Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.Ans dänischer Zeit durchgerungen hat, der in dem Satze gipfelt: Nicht idealisiren, nicht besser Aus dänischer Zeit 9. Blasse Rosen ben auf Großvaters Boden stand der Tantenkoffer, eingezwängt Ans dänischer Zeit durchgerungen hat, der in dem Satze gipfelt: Nicht idealisiren, nicht besser Aus dänischer Zeit 9. Blasse Rosen ben auf Großvaters Boden stand der Tantenkoffer, eingezwängt <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0404" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/211572"/> <fw type="header" place="top"> Ans dänischer Zeit</fw><lb/> <p xml:id="ID_1204" prev="#ID_1203"> durchgerungen hat, der in dem Satze gipfelt: Nicht idealisiren, nicht besser<lb/> macheu, uicht den Schöpfer meistern, sondern in aller Bescheidenheit und Un¬<lb/> befangenheit nachfühlen, uachschciffeu, was er uns vorgeschaffen hat? So erst<lb/> werden uus auch Dürers Gestalten vollkommen klar, diese starken und knorrigen<lb/> Gebilde, die so treu und ehrlich aus der Natur abgeschrieben sind, daß ihnen<lb/> gegenüber jeder Gedanke verschwinden muß, als hätte Dürer die Natur meistern,<lb/> in der Kunst die sogenannte ursprüngliche Schönheit der Natur wieder her¬<lb/> stellen wollen.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> <div n="1"> <head> Aus dänischer Zeit<lb/> 9. Blasse Rosen </head><lb/> <p xml:id="ID_1205"> ben auf Großvaters Boden stand der Tantenkoffer, eingezwängt<lb/> zwischen alten Truhen, Kisten und Schachteln. Er war alt, groß<lb/> und häßlich, aber wir betrachteten ihn stets mit Neugierde, weil<lb/> wir nicht wußten, was darin war. Die Großen wußten es auch<lb/> nicht. Früher, vor vielen, vielen Jahren, waren zwei Cousine»<lb/> unsers Großvaters lange bei dem Großvater im Hause gewesen, und als sie<lb/> wieder davongezogen waren, hatten sie gebeten, diesen Koffer hier lassen zu<lb/> dürfen, bis sie ihn selbst holen würden. Aber sie waren nicht wiedergekommen,<lb/> und der Koffer stand noch immer auf Großvaters Boden. Dieser Boden war<lb/> unheimlich. Groß, niedrig und dümmrig, mit schrägen Dachfenstern, war er<lb/> uns schon am hellen Tage ein bischen gruselich. Abends aber gingen wir<lb/> vollends ungern hinauf, und unter keiner Bedingung ohne Begleitung. Es<lb/> huschte, knackte und raschelte dort in allen Ecken, und wir waren froh, wenn<lb/> wir wieder unten waren. Am Tage saßen wir wohl manchmal gern in einer<lb/> hellern Ecke des Bodens, sahen die Stündchen in den schräg einfallenden<lb/> Sonnenstrahlen tanzen, suchten nach altem Gerümpel oder betrachteten den<lb/> Tautenkoffer. Früher war er schwarz gestrichen gewesen; jetzt hatte ihn die<lb/> Farbe allmählich verlassen, man sah das gerissene, wurmstichige Holz, und<lb/> die eisernen Bänder die ihn umklammert hielten, rösteten nach und nach immer<lb/> mehr. Öffnen konnten wir ihn aber doch nicht; das Schloß schien noch sehr<lb/> gut zu sein, und so mußten wir uns damit begnügen, den Tantenkoffer von<lb/> allen Seiten zu betrachten, auf ihm zu sitzen oder auf ihm herumzutrampeln.<lb/> Vertragen konnte er nämlich alles.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0404]
Ans dänischer Zeit
durchgerungen hat, der in dem Satze gipfelt: Nicht idealisiren, nicht besser
macheu, uicht den Schöpfer meistern, sondern in aller Bescheidenheit und Un¬
befangenheit nachfühlen, uachschciffeu, was er uns vorgeschaffen hat? So erst
werden uus auch Dürers Gestalten vollkommen klar, diese starken und knorrigen
Gebilde, die so treu und ehrlich aus der Natur abgeschrieben sind, daß ihnen
gegenüber jeder Gedanke verschwinden muß, als hätte Dürer die Natur meistern,
in der Kunst die sogenannte ursprüngliche Schönheit der Natur wieder her¬
stellen wollen.
Aus dänischer Zeit
9. Blasse Rosen
ben auf Großvaters Boden stand der Tantenkoffer, eingezwängt
zwischen alten Truhen, Kisten und Schachteln. Er war alt, groß
und häßlich, aber wir betrachteten ihn stets mit Neugierde, weil
wir nicht wußten, was darin war. Die Großen wußten es auch
nicht. Früher, vor vielen, vielen Jahren, waren zwei Cousine»
unsers Großvaters lange bei dem Großvater im Hause gewesen, und als sie
wieder davongezogen waren, hatten sie gebeten, diesen Koffer hier lassen zu
dürfen, bis sie ihn selbst holen würden. Aber sie waren nicht wiedergekommen,
und der Koffer stand noch immer auf Großvaters Boden. Dieser Boden war
unheimlich. Groß, niedrig und dümmrig, mit schrägen Dachfenstern, war er
uns schon am hellen Tage ein bischen gruselich. Abends aber gingen wir
vollends ungern hinauf, und unter keiner Bedingung ohne Begleitung. Es
huschte, knackte und raschelte dort in allen Ecken, und wir waren froh, wenn
wir wieder unten waren. Am Tage saßen wir wohl manchmal gern in einer
hellern Ecke des Bodens, sahen die Stündchen in den schräg einfallenden
Sonnenstrahlen tanzen, suchten nach altem Gerümpel oder betrachteten den
Tautenkoffer. Früher war er schwarz gestrichen gewesen; jetzt hatte ihn die
Farbe allmählich verlassen, man sah das gerissene, wurmstichige Holz, und
die eisernen Bänder die ihn umklammert hielten, rösteten nach und nach immer
mehr. Öffnen konnten wir ihn aber doch nicht; das Schloß schien noch sehr
gut zu sein, und so mußten wir uns damit begnügen, den Tantenkoffer von
allen Seiten zu betrachten, auf ihm zu sitzen oder auf ihm herumzutrampeln.
Vertragen konnte er nämlich alles.
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