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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.

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pannonische Bilder

as gäbe ich drum, wenn ich jetzt ein gediegnes langes Zitat ans
einem antiken Schriftsteller zur Hand hätte, das meiner Berech¬
tigung zum Panuonisteu einen ehrwürdigen Stempel aufdrückte
und mich der Verpflichtung überhöbe, über solch ein nutik be¬
legtes Thema etwas neues vorzubringen. Leider bin ich in
diesem Falle mein einziger klassischer Schriftsteller, und das -- übrigens sehr
wohlfeile -- Reisebillet der Kaschau-Oderberger Bahn ist der einzige Berech¬
tigungsschein für mein Unterfangen, fern von allen Hilfsmitteln der gelehrten
Welt in einem mangelhaft geheizten, "sommerfrischen" Zimmer im Gebiete der
obersten Waag meinen westlichern Lesern neue Lichter über Ungarns Land und
Leute aufzustecken. Aber einen gewaltigen Nothelfer und Bundesgenossen kann
ich aufweisen: den Nebel. Zum Greifen leibhaftig lagert er sich vor meinen
Fenstern, er verhüllt nur nicht bloß die Lomuitzer und Schlagendorfer, sondern
geradezu meine eigne Nasenspitze, es ist bisher das einzige, was ich von der
"hohen Tatra" zu sehn bekommen habe -- und er, der dem Kundigen so viele
Mhthen und Sagen in allen Gegenden des Erdenrunds erklärt, er sollte nicht
auch für meine "Pannonischen Bilder" einstehn?

Aber ich will keine Mythen erzählen und in das wallende, wogende,
granweißliche Meer um mich her, das mir die Aussicht ins Land versperrt,
keine Spukgestalten und Lügeugeschichten hineindichten. Wie graute mir in
meiner Jugend vor den wild zerrißnen Thälern und unendlichen Wäldern
dahinten gleich bei der Türkei --, wo düstere Magnatenschlösser, zwischen
himmelhochrageuden Tannen versteckt, schauerliche Geheimnisse bargen, Räuber
das Land durchstreifte", Zigeuner geraubte Grafentiuder in Erdhöhlen schleppten,
und vornehme Flüchtlinge als Flößer verkleidet die reißende Waag hinnnter-
schwammen. Jetzt sitze ich selber für ein ganz prosaisches modernstes Zonen¬
tarifbillet der Kaschan-Oderberger Bahn in diesen zerklüfteten Bergen unter den
hochragenden Tannen ihrer unendlichen Wälder. Ich weiß, daß es hier noch
ziemlich weit ist bis zur Türkei, daß die Maguatenschlösser auf der Audrassy-
straßc in Pest stehn und keineswegs düster sind, daß ein "Gvrale" zwar unter
Umständen wie drei Räuber aussehn kann, aber sich selber zu fürchten pflegt
wie zehn Hasen, daß die Zigeuner an ihren eignen Kindern genug haben, um




pannonische Bilder

as gäbe ich drum, wenn ich jetzt ein gediegnes langes Zitat ans
einem antiken Schriftsteller zur Hand hätte, das meiner Berech¬
tigung zum Panuonisteu einen ehrwürdigen Stempel aufdrückte
und mich der Verpflichtung überhöbe, über solch ein nutik be¬
legtes Thema etwas neues vorzubringen. Leider bin ich in
diesem Falle mein einziger klassischer Schriftsteller, und das — übrigens sehr
wohlfeile — Reisebillet der Kaschau-Oderberger Bahn ist der einzige Berech¬
tigungsschein für mein Unterfangen, fern von allen Hilfsmitteln der gelehrten
Welt in einem mangelhaft geheizten, „sommerfrischen" Zimmer im Gebiete der
obersten Waag meinen westlichern Lesern neue Lichter über Ungarns Land und
Leute aufzustecken. Aber einen gewaltigen Nothelfer und Bundesgenossen kann
ich aufweisen: den Nebel. Zum Greifen leibhaftig lagert er sich vor meinen
Fenstern, er verhüllt nur nicht bloß die Lomuitzer und Schlagendorfer, sondern
geradezu meine eigne Nasenspitze, es ist bisher das einzige, was ich von der
„hohen Tatra" zu sehn bekommen habe — und er, der dem Kundigen so viele
Mhthen und Sagen in allen Gegenden des Erdenrunds erklärt, er sollte nicht
auch für meine „Pannonischen Bilder" einstehn?

Aber ich will keine Mythen erzählen und in das wallende, wogende,
granweißliche Meer um mich her, das mir die Aussicht ins Land versperrt,
keine Spukgestalten und Lügeugeschichten hineindichten. Wie graute mir in
meiner Jugend vor den wild zerrißnen Thälern und unendlichen Wäldern
dahinten gleich bei der Türkei —, wo düstere Magnatenschlösser, zwischen
himmelhochrageuden Tannen versteckt, schauerliche Geheimnisse bargen, Räuber
das Land durchstreifte», Zigeuner geraubte Grafentiuder in Erdhöhlen schleppten,
und vornehme Flüchtlinge als Flößer verkleidet die reißende Waag hinnnter-
schwammen. Jetzt sitze ich selber für ein ganz prosaisches modernstes Zonen¬
tarifbillet der Kaschan-Oderberger Bahn in diesen zerklüfteten Bergen unter den
hochragenden Tannen ihrer unendlichen Wälder. Ich weiß, daß es hier noch
ziemlich weit ist bis zur Türkei, daß die Maguatenschlösser auf der Audrassy-
straßc in Pest stehn und keineswegs düster sind, daß ein „Gvrale" zwar unter
Umständen wie drei Räuber aussehn kann, aber sich selber zu fürchten pflegt
wie zehn Hasen, daß die Zigeuner an ihren eignen Kindern genug haben, um


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[0279] [Abbildung] pannonische Bilder as gäbe ich drum, wenn ich jetzt ein gediegnes langes Zitat ans einem antiken Schriftsteller zur Hand hätte, das meiner Berech¬ tigung zum Panuonisteu einen ehrwürdigen Stempel aufdrückte und mich der Verpflichtung überhöbe, über solch ein nutik be¬ legtes Thema etwas neues vorzubringen. Leider bin ich in diesem Falle mein einziger klassischer Schriftsteller, und das — übrigens sehr wohlfeile — Reisebillet der Kaschau-Oderberger Bahn ist der einzige Berech¬ tigungsschein für mein Unterfangen, fern von allen Hilfsmitteln der gelehrten Welt in einem mangelhaft geheizten, „sommerfrischen" Zimmer im Gebiete der obersten Waag meinen westlichern Lesern neue Lichter über Ungarns Land und Leute aufzustecken. Aber einen gewaltigen Nothelfer und Bundesgenossen kann ich aufweisen: den Nebel. Zum Greifen leibhaftig lagert er sich vor meinen Fenstern, er verhüllt nur nicht bloß die Lomuitzer und Schlagendorfer, sondern geradezu meine eigne Nasenspitze, es ist bisher das einzige, was ich von der „hohen Tatra" zu sehn bekommen habe — und er, der dem Kundigen so viele Mhthen und Sagen in allen Gegenden des Erdenrunds erklärt, er sollte nicht auch für meine „Pannonischen Bilder" einstehn? Aber ich will keine Mythen erzählen und in das wallende, wogende, granweißliche Meer um mich her, das mir die Aussicht ins Land versperrt, keine Spukgestalten und Lügeugeschichten hineindichten. Wie graute mir in meiner Jugend vor den wild zerrißnen Thälern und unendlichen Wäldern dahinten gleich bei der Türkei —, wo düstere Magnatenschlösser, zwischen himmelhochrageuden Tannen versteckt, schauerliche Geheimnisse bargen, Räuber das Land durchstreifte», Zigeuner geraubte Grafentiuder in Erdhöhlen schleppten, und vornehme Flüchtlinge als Flößer verkleidet die reißende Waag hinnnter- schwammen. Jetzt sitze ich selber für ein ganz prosaisches modernstes Zonen¬ tarifbillet der Kaschan-Oderberger Bahn in diesen zerklüfteten Bergen unter den hochragenden Tannen ihrer unendlichen Wälder. Ich weiß, daß es hier noch ziemlich weit ist bis zur Türkei, daß die Maguatenschlösser auf der Audrassy- straßc in Pest stehn und keineswegs düster sind, daß ein „Gvrale" zwar unter Umständen wie drei Räuber aussehn kann, aber sich selber zu fürchten pflegt wie zehn Hasen, daß die Zigeuner an ihren eignen Kindern genug haben, um

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_212475/279>, abgerufen am 03.05.2024.