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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

um mich ist, dann höre ich eine Stimme in mir, die leise sagt: Er hat mich
doch geliebt, und er weiß jetzt, daß ich immer sein geblieben bin. Immer
und ewig; Ist das nicht wundervoll? Und diesen Frieden im Alter danke ich
einer Kinderhand!

Nun ist die alte Tante schon lange tot, und im Sommer blühen die
Rosen auf ihrem Grabe. Blasse Rosen sind es, von zartem, feinem Dufte,
blasse Rosen, wie sie so vielen Herzen in diesem Leben genügen müssen.




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Die Lage in China.

(Shanghai, Dezember 1391.) Selbst sehr zum
Zweifel geneigte Menschen glaubten eine Zeit lang, daß die fremden Gesandten
in Peking endlich einmal nicht bei Warten und Depeschen stehen bleiben, sondern
zu Thaten schreiten würden, nachdem sie in seltner Einmütigkeit gemeinsame Forder¬
ungen an die chinesische Regierung gestellt hatten, durch die eine Wiederkehr von
Unruhen verhindert oder wenigstens erschwert werden sollte. Aber die Chinesen
haben durch zähe Verschleppung doch wieder den diplomatischen Sieg davon¬
getragen, nicht zum ersten und .gewiß auch uicht zum letzten Male. Als Anfang
September nach längerer Pause ein neuer Angriff auf Missionare in Jtschang am
obern Jangtzekiang stattfand, fingen die Dinge wirklich an, ganz kriegerisch auszu¬
sehen, so daß der Zweifel an dem Ernste der Gesandten nach und nach fast ganz
verstummte. Man sprach von einer Besetzung Shangais durch die verbündete
Flotte. Die bedeutenden Zolleinkünfte dieses Hafens sollten dann so lange als
Pfand dienen, bis die Forderungen der Mächte erfüllt wären.

Aber, aber -- die wenigen noch übriggcbliebncn Ungläubigen sollten doch
Recht behalten, wenigstens insofern, als sich ihre Behauptung, irgend ein an sich un¬
bedeutender politischer Zufall würde sofort die mühsam errungne Einigkeit sprengen,
schlagend bewahrheiten sollte. Eines schonen Tnges war nämlich in den Zeitungen
zu lesen, die Russen wären im Begriff, einen weitern Schritt nach Indien zu
machen, indem sie ans der Hochelme von Pamir vordrängen. Ans dieser Hochebne,
dem "Dach der Welt", wo sich die Interessenkreise der drei gewaltigen Reiche
der Russen, Chinesen und Engländer berühren, wurde durch das Vordringen von
vielleicht nicht mehr als ein paar hundert Mann der Einigkeit der Mächte in
China ein sanfter Tod bereitet. Denn als dies Vorgehen der Russen bekannt
wurde, machten die Engländer sogleich eine diplomatische Schwenkung, indem sie
gegen China, den möglichen Verbündeten gegen Rußland in Hochasien, mildere
Saiten auferzogen. Da nun die englischen Interessen in China weit größer sind
"is die aller andern Ausländer zusammen, und da ferner die beiden einzigen
während der Unruhen umgekommenen Personen englische Staatsangehörige waren,
so wurde durch die erwähnte Schwenkung der schönen Eintracht ein Ende gemacht.
Die Chinesen konnten aufatmen, wenn sie überhaupt jemals ernstlich besorgt ge¬
wesen waren. Vielleicht bauten sie selbst während der ganzen Zeit zuversichtlich


Maßgebliches und Unmaßgebliches

um mich ist, dann höre ich eine Stimme in mir, die leise sagt: Er hat mich
doch geliebt, und er weiß jetzt, daß ich immer sein geblieben bin. Immer
und ewig; Ist das nicht wundervoll? Und diesen Frieden im Alter danke ich
einer Kinderhand!

Nun ist die alte Tante schon lange tot, und im Sommer blühen die
Rosen auf ihrem Grabe. Blasse Rosen sind es, von zartem, feinem Dufte,
blasse Rosen, wie sie so vielen Herzen in diesem Leben genügen müssen.




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Die Lage in China.

(Shanghai, Dezember 1391.) Selbst sehr zum
Zweifel geneigte Menschen glaubten eine Zeit lang, daß die fremden Gesandten
in Peking endlich einmal nicht bei Warten und Depeschen stehen bleiben, sondern
zu Thaten schreiten würden, nachdem sie in seltner Einmütigkeit gemeinsame Forder¬
ungen an die chinesische Regierung gestellt hatten, durch die eine Wiederkehr von
Unruhen verhindert oder wenigstens erschwert werden sollte. Aber die Chinesen
haben durch zähe Verschleppung doch wieder den diplomatischen Sieg davon¬
getragen, nicht zum ersten und .gewiß auch uicht zum letzten Male. Als Anfang
September nach längerer Pause ein neuer Angriff auf Missionare in Jtschang am
obern Jangtzekiang stattfand, fingen die Dinge wirklich an, ganz kriegerisch auszu¬
sehen, so daß der Zweifel an dem Ernste der Gesandten nach und nach fast ganz
verstummte. Man sprach von einer Besetzung Shangais durch die verbündete
Flotte. Die bedeutenden Zolleinkünfte dieses Hafens sollten dann so lange als
Pfand dienen, bis die Forderungen der Mächte erfüllt wären.

Aber, aber — die wenigen noch übriggcbliebncn Ungläubigen sollten doch
Recht behalten, wenigstens insofern, als sich ihre Behauptung, irgend ein an sich un¬
bedeutender politischer Zufall würde sofort die mühsam errungne Einigkeit sprengen,
schlagend bewahrheiten sollte. Eines schonen Tnges war nämlich in den Zeitungen
zu lesen, die Russen wären im Begriff, einen weitern Schritt nach Indien zu
machen, indem sie ans der Hochelme von Pamir vordrängen. Ans dieser Hochebne,
dem „Dach der Welt", wo sich die Interessenkreise der drei gewaltigen Reiche
der Russen, Chinesen und Engländer berühren, wurde durch das Vordringen von
vielleicht nicht mehr als ein paar hundert Mann der Einigkeit der Mächte in
China ein sanfter Tod bereitet. Denn als dies Vorgehen der Russen bekannt
wurde, machten die Engländer sogleich eine diplomatische Schwenkung, indem sie
gegen China, den möglichen Verbündeten gegen Rußland in Hochasien, mildere
Saiten auferzogen. Da nun die englischen Interessen in China weit größer sind
"is die aller andern Ausländer zusammen, und da ferner die beiden einzigen
während der Unruhen umgekommenen Personen englische Staatsangehörige waren,
so wurde durch die erwähnte Schwenkung der schönen Eintracht ein Ende gemacht.
Die Chinesen konnten aufatmen, wenn sie überhaupt jemals ernstlich besorgt ge¬
wesen waren. Vielleicht bauten sie selbst während der ganzen Zeit zuversichtlich


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[0413] Maßgebliches und Unmaßgebliches um mich ist, dann höre ich eine Stimme in mir, die leise sagt: Er hat mich doch geliebt, und er weiß jetzt, daß ich immer sein geblieben bin. Immer und ewig; Ist das nicht wundervoll? Und diesen Frieden im Alter danke ich einer Kinderhand! Nun ist die alte Tante schon lange tot, und im Sommer blühen die Rosen auf ihrem Grabe. Blasse Rosen sind es, von zartem, feinem Dufte, blasse Rosen, wie sie so vielen Herzen in diesem Leben genügen müssen. Maßgebliches und Unmaßgebliches Die Lage in China. (Shanghai, Dezember 1391.) Selbst sehr zum Zweifel geneigte Menschen glaubten eine Zeit lang, daß die fremden Gesandten in Peking endlich einmal nicht bei Warten und Depeschen stehen bleiben, sondern zu Thaten schreiten würden, nachdem sie in seltner Einmütigkeit gemeinsame Forder¬ ungen an die chinesische Regierung gestellt hatten, durch die eine Wiederkehr von Unruhen verhindert oder wenigstens erschwert werden sollte. Aber die Chinesen haben durch zähe Verschleppung doch wieder den diplomatischen Sieg davon¬ getragen, nicht zum ersten und .gewiß auch uicht zum letzten Male. Als Anfang September nach längerer Pause ein neuer Angriff auf Missionare in Jtschang am obern Jangtzekiang stattfand, fingen die Dinge wirklich an, ganz kriegerisch auszu¬ sehen, so daß der Zweifel an dem Ernste der Gesandten nach und nach fast ganz verstummte. Man sprach von einer Besetzung Shangais durch die verbündete Flotte. Die bedeutenden Zolleinkünfte dieses Hafens sollten dann so lange als Pfand dienen, bis die Forderungen der Mächte erfüllt wären. Aber, aber — die wenigen noch übriggcbliebncn Ungläubigen sollten doch Recht behalten, wenigstens insofern, als sich ihre Behauptung, irgend ein an sich un¬ bedeutender politischer Zufall würde sofort die mühsam errungne Einigkeit sprengen, schlagend bewahrheiten sollte. Eines schonen Tnges war nämlich in den Zeitungen zu lesen, die Russen wären im Begriff, einen weitern Schritt nach Indien zu machen, indem sie ans der Hochelme von Pamir vordrängen. Ans dieser Hochebne, dem „Dach der Welt", wo sich die Interessenkreise der drei gewaltigen Reiche der Russen, Chinesen und Engländer berühren, wurde durch das Vordringen von vielleicht nicht mehr als ein paar hundert Mann der Einigkeit der Mächte in China ein sanfter Tod bereitet. Denn als dies Vorgehen der Russen bekannt wurde, machten die Engländer sogleich eine diplomatische Schwenkung, indem sie gegen China, den möglichen Verbündeten gegen Rußland in Hochasien, mildere Saiten auferzogen. Da nun die englischen Interessen in China weit größer sind "is die aller andern Ausländer zusammen, und da ferner die beiden einzigen während der Unruhen umgekommenen Personen englische Staatsangehörige waren, so wurde durch die erwähnte Schwenkung der schönen Eintracht ein Ende gemacht. Die Chinesen konnten aufatmen, wenn sie überhaupt jemals ernstlich besorgt ge¬ wesen waren. Vielleicht bauten sie selbst während der ganzen Zeit zuversichtlich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/413>, abgerufen am 06.05.2024.