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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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Litteratur

Nach der gewaltigen Aufregung, die die Veröffentlichungen über Soldaten-
Mißhandlungen hervorgerufen haben, sollte mein meinen, das; unser ganzes Heer¬
wesen verrottet sei, daß Ausschreitungen und Gewaltthätigkeiten früher nie vor¬
gekommen seien. Das ist ein großer, aber den Vaterlandsfeinden natürlich sehr
willkommner Irrtum. Der Geist in unsrer Armee ist gut und gesund. Um
Mißhandlungen zu verhüten und zu bestrafe", haben wir, wie das der Erlas; des
Prinzen Georg zeigt, strenge Mittel genng. Man lasse daher alle Neuerungen,
die auf diesem Gebiete unter den heutigen sozialen Verhältnissen nur zerstörend
wirken könnten. --




Litteratur
Die Kabinetsregieruu.q in Preußen und Joh. Will), Lombard. Ein Beitrag zur
Geschichte des preußischen Staates vvinehmlich in den Jahren 1797 lus 181V von Hermann
Hiiffcr. Mit zivei Portraits in Lichtdruck. Leipzig, Duncker und Humblot, 1891.

Das geschichtliche Interesse hat sich von jeher mit Vorliebe den Perioden
einer aufsteigenden geschichtlichen Bewegung zugewandt und ist an Zeiten der Aus¬
lösung und des Verfalls mit Abneigung vorübergegangen. Die Erscheinung ist
begreiflich genng, aber es läßt sich nicht leugnen, daß sie unter Umständen auch
ihre bedenklichen Seiten hat, vor allem dann, wenn es sich um vaterländische Ge¬
schichte handelt. Stets den Blick ans die Glanzperioden der eignen Geschichte
gerichtet zu halten, zumal wenn diese der jüngern oder jüngsten Vergangenheit
angehören, muß nnfehlbnr schließlich zu nationaler Selbstvergötterung führen, zu
der engherzigen Auffassung, als sei das eigne Volk das auserwnhlte der Geschichte,
als mürbe der ganze große Verlauf weltgeschichtlicher Entwicklung einzig in die
nationale Gegenwart ein und empfange von hier aus in rückwärts gewandter Ge¬
schichtsbetrachtung erst sein volles Verständnis und die Maßstäbe seiner Wert-
beurteilung. Je weniger wir uns verhehlen können, daß sich neuerdings bei uns
in Deutschland diese beschränkteste und gefährlichste Form eines mißverstcindncn
Patriotismus breitmacht, mit um so größerer Genugthuung begrüßen wir es als ein
Zeichen der Gesundheit unsrer wissenschaftlichen Geschichtsforschung, daß sie unbe¬
irrt vou solchen populären Strömungen an der Aufgabe festhält, die geschichtliche
Entwicklung rein um ihrer selbst willen zu begreifen, und daß sie vor allem auch
den Zeiten nationalen Niedergangs ihre Aufmerksamkeit schenkt, ja ihrer Erforschung
in letzter Zeit besondere Thätigkeit zuwendet.

In erster Linie steht hier die Beschäftigung mit dem trübsten Abschnitt deutscher
Geschichte, den die beiden Jahrzehnte zwischen dem Tode Friedrichs des Großen
und dem Zusammenbruch Preußens im Jahre 1806 umspannen. Kein andrer
als der Meister unsrer Geschichtsschreibung in diesem Jahrhundert, Ranke, istl es
gewesen, der die Beschäftigung mit diesem Zeitabschnitt zuerst befruchtend angeregt
hat. Seine Herausgabe der Denkwürdigkeiten Hardenbergs (187 7), die er selbst
mit einer Geschichte'des preußischen Staates von 1793 bis 1813 begleitete, hat
eine ganze Reihe ähnlicher Veröffentlichungen, Forschungen und Darstellungen an-


Litteratur

Nach der gewaltigen Aufregung, die die Veröffentlichungen über Soldaten-
Mißhandlungen hervorgerufen haben, sollte mein meinen, das; unser ganzes Heer¬
wesen verrottet sei, daß Ausschreitungen und Gewaltthätigkeiten früher nie vor¬
gekommen seien. Das ist ein großer, aber den Vaterlandsfeinden natürlich sehr
willkommner Irrtum. Der Geist in unsrer Armee ist gut und gesund. Um
Mißhandlungen zu verhüten und zu bestrafe», haben wir, wie das der Erlas; des
Prinzen Georg zeigt, strenge Mittel genng. Man lasse daher alle Neuerungen,
die auf diesem Gebiete unter den heutigen sozialen Verhältnissen nur zerstörend
wirken könnten. —




Litteratur
Die Kabinetsregieruu.q in Preußen und Joh. Will), Lombard. Ein Beitrag zur
Geschichte des preußischen Staates vvinehmlich in den Jahren 1797 lus 181V von Hermann
Hiiffcr. Mit zivei Portraits in Lichtdruck. Leipzig, Duncker und Humblot, 1891.

Das geschichtliche Interesse hat sich von jeher mit Vorliebe den Perioden
einer aufsteigenden geschichtlichen Bewegung zugewandt und ist an Zeiten der Aus¬
lösung und des Verfalls mit Abneigung vorübergegangen. Die Erscheinung ist
begreiflich genng, aber es läßt sich nicht leugnen, daß sie unter Umständen auch
ihre bedenklichen Seiten hat, vor allem dann, wenn es sich um vaterländische Ge¬
schichte handelt. Stets den Blick ans die Glanzperioden der eignen Geschichte
gerichtet zu halten, zumal wenn diese der jüngern oder jüngsten Vergangenheit
angehören, muß nnfehlbnr schließlich zu nationaler Selbstvergötterung führen, zu
der engherzigen Auffassung, als sei das eigne Volk das auserwnhlte der Geschichte,
als mürbe der ganze große Verlauf weltgeschichtlicher Entwicklung einzig in die
nationale Gegenwart ein und empfange von hier aus in rückwärts gewandter Ge¬
schichtsbetrachtung erst sein volles Verständnis und die Maßstäbe seiner Wert-
beurteilung. Je weniger wir uns verhehlen können, daß sich neuerdings bei uns
in Deutschland diese beschränkteste und gefährlichste Form eines mißverstcindncn
Patriotismus breitmacht, mit um so größerer Genugthuung begrüßen wir es als ein
Zeichen der Gesundheit unsrer wissenschaftlichen Geschichtsforschung, daß sie unbe¬
irrt vou solchen populären Strömungen an der Aufgabe festhält, die geschichtliche
Entwicklung rein um ihrer selbst willen zu begreifen, und daß sie vor allem auch
den Zeiten nationalen Niedergangs ihre Aufmerksamkeit schenkt, ja ihrer Erforschung
in letzter Zeit besondere Thätigkeit zuwendet.

In erster Linie steht hier die Beschäftigung mit dem trübsten Abschnitt deutscher
Geschichte, den die beiden Jahrzehnte zwischen dem Tode Friedrichs des Großen
und dem Zusammenbruch Preußens im Jahre 1806 umspannen. Kein andrer
als der Meister unsrer Geschichtsschreibung in diesem Jahrhundert, Ranke, istl es
gewesen, der die Beschäftigung mit diesem Zeitabschnitt zuerst befruchtend angeregt
hat. Seine Herausgabe der Denkwürdigkeiten Hardenbergs (187 7), die er selbst
mit einer Geschichte'des preußischen Staates von 1793 bis 1813 begleitete, hat
eine ganze Reihe ähnlicher Veröffentlichungen, Forschungen und Darstellungen an-


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[0470] Litteratur Nach der gewaltigen Aufregung, die die Veröffentlichungen über Soldaten- Mißhandlungen hervorgerufen haben, sollte mein meinen, das; unser ganzes Heer¬ wesen verrottet sei, daß Ausschreitungen und Gewaltthätigkeiten früher nie vor¬ gekommen seien. Das ist ein großer, aber den Vaterlandsfeinden natürlich sehr willkommner Irrtum. Der Geist in unsrer Armee ist gut und gesund. Um Mißhandlungen zu verhüten und zu bestrafe», haben wir, wie das der Erlas; des Prinzen Georg zeigt, strenge Mittel genng. Man lasse daher alle Neuerungen, die auf diesem Gebiete unter den heutigen sozialen Verhältnissen nur zerstörend wirken könnten. — Litteratur Die Kabinetsregieruu.q in Preußen und Joh. Will), Lombard. Ein Beitrag zur Geschichte des preußischen Staates vvinehmlich in den Jahren 1797 lus 181V von Hermann Hiiffcr. Mit zivei Portraits in Lichtdruck. Leipzig, Duncker und Humblot, 1891. Das geschichtliche Interesse hat sich von jeher mit Vorliebe den Perioden einer aufsteigenden geschichtlichen Bewegung zugewandt und ist an Zeiten der Aus¬ lösung und des Verfalls mit Abneigung vorübergegangen. Die Erscheinung ist begreiflich genng, aber es läßt sich nicht leugnen, daß sie unter Umständen auch ihre bedenklichen Seiten hat, vor allem dann, wenn es sich um vaterländische Ge¬ schichte handelt. Stets den Blick ans die Glanzperioden der eignen Geschichte gerichtet zu halten, zumal wenn diese der jüngern oder jüngsten Vergangenheit angehören, muß nnfehlbnr schließlich zu nationaler Selbstvergötterung führen, zu der engherzigen Auffassung, als sei das eigne Volk das auserwnhlte der Geschichte, als mürbe der ganze große Verlauf weltgeschichtlicher Entwicklung einzig in die nationale Gegenwart ein und empfange von hier aus in rückwärts gewandter Ge¬ schichtsbetrachtung erst sein volles Verständnis und die Maßstäbe seiner Wert- beurteilung. Je weniger wir uns verhehlen können, daß sich neuerdings bei uns in Deutschland diese beschränkteste und gefährlichste Form eines mißverstcindncn Patriotismus breitmacht, mit um so größerer Genugthuung begrüßen wir es als ein Zeichen der Gesundheit unsrer wissenschaftlichen Geschichtsforschung, daß sie unbe¬ irrt vou solchen populären Strömungen an der Aufgabe festhält, die geschichtliche Entwicklung rein um ihrer selbst willen zu begreifen, und daß sie vor allem auch den Zeiten nationalen Niedergangs ihre Aufmerksamkeit schenkt, ja ihrer Erforschung in letzter Zeit besondere Thätigkeit zuwendet. In erster Linie steht hier die Beschäftigung mit dem trübsten Abschnitt deutscher Geschichte, den die beiden Jahrzehnte zwischen dem Tode Friedrichs des Großen und dem Zusammenbruch Preußens im Jahre 1806 umspannen. Kein andrer als der Meister unsrer Geschichtsschreibung in diesem Jahrhundert, Ranke, istl es gewesen, der die Beschäftigung mit diesem Zeitabschnitt zuerst befruchtend angeregt hat. Seine Herausgabe der Denkwürdigkeiten Hardenbergs (187 7), die er selbst mit einer Geschichte'des preußischen Staates von 1793 bis 1813 begleitete, hat eine ganze Reihe ähnlicher Veröffentlichungen, Forschungen und Darstellungen an-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/470>, abgerufen am 07.05.2024.