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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.

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genossen nur die Wahrheit und nichts als die Wahrheit gesagt zu haben. Ich
weiß zwar, daß die Juden jedes Wort der Rüge und des Tadels als Haß
auffassen und gern nach niedrigen Beweggründen suchen. Sei es; an der
guten Sache willen mache ich mich nicht nur auf eine sachliche Polemik, son¬
dern auch auf persönliche Anfeindungen gefaßt. Aber die Macht der Wahr¬
heit ist so groß, daß sie siegen wird, wenn auch ihren Triumphwagen käuf¬
liche Zeitungsjungen mit Kot bespritzen. Sollte sie nicht siegen, sollten die
Juden nicht einsehen, daß ein "neuer Kurs" von nöten ist, um so schlimmer
für sie. Heute schützt sie noch der Grundsatz der Gleichberechtigung, die von
manchesterlichen Anschauungen durchtränkte und im sittlichen Sinne revisions¬
bedürftige Verfassung. Morgen könnte die sozialistische Bewegung derart an¬
schwellen, daß die Regierungen gezwungen wären, die ableitende Methode an¬
zuwenden und das Judentum preiszugebe", nur um ihre eiguen Lebensinteressen
zu retten. Und es wäre nicht undenkbar, daß sich die Massen, trotz der heutigen
Freundschaft zwischen der Sozialdemokratie und den Juden, mit diesem
schönen Bissen ans geraume Zeit zufrieden gäben.

Wer also nicht will, daß der Antisemitismus mit Haß und Greuel, Aus¬
nahmegesetzen und Jndennustreibungen ans Ruder komme -- und dafür sind,
man täusche sich nicht! so manche Zeichen vorhanden --, der lege mit Hand
an. die Pestbeulen aus der Welt zu schaffen, die sich am Körper des Juden¬
tums festgesetzt haben, und werfe weit von sich weg falsche Solidarität und
Empfindlichkeit, wenn er Jude, und wenn er Christ ist, unchristlichen Haß und
Vrrfolgnngssucht, und mögen beide vereint das große Werk der Regeneration
der Gesellschaft ans ethischen Prinzipien beginnen und die Bösen und Ner-
worfnen, welcher Religion und Rasse sie auch angehören mögen, unschädlich
machen!




I. G. Achtes geschlossener Handelsstaat

mer der frühesten sozialistischen Schriftsteller, in Deutschland der
erste, der die theoretische Behandlung der sozialen Frage in die
Hand genommen hat, ist I. G. Fichte. Ob und wie weit ihm
ihre Lösung gelungen ist, werden wir sehen. Aber auch wenn
sie ihm nicht gelungen sein sollte, und der Aufbau seines Systems
"ur ein Labhriuth von Irrungen wäre, würden wir ihm doch dankbar sein
müssen schon für die Aufstellung der Frage selbst. Auch ist es so, wie Ed.
Zeller einmal sagt: der geistreiche Mensch unterscheidet sich von den andern


Grenzbmen III ,892 64
I> G, Fichtes geschlossener Ljandelsstaat

genossen nur die Wahrheit und nichts als die Wahrheit gesagt zu haben. Ich
weiß zwar, daß die Juden jedes Wort der Rüge und des Tadels als Haß
auffassen und gern nach niedrigen Beweggründen suchen. Sei es; an der
guten Sache willen mache ich mich nicht nur auf eine sachliche Polemik, son¬
dern auch auf persönliche Anfeindungen gefaßt. Aber die Macht der Wahr¬
heit ist so groß, daß sie siegen wird, wenn auch ihren Triumphwagen käuf¬
liche Zeitungsjungen mit Kot bespritzen. Sollte sie nicht siegen, sollten die
Juden nicht einsehen, daß ein „neuer Kurs" von nöten ist, um so schlimmer
für sie. Heute schützt sie noch der Grundsatz der Gleichberechtigung, die von
manchesterlichen Anschauungen durchtränkte und im sittlichen Sinne revisions¬
bedürftige Verfassung. Morgen könnte die sozialistische Bewegung derart an¬
schwellen, daß die Regierungen gezwungen wären, die ableitende Methode an¬
zuwenden und das Judentum preiszugebe», nur um ihre eiguen Lebensinteressen
zu retten. Und es wäre nicht undenkbar, daß sich die Massen, trotz der heutigen
Freundschaft zwischen der Sozialdemokratie und den Juden, mit diesem
schönen Bissen ans geraume Zeit zufrieden gäben.

Wer also nicht will, daß der Antisemitismus mit Haß und Greuel, Aus¬
nahmegesetzen und Jndennustreibungen ans Ruder komme — und dafür sind,
man täusche sich nicht! so manche Zeichen vorhanden —, der lege mit Hand
an. die Pestbeulen aus der Welt zu schaffen, die sich am Körper des Juden¬
tums festgesetzt haben, und werfe weit von sich weg falsche Solidarität und
Empfindlichkeit, wenn er Jude, und wenn er Christ ist, unchristlichen Haß und
Vrrfolgnngssucht, und mögen beide vereint das große Werk der Regeneration
der Gesellschaft ans ethischen Prinzipien beginnen und die Bösen und Ner-
worfnen, welcher Religion und Rasse sie auch angehören mögen, unschädlich
machen!




I. G. Achtes geschlossener Handelsstaat

mer der frühesten sozialistischen Schriftsteller, in Deutschland der
erste, der die theoretische Behandlung der sozialen Frage in die
Hand genommen hat, ist I. G. Fichte. Ob und wie weit ihm
ihre Lösung gelungen ist, werden wir sehen. Aber auch wenn
sie ihm nicht gelungen sein sollte, und der Aufbau seines Systems
"ur ein Labhriuth von Irrungen wäre, würden wir ihm doch dankbar sein
müssen schon für die Aufstellung der Frage selbst. Auch ist es so, wie Ed.
Zeller einmal sagt: der geistreiche Mensch unterscheidet sich von den andern


Grenzbmen III ,892 64
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[0513] I> G, Fichtes geschlossener Ljandelsstaat genossen nur die Wahrheit und nichts als die Wahrheit gesagt zu haben. Ich weiß zwar, daß die Juden jedes Wort der Rüge und des Tadels als Haß auffassen und gern nach niedrigen Beweggründen suchen. Sei es; an der guten Sache willen mache ich mich nicht nur auf eine sachliche Polemik, son¬ dern auch auf persönliche Anfeindungen gefaßt. Aber die Macht der Wahr¬ heit ist so groß, daß sie siegen wird, wenn auch ihren Triumphwagen käuf¬ liche Zeitungsjungen mit Kot bespritzen. Sollte sie nicht siegen, sollten die Juden nicht einsehen, daß ein „neuer Kurs" von nöten ist, um so schlimmer für sie. Heute schützt sie noch der Grundsatz der Gleichberechtigung, die von manchesterlichen Anschauungen durchtränkte und im sittlichen Sinne revisions¬ bedürftige Verfassung. Morgen könnte die sozialistische Bewegung derart an¬ schwellen, daß die Regierungen gezwungen wären, die ableitende Methode an¬ zuwenden und das Judentum preiszugebe», nur um ihre eiguen Lebensinteressen zu retten. Und es wäre nicht undenkbar, daß sich die Massen, trotz der heutigen Freundschaft zwischen der Sozialdemokratie und den Juden, mit diesem schönen Bissen ans geraume Zeit zufrieden gäben. Wer also nicht will, daß der Antisemitismus mit Haß und Greuel, Aus¬ nahmegesetzen und Jndennustreibungen ans Ruder komme — und dafür sind, man täusche sich nicht! so manche Zeichen vorhanden —, der lege mit Hand an. die Pestbeulen aus der Welt zu schaffen, die sich am Körper des Juden¬ tums festgesetzt haben, und werfe weit von sich weg falsche Solidarität und Empfindlichkeit, wenn er Jude, und wenn er Christ ist, unchristlichen Haß und Vrrfolgnngssucht, und mögen beide vereint das große Werk der Regeneration der Gesellschaft ans ethischen Prinzipien beginnen und die Bösen und Ner- worfnen, welcher Religion und Rasse sie auch angehören mögen, unschädlich machen! I. G. Achtes geschlossener Handelsstaat mer der frühesten sozialistischen Schriftsteller, in Deutschland der erste, der die theoretische Behandlung der sozialen Frage in die Hand genommen hat, ist I. G. Fichte. Ob und wie weit ihm ihre Lösung gelungen ist, werden wir sehen. Aber auch wenn sie ihm nicht gelungen sein sollte, und der Aufbau seines Systems "ur ein Labhriuth von Irrungen wäre, würden wir ihm doch dankbar sein müssen schon für die Aufstellung der Frage selbst. Auch ist es so, wie Ed. Zeller einmal sagt: der geistreiche Mensch unterscheidet sich von den andern Grenzbmen III ,892 64

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_212475/513>, abgerufen am 02.05.2024.