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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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Neue Versuche
zur Lösung der Arbeiterwohnungsfrage
von Rnno Frankenstein

or einiger Zeit unterzog ich die Arbeiterwohnungsfrage der
Großstädte in den Grenzboten einer kurzen Erörterung. Dabei
wies ich namentlich ans die soziale Seite der Frage hin und
betonte, daß man als Ideal aller Bestrebungen zur Linderung
der modernen Wohnungsnot den Bau von Häusern bezeichnen
müsse, die bestimmt seien, allmählich in das Eigentum der Bewohner über¬
zugehen. Ich bemerkte auch, daß man da, wo sich die Gruuderwerbs- und
Baukosten zu hoch stellen, und in dem Maße, als niedrige Arbeitslöhne den
Arbeitern Einschränkungen in der Lebenshaltung auferlegen würden, allerdings
von der Herstellung von Eigentnmshäusern absehen und für billige und ge¬
sunde Mietwohnungen sorge" müsse. Im wesentlichen aber kam ich zu dem
Ergebnis, daß für einen sehr großen Teil der Arbeiterfamilien kein Anlaß
vorliege, in der teuer" Stadt zu wohnen, daß es vielmehr zweckmäßiger sei,
den Bedürfnissen der Arbeiter entsprechende, billige Miet- und Eigenhäuser
in den Vororten zu erbaue"?.

Mein Standpunkt scheint mehr und mehr und selbst von den Kreisen
geteilt zu werden, die noch vor kurzem der Meinung waren, daß der gro߬
städtische Arbeiter gezwungen sei, in Mietkasernen, günstigenfalls von spe¬
kulativen Aktiengesellschaften gebauten, zu wohnen, ja daß er es auch gar nicht
anders wolle. Entgegen den Prophezeiungen einzelner Mitglieder der Woh¬
nungskommission des "Deutschen Vereins für Armenpflege und Wohlthätigkeit"
(vergl. Grenzboten 1891, Ur. 22) hat der Bau von Arbeiterwohnhänsern,


Grenzboten I 1892 71


Neue Versuche
zur Lösung der Arbeiterwohnungsfrage
von Rnno Frankenstein

or einiger Zeit unterzog ich die Arbeiterwohnungsfrage der
Großstädte in den Grenzboten einer kurzen Erörterung. Dabei
wies ich namentlich ans die soziale Seite der Frage hin und
betonte, daß man als Ideal aller Bestrebungen zur Linderung
der modernen Wohnungsnot den Bau von Häusern bezeichnen
müsse, die bestimmt seien, allmählich in das Eigentum der Bewohner über¬
zugehen. Ich bemerkte auch, daß man da, wo sich die Gruuderwerbs- und
Baukosten zu hoch stellen, und in dem Maße, als niedrige Arbeitslöhne den
Arbeitern Einschränkungen in der Lebenshaltung auferlegen würden, allerdings
von der Herstellung von Eigentnmshäusern absehen und für billige und ge¬
sunde Mietwohnungen sorge» müsse. Im wesentlichen aber kam ich zu dem
Ergebnis, daß für einen sehr großen Teil der Arbeiterfamilien kein Anlaß
vorliege, in der teuer» Stadt zu wohnen, daß es vielmehr zweckmäßiger sei,
den Bedürfnissen der Arbeiter entsprechende, billige Miet- und Eigenhäuser
in den Vororten zu erbaue«?.

Mein Standpunkt scheint mehr und mehr und selbst von den Kreisen
geteilt zu werden, die noch vor kurzem der Meinung waren, daß der gro߬
städtische Arbeiter gezwungen sei, in Mietkasernen, günstigenfalls von spe¬
kulativen Aktiengesellschaften gebauten, zu wohnen, ja daß er es auch gar nicht
anders wolle. Entgegen den Prophezeiungen einzelner Mitglieder der Woh¬
nungskommission des „Deutschen Vereins für Armenpflege und Wohlthätigkeit"
(vergl. Grenzboten 1891, Ur. 22) hat der Bau von Arbeiterwohnhänsern,


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[0569] [Abbildung] Neue Versuche zur Lösung der Arbeiterwohnungsfrage von Rnno Frankenstein or einiger Zeit unterzog ich die Arbeiterwohnungsfrage der Großstädte in den Grenzboten einer kurzen Erörterung. Dabei wies ich namentlich ans die soziale Seite der Frage hin und betonte, daß man als Ideal aller Bestrebungen zur Linderung der modernen Wohnungsnot den Bau von Häusern bezeichnen müsse, die bestimmt seien, allmählich in das Eigentum der Bewohner über¬ zugehen. Ich bemerkte auch, daß man da, wo sich die Gruuderwerbs- und Baukosten zu hoch stellen, und in dem Maße, als niedrige Arbeitslöhne den Arbeitern Einschränkungen in der Lebenshaltung auferlegen würden, allerdings von der Herstellung von Eigentnmshäusern absehen und für billige und ge¬ sunde Mietwohnungen sorge» müsse. Im wesentlichen aber kam ich zu dem Ergebnis, daß für einen sehr großen Teil der Arbeiterfamilien kein Anlaß vorliege, in der teuer» Stadt zu wohnen, daß es vielmehr zweckmäßiger sei, den Bedürfnissen der Arbeiter entsprechende, billige Miet- und Eigenhäuser in den Vororten zu erbaue«?. Mein Standpunkt scheint mehr und mehr und selbst von den Kreisen geteilt zu werden, die noch vor kurzem der Meinung waren, daß der gro߬ städtische Arbeiter gezwungen sei, in Mietkasernen, günstigenfalls von spe¬ kulativen Aktiengesellschaften gebauten, zu wohnen, ja daß er es auch gar nicht anders wolle. Entgegen den Prophezeiungen einzelner Mitglieder der Woh¬ nungskommission des „Deutschen Vereins für Armenpflege und Wohlthätigkeit" (vergl. Grenzboten 1891, Ur. 22) hat der Bau von Arbeiterwohnhänsern, Grenzboten I 1892 71

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/569>, abgerufen am 06.05.2024.