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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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Die Bekämpfung der ^ozialdemokratie vom psycho¬
logischen Standpunkt
Von R. v" Schubert-Sold e r n

le soziale Frage hat nicht bloß eine materielle Seite, die so
ost allein betont wird, sie hat anch eine psychologische Seite,
die viel wichtiger ist, und aus der die eigentlichen Entstehungs¬
gründe der Sozialdemokratie zu suchen sind. Der hauptsächlichste
Grund ist der, daß der vierte Stand zur gesellschaftlichen und
politischen Gleichstellung mit den übrigen Standen emporstrebe. Auch hier sind
daher geistige Beweggründe vorherrschend. Man kann mit wenigem ebenso
glücklich sein wie mit vielem, so lange die Gesundheit erhalten bleibt und
gewisse geistige Bedürfnisse befriedigt werden. Man wird daher die sozial¬
demokratischen Bestrebungen gewiß nicht damit aus der Welt schaffen, daß man
den Arbeiter" Almosen vor die Füße wirft: da hast dn etwas, jetzt schweig!
Nicht Wohlthaten wollen die Arbeiter, anch Wohlthaten, die ihnen gesetzlich
zugesichert werdeu, genügen ihnen nicht; was sie anstreben sbewußt oder un¬
bewußt), ist eine bessere soziale Stellung, sie wollen etwas gelten, nicht bloß
als Masse, sondern jeder Einzelne will eine unabhängige und geachtete Stellung
einnehmen. Unabhängigkeit und Achtung sind die Ziele jedes tüchtigen Mannes,
nur der Feigling giebt diese Güter für die Sicherheit des Lebens, nur ein
Schuft für materiellen Genuß hin. So wie in frühern Zeiten der Adel allein
die volle Unabhängigkeit und öffentliche Achtung genoß, wie später der dritte
Stand nach Gleichberechtigung mit ihm rang, bis er sie errang ftvenigsteus vor
dem Gesetz und im politischen Leben), so strebt nun der vierte Stand uuauf-


Grenzvotm I 1892 1


Die Bekämpfung der ^ozialdemokratie vom psycho¬
logischen Standpunkt
Von R. v» Schubert-Sold e r n

le soziale Frage hat nicht bloß eine materielle Seite, die so
ost allein betont wird, sie hat anch eine psychologische Seite,
die viel wichtiger ist, und aus der die eigentlichen Entstehungs¬
gründe der Sozialdemokratie zu suchen sind. Der hauptsächlichste
Grund ist der, daß der vierte Stand zur gesellschaftlichen und
politischen Gleichstellung mit den übrigen Standen emporstrebe. Auch hier sind
daher geistige Beweggründe vorherrschend. Man kann mit wenigem ebenso
glücklich sein wie mit vielem, so lange die Gesundheit erhalten bleibt und
gewisse geistige Bedürfnisse befriedigt werden. Man wird daher die sozial¬
demokratischen Bestrebungen gewiß nicht damit aus der Welt schaffen, daß man
den Arbeiter» Almosen vor die Füße wirft: da hast dn etwas, jetzt schweig!
Nicht Wohlthaten wollen die Arbeiter, anch Wohlthaten, die ihnen gesetzlich
zugesichert werdeu, genügen ihnen nicht; was sie anstreben sbewußt oder un¬
bewußt), ist eine bessere soziale Stellung, sie wollen etwas gelten, nicht bloß
als Masse, sondern jeder Einzelne will eine unabhängige und geachtete Stellung
einnehmen. Unabhängigkeit und Achtung sind die Ziele jedes tüchtigen Mannes,
nur der Feigling giebt diese Güter für die Sicherheit des Lebens, nur ein
Schuft für materiellen Genuß hin. So wie in frühern Zeiten der Adel allein
die volle Unabhängigkeit und öffentliche Achtung genoß, wie später der dritte
Stand nach Gleichberechtigung mit ihm rang, bis er sie errang ftvenigsteus vor
dem Gesetz und im politischen Leben), so strebt nun der vierte Stand uuauf-


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[0009] [Abbildung] Die Bekämpfung der ^ozialdemokratie vom psycho¬ logischen Standpunkt Von R. v» Schubert-Sold e r n le soziale Frage hat nicht bloß eine materielle Seite, die so ost allein betont wird, sie hat anch eine psychologische Seite, die viel wichtiger ist, und aus der die eigentlichen Entstehungs¬ gründe der Sozialdemokratie zu suchen sind. Der hauptsächlichste Grund ist der, daß der vierte Stand zur gesellschaftlichen und politischen Gleichstellung mit den übrigen Standen emporstrebe. Auch hier sind daher geistige Beweggründe vorherrschend. Man kann mit wenigem ebenso glücklich sein wie mit vielem, so lange die Gesundheit erhalten bleibt und gewisse geistige Bedürfnisse befriedigt werden. Man wird daher die sozial¬ demokratischen Bestrebungen gewiß nicht damit aus der Welt schaffen, daß man den Arbeiter» Almosen vor die Füße wirft: da hast dn etwas, jetzt schweig! Nicht Wohlthaten wollen die Arbeiter, anch Wohlthaten, die ihnen gesetzlich zugesichert werdeu, genügen ihnen nicht; was sie anstreben sbewußt oder un¬ bewußt), ist eine bessere soziale Stellung, sie wollen etwas gelten, nicht bloß als Masse, sondern jeder Einzelne will eine unabhängige und geachtete Stellung einnehmen. Unabhängigkeit und Achtung sind die Ziele jedes tüchtigen Mannes, nur der Feigling giebt diese Güter für die Sicherheit des Lebens, nur ein Schuft für materiellen Genuß hin. So wie in frühern Zeiten der Adel allein die volle Unabhängigkeit und öffentliche Achtung genoß, wie später der dritte Stand nach Gleichberechtigung mit ihm rang, bis er sie errang ftvenigsteus vor dem Gesetz und im politischen Leben), so strebt nun der vierte Stand uuauf- Grenzvotm I 1892 1

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/9>, abgerufen am 07.05.2024.