganzen zu sei"! Spanien, seiner Gewohnheit gemäß, schreit lauter als die
andern; es thut, als wäre es hier zu Hause, und hat sich bis an die Zähne
bewaffnet, um sein angebliches Eigentum zu verteidigen. Frankreich ist ent¬
schlossen, ruhig und schweigsam, aber diese Ruhe wirkt gewaltiger als die
knstiliamschen Prahlereien. Das brave England predigt Müßigung und sucht
z" vermitteln, hat aber dabei den Hintergedanken, einen Zustand in Marokko
bestehen zu lassen, von dem, es allein Nutzen hat. Es wünscht Erhaltung


Grenzboten 1 1892 ^ 40


Nordwestafrika und die transsaharische Bahn

le Augen der politischen Welt sind wieder einmal nach der Nord-
küste Afrikas gerichtet. Hier sind es zwei Staaten, die von Zeit
zu Zeit das Interesse Enropas in Anspruch nehmen: Ägypten
und Marokko.

In dem Westreiche haben sich mit Jahresanbrnch Kabylen
des Rifgebirges und der angrenzenden Ebene gegen Tanger, den Sitz der
europäischen Vertreter, in Bewegung gesetzt, um dadurch zu erlangen, daß der
Sultan von Marokko den ungerechten und grausamen Statthalter, Hadschi
Mohamed ben Ali es Sndok, abrufe. England, Spanien und Frankreich haben
min schleunigst Schiffe abgesandt zum Schutze ihrer bedrohten Unterthanen;
in Wahrheit aber nur, um sich gegenseitig zu überwachen. Es spielt sich
dn vor unsern Augen wieder dasselbe Schauspiel ab, das vor einigen Jahren,
als der Sultan krank war, ein Franzose folgendermaßen beschrieb: „Der
Sultan von Marokko liegt im Sterben, und ganz Europa ist in Aufregung!
Die dort beteiligte» Mächte haben Kriegsschiffe in die Gewässer von Tanger
geschickt, und man genießt den Anblick von habsüchtigen Erben, die sich um
das Sterbelager eines im Todeskampfe liegenden scharen. Alles stößt und
drängt sich, um seinen Teil zu erhalten, aber auch in der Hoffnung, Erbe des
Ganzen zu sei»! Spanien, seiner Gewohnheit gemäß, schreit lauter als die
andern; es thut, als wäre es hier zu Hause, und hat sich bis an die Zähne
bewaffnet, um sein angebliches Eigentum zu verteidigen. Frankreich ist ent¬
schlossen, ruhig und schweigsam, aber diese Ruhe wirkt gewaltiger als die
knstiliamschen Prahlereien. Das brave England predigt Müßigung und sucht
z» vermitteln, hat aber dabei den Hintergedanken, einen Zustand in Marokko
bestehen zu lassen, von dem, es allein Nutzen hat. Es wünscht Erhaltung


Grenzboten 1 1892 ^ 40
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[0321] [Abbildung] Nordwestafrika und die transsaharische Bahn le Augen der politischen Welt sind wieder einmal nach der Nord- küste Afrikas gerichtet. Hier sind es zwei Staaten, die von Zeit zu Zeit das Interesse Enropas in Anspruch nehmen: Ägypten und Marokko. In dem Westreiche haben sich mit Jahresanbrnch Kabylen des Rifgebirges und der angrenzenden Ebene gegen Tanger, den Sitz der europäischen Vertreter, in Bewegung gesetzt, um dadurch zu erlangen, daß der Sultan von Marokko den ungerechten und grausamen Statthalter, Hadschi Mohamed ben Ali es Sndok, abrufe. England, Spanien und Frankreich haben min schleunigst Schiffe abgesandt zum Schutze ihrer bedrohten Unterthanen; in Wahrheit aber nur, um sich gegenseitig zu überwachen. Es spielt sich dn vor unsern Augen wieder dasselbe Schauspiel ab, das vor einigen Jahren, als der Sultan krank war, ein Franzose folgendermaßen beschrieb: „Der Sultan von Marokko liegt im Sterben, und ganz Europa ist in Aufregung! Die dort beteiligte» Mächte haben Kriegsschiffe in die Gewässer von Tanger geschickt, und man genießt den Anblick von habsüchtigen Erben, die sich um das Sterbelager eines im Todeskampfe liegenden scharen. Alles stößt und drängt sich, um seinen Teil zu erhalten, aber auch in der Hoffnung, Erbe des Ganzen zu sei»! Spanien, seiner Gewohnheit gemäß, schreit lauter als die andern; es thut, als wäre es hier zu Hause, und hat sich bis an die Zähne bewaffnet, um sein angebliches Eigentum zu verteidigen. Frankreich ist ent¬ schlossen, ruhig und schweigsam, aber diese Ruhe wirkt gewaltiger als die knstiliamschen Prahlereien. Das brave England predigt Müßigung und sucht z» vermitteln, hat aber dabei den Hintergedanken, einen Zustand in Marokko bestehen zu lassen, von dem, es allein Nutzen hat. Es wünscht Erhaltung Grenzboten 1 1892 ^ 40

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/321>, abgerufen am 06.05.2024.