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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.

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Litteratur

Wir über dasselbe, für uns zunächst rein akademische Thema einem uns zugesandten
Aufsatz Raum, dessen Verfasser die Zweckmäßigkeit der Bährschen Borschläge be¬
stritt und andre Vorschläge machte. Dabei war ihm ein Mißverständnis unter-
gelaufen, das von uns übersehen wurde. Er hatte den Vorschlag Dr. Bahrs, daß
die Wähler nach ihrem Einkommen in verschiedne Klassen geteilt und die ab¬
gegebnen Stimmen verschieden gezahlt werden sollten, wobei als der Multiplikator
für die Stimmen aus den Klassen mit höherem Einkommen nicht mir die Zahlen
2, 3 u. s. w., sondern weit höher aufsteigende gedacht waren, dahin verstanden,
daß der Millionär vielleicht kaufende von Stimmen erhalten sollte. Diesen Ge¬
danken weist Herr Dr. Bahr in einer uns zugesandten Berichtigung als unsinnig
zurück, und er beruft sich dabei auf seinen auf Seite 388 stehenden, nicht berück¬
sichtigten Nachsatz! "Als selbstverständlich sehen wir es an, daß von einer gewissen
Höhe des Einkommens aufwärts keine Steigerung der Stimmberechtigung mehr
eintritt." Unter dieser Höhe des Einkommens hatte sich Herr Dr. Bähr, wie er
sagt, etwa ein Einkommen von 10 000 Mark gedacht.




Litteratur

Am Tiber. Novelle von Grazia Pierantoni-Mancini. Autorisirte Übersetzung
von Therese Hiipfner. Berlin, Georg Reimer, 1302.

Die vorliegende Novelle ans der italienischen Gesellschaft der Gegenwart ist
nicht ohne Feinheit und seelische Wahrheit, aber trüb und verstimmend, weil sie
wiederum die unerquickliche innere Auflösung einer Ehe darstellt, die von Haus aus
mit Resignation auf Seiten der Iran geschlossen worden ist, in deren weitern Verlauf
es aber an Resignation gebricht. Die Unvereinbarkeit eines nervösen Künstler¬
naturells mit der plumpen Tüchtigkeit eines erfolgreichen Strebers jüngster Gattung
ist mit lebendigem Anteil und guter Beobachtungsgabe geschildert; freilich muß sich
der arme Ingenieur Fulvins Terzani seinen in rastloser Arbeit erworbnen guten
Appetit als eine besonders schlimme und verletzende Eigenschaft anrechnen lassen.
Bemerkenswert und für Italiener rühmlich erscheint der strenge Maßstab, den die
geschilderte Gesellschaft ebenso wie die unglückliche Heldin selbst an die Tugend
und die innere Reinheit einer Verheirateteten Frau legen. Die Übersetzung scheint
sehr gut zu sein; ein Paar Jtalianismen, die allznwörtlich verdeutscht sind, wären
leicht zu beseitigen.






Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Gruuom in Leipzig
Verlag von Fr, WUH, Grunow in Leipzig -- Druck von Carl Marqunrt in Leipzig
Litteratur

Wir über dasselbe, für uns zunächst rein akademische Thema einem uns zugesandten
Aufsatz Raum, dessen Verfasser die Zweckmäßigkeit der Bährschen Borschläge be¬
stritt und andre Vorschläge machte. Dabei war ihm ein Mißverständnis unter-
gelaufen, das von uns übersehen wurde. Er hatte den Vorschlag Dr. Bahrs, daß
die Wähler nach ihrem Einkommen in verschiedne Klassen geteilt und die ab¬
gegebnen Stimmen verschieden gezahlt werden sollten, wobei als der Multiplikator
für die Stimmen aus den Klassen mit höherem Einkommen nicht mir die Zahlen
2, 3 u. s. w., sondern weit höher aufsteigende gedacht waren, dahin verstanden,
daß der Millionär vielleicht kaufende von Stimmen erhalten sollte. Diesen Ge¬
danken weist Herr Dr. Bahr in einer uns zugesandten Berichtigung als unsinnig
zurück, und er beruft sich dabei auf seinen auf Seite 388 stehenden, nicht berück¬
sichtigten Nachsatz! „Als selbstverständlich sehen wir es an, daß von einer gewissen
Höhe des Einkommens aufwärts keine Steigerung der Stimmberechtigung mehr
eintritt." Unter dieser Höhe des Einkommens hatte sich Herr Dr. Bähr, wie er
sagt, etwa ein Einkommen von 10 000 Mark gedacht.




Litteratur

Am Tiber. Novelle von Grazia Pierantoni-Mancini. Autorisirte Übersetzung
von Therese Hiipfner. Berlin, Georg Reimer, 1302.

Die vorliegende Novelle ans der italienischen Gesellschaft der Gegenwart ist
nicht ohne Feinheit und seelische Wahrheit, aber trüb und verstimmend, weil sie
wiederum die unerquickliche innere Auflösung einer Ehe darstellt, die von Haus aus
mit Resignation auf Seiten der Iran geschlossen worden ist, in deren weitern Verlauf
es aber an Resignation gebricht. Die Unvereinbarkeit eines nervösen Künstler¬
naturells mit der plumpen Tüchtigkeit eines erfolgreichen Strebers jüngster Gattung
ist mit lebendigem Anteil und guter Beobachtungsgabe geschildert; freilich muß sich
der arme Ingenieur Fulvins Terzani seinen in rastloser Arbeit erworbnen guten
Appetit als eine besonders schlimme und verletzende Eigenschaft anrechnen lassen.
Bemerkenswert und für Italiener rühmlich erscheint der strenge Maßstab, den die
geschilderte Gesellschaft ebenso wie die unglückliche Heldin selbst an die Tugend
und die innere Reinheit einer Verheirateteten Frau legen. Die Übersetzung scheint
sehr gut zu sein; ein Paar Jtalianismen, die allznwörtlich verdeutscht sind, wären
leicht zu beseitigen.






Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Gruuom in Leipzig
Verlag von Fr, WUH, Grunow in Leipzig — Druck von Carl Marqunrt in Leipzig
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[0248] Litteratur Wir über dasselbe, für uns zunächst rein akademische Thema einem uns zugesandten Aufsatz Raum, dessen Verfasser die Zweckmäßigkeit der Bährschen Borschläge be¬ stritt und andre Vorschläge machte. Dabei war ihm ein Mißverständnis unter- gelaufen, das von uns übersehen wurde. Er hatte den Vorschlag Dr. Bahrs, daß die Wähler nach ihrem Einkommen in verschiedne Klassen geteilt und die ab¬ gegebnen Stimmen verschieden gezahlt werden sollten, wobei als der Multiplikator für die Stimmen aus den Klassen mit höherem Einkommen nicht mir die Zahlen 2, 3 u. s. w., sondern weit höher aufsteigende gedacht waren, dahin verstanden, daß der Millionär vielleicht kaufende von Stimmen erhalten sollte. Diesen Ge¬ danken weist Herr Dr. Bahr in einer uns zugesandten Berichtigung als unsinnig zurück, und er beruft sich dabei auf seinen auf Seite 388 stehenden, nicht berück¬ sichtigten Nachsatz! „Als selbstverständlich sehen wir es an, daß von einer gewissen Höhe des Einkommens aufwärts keine Steigerung der Stimmberechtigung mehr eintritt." Unter dieser Höhe des Einkommens hatte sich Herr Dr. Bähr, wie er sagt, etwa ein Einkommen von 10 000 Mark gedacht. Litteratur Am Tiber. Novelle von Grazia Pierantoni-Mancini. Autorisirte Übersetzung von Therese Hiipfner. Berlin, Georg Reimer, 1302. Die vorliegende Novelle ans der italienischen Gesellschaft der Gegenwart ist nicht ohne Feinheit und seelische Wahrheit, aber trüb und verstimmend, weil sie wiederum die unerquickliche innere Auflösung einer Ehe darstellt, die von Haus aus mit Resignation auf Seiten der Iran geschlossen worden ist, in deren weitern Verlauf es aber an Resignation gebricht. Die Unvereinbarkeit eines nervösen Künstler¬ naturells mit der plumpen Tüchtigkeit eines erfolgreichen Strebers jüngster Gattung ist mit lebendigem Anteil und guter Beobachtungsgabe geschildert; freilich muß sich der arme Ingenieur Fulvins Terzani seinen in rastloser Arbeit erworbnen guten Appetit als eine besonders schlimme und verletzende Eigenschaft anrechnen lassen. Bemerkenswert und für Italiener rühmlich erscheint der strenge Maßstab, den die geschilderte Gesellschaft ebenso wie die unglückliche Heldin selbst an die Tugend und die innere Reinheit einer Verheirateteten Frau legen. Die Übersetzung scheint sehr gut zu sein; ein Paar Jtalianismen, die allznwörtlich verdeutscht sind, wären leicht zu beseitigen. Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Gruuom in Leipzig Verlag von Fr, WUH, Grunow in Leipzig — Druck von Carl Marqunrt in Leipzig

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_212475/248>, abgerufen am 02.05.2024.