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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.

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Gedanken eines Laien über den Buschoffschen Prozeß

"Einst hatte ich einen Mann, der hieß Griffenfeld!" soll Christian der
Fünfte von Dänemark oft geseufzt haben, nachdem er seinen großen Minister
dessen persönlichen Feinden geopfert hatte. Damals gab es freilich keine freie
Presse, die die Sache des Gestürzten und des Landes hätte vertreten können,
und der König selbst war zu schwach, das Netz von falschen Anschuldigungen
zu zerreißen. Heute und fiir uns handelt es sich ebenfalls um das Land,
wenn wir zu Vismarck stehn.




Gedanken eines Laien über den Buschoffschen Prozeß

er Prozeß gegen Buschoff ist zu Ende, das Urteil ist rechts¬
kräftig geworden, denn binnen acht Tagen ist kein Einspruch er¬
hoben worden. Vttschvsf ist freigesprochen, der Mörder des
kleinen Hegemann ist nicht entdeckt.
Nach dem vorliegenden Material könnte niemand mit Sicher¬

heit behaupten, die That sei von Buschoff verübt worden, obgleich einige
Indizien gegen ihn so schwerwiegend waren, daß sie zur Verurteilung hätten
führen können, und obgleich in andern Fällen schon geringere zur Verurteilung
geführt haben; das giebt selbst das "Kleine Journal" zu. Angenommen aber,
Buschoff sei nicht der Mörder, wäre es unmöglich, daß er darum wüßte?
Hat man diese Frage auch nur aufgeworfen? Wer könnte nun den Mord
begangen haben? War es etwa ein andrer Jude, oder war es ein Christ?
Hat der langatmige Prozeß gar nichts Positives zu Tage fördern können?
Fast gewinnt es den Anschein, als ob die langen Verhandlungen nur den
Zweck gehabt hätte", herauszufinden, ob Buschoff der Thäter sei -- um nicht
zu sagen: daß er es nicht sei --, und als ob man sich von Anfang an gar
nicht bemüht hätte, den eigentlichen Mörder ausfindig zu machen.

Es ist ein Mord verübt worden, der Leichnam ist unter auffallenden Um¬
ständen gefunden worden. Da gilt es doch, den Mörder zu entdecken. Bestand
nun die alleinige Aufgabe darin, immer neue Umstände heranzuziehen, die die Un¬
schuld des angeschuldigten Buschoff bewiesen? Hat sich ein Gericht nur auf diese
negative Seite zu beschränken? Man sollte doch denken, ein Staatsanwalt solle
ein Kläger sein Wider Mord, ein Ankläger des noch nicht entdeckten Mörders,
aber nicht ein Verteidiger des gerade Angeklagten, selbst wenn er persönlich
annimmt, daß dieser nicht der Thäter sei. Was hat man alles in dem Prozeß
Erbe-Bnntrock gethan, um Klarheit in die Sache zu bringen! Ist es je in


Gedanken eines Laien über den Buschoffschen Prozeß

„Einst hatte ich einen Mann, der hieß Griffenfeld!" soll Christian der
Fünfte von Dänemark oft geseufzt haben, nachdem er seinen großen Minister
dessen persönlichen Feinden geopfert hatte. Damals gab es freilich keine freie
Presse, die die Sache des Gestürzten und des Landes hätte vertreten können,
und der König selbst war zu schwach, das Netz von falschen Anschuldigungen
zu zerreißen. Heute und fiir uns handelt es sich ebenfalls um das Land,
wenn wir zu Vismarck stehn.




Gedanken eines Laien über den Buschoffschen Prozeß

er Prozeß gegen Buschoff ist zu Ende, das Urteil ist rechts¬
kräftig geworden, denn binnen acht Tagen ist kein Einspruch er¬
hoben worden. Vttschvsf ist freigesprochen, der Mörder des
kleinen Hegemann ist nicht entdeckt.
Nach dem vorliegenden Material könnte niemand mit Sicher¬

heit behaupten, die That sei von Buschoff verübt worden, obgleich einige
Indizien gegen ihn so schwerwiegend waren, daß sie zur Verurteilung hätten
führen können, und obgleich in andern Fällen schon geringere zur Verurteilung
geführt haben; das giebt selbst das „Kleine Journal" zu. Angenommen aber,
Buschoff sei nicht der Mörder, wäre es unmöglich, daß er darum wüßte?
Hat man diese Frage auch nur aufgeworfen? Wer könnte nun den Mord
begangen haben? War es etwa ein andrer Jude, oder war es ein Christ?
Hat der langatmige Prozeß gar nichts Positives zu Tage fördern können?
Fast gewinnt es den Anschein, als ob die langen Verhandlungen nur den
Zweck gehabt hätte», herauszufinden, ob Buschoff der Thäter sei — um nicht
zu sagen: daß er es nicht sei —, und als ob man sich von Anfang an gar
nicht bemüht hätte, den eigentlichen Mörder ausfindig zu machen.

Es ist ein Mord verübt worden, der Leichnam ist unter auffallenden Um¬
ständen gefunden worden. Da gilt es doch, den Mörder zu entdecken. Bestand
nun die alleinige Aufgabe darin, immer neue Umstände heranzuziehen, die die Un¬
schuld des angeschuldigten Buschoff bewiesen? Hat sich ein Gericht nur auf diese
negative Seite zu beschränken? Man sollte doch denken, ein Staatsanwalt solle
ein Kläger sein Wider Mord, ein Ankläger des noch nicht entdeckten Mörders,
aber nicht ein Verteidiger des gerade Angeklagten, selbst wenn er persönlich
annimmt, daß dieser nicht der Thäter sei. Was hat man alles in dem Prozeß
Erbe-Bnntrock gethan, um Klarheit in die Sache zu bringen! Ist es je in


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_212475/301>, abgerufen am 02.05.2024.