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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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Die Umbildung der sozialdemokratischen Partei

le grundverkehrte Stellung, die der überwiegende Teil der uicht-
sozialdemokratischen Presse gegenüber der Sozialdemokratie ein¬
nimmt, zeigt sich wohl am deutlichsten in der Art, wie sich diese
Presse gegenüber den innerhalb der Sozialdemokratie hervor¬
tretenden Spaltungen verhält. Mit einem gewissen Behagen
wird jeder von den Unabhängigen ins Werk gesetzte Radau, jede Äußerung,
die sich gegen die "Bourgeois" gewordnen Führer, gegen die Korruption und
Versumpfung innerhalb der "Parteibureankratie" richtet, wiedergegeben und
mit unverkennbarer Schadenfreude jedes Anzeichen erwähnt, das dafür spricht,
daß das Ansehen der Führer sich mindert und die Massen ihnen nicht mehr
so willig folgen, wie früher.

Der Gedanke, der diesem Wohlwollen für die "ehrlichen" Umsturzmänuer
zu Grunde liegt, ist nicht schwer zu erraten. Wenn nur erst einmal die
Parteileitung mit ihrer ganzen Organisation von den Unabhängigen über den
Hansen geworfen ist, wenn den Führern die Geister über den Kopf gewachsen
sind, die sie selbst gerufen haben, wenn das eingetreten ist, was man immer
als das Ende vorausgesagt hat, ein Hinabgleite" der Bewegung in immer
radikalere Bahnen, dann ^ so glaubt man -- werde man mit der ganzen
Sozialdemokratie sehr schnell fertig werden. Wenn die Bewegung dann nicht
überhaupt von selbst an ihrer eignen Maßlosigkeit und Zügellosigkeit zu Grunde
gehen werde, so werde es nur der geeigneten Nachhilfe mittels Polizei- und
Waffengewalt bedürfen, um sie völlig zu vernichten.

Wir können vor einer folchen Betrachtungsweise nur mit allem Ernste
warnen. Möglich ist es ja gewiß --- wer wollte dies verkennen? --, daß
die Sozialdemokratie den Weg nimmt, den die Pessimisten voraussehen, und
sicher ist es auch nach unsrer Meinung, daß sie auf diesem Wege zu Grnnde


Grenzboten lV 1392 1Z


Die Umbildung der sozialdemokratischen Partei

le grundverkehrte Stellung, die der überwiegende Teil der uicht-
sozialdemokratischen Presse gegenüber der Sozialdemokratie ein¬
nimmt, zeigt sich wohl am deutlichsten in der Art, wie sich diese
Presse gegenüber den innerhalb der Sozialdemokratie hervor¬
tretenden Spaltungen verhält. Mit einem gewissen Behagen
wird jeder von den Unabhängigen ins Werk gesetzte Radau, jede Äußerung,
die sich gegen die „Bourgeois" gewordnen Führer, gegen die Korruption und
Versumpfung innerhalb der „Parteibureankratie" richtet, wiedergegeben und
mit unverkennbarer Schadenfreude jedes Anzeichen erwähnt, das dafür spricht,
daß das Ansehen der Führer sich mindert und die Massen ihnen nicht mehr
so willig folgen, wie früher.

Der Gedanke, der diesem Wohlwollen für die „ehrlichen" Umsturzmänuer
zu Grunde liegt, ist nicht schwer zu erraten. Wenn nur erst einmal die
Parteileitung mit ihrer ganzen Organisation von den Unabhängigen über den
Hansen geworfen ist, wenn den Führern die Geister über den Kopf gewachsen
sind, die sie selbst gerufen haben, wenn das eingetreten ist, was man immer
als das Ende vorausgesagt hat, ein Hinabgleite» der Bewegung in immer
radikalere Bahnen, dann ^ so glaubt man — werde man mit der ganzen
Sozialdemokratie sehr schnell fertig werden. Wenn die Bewegung dann nicht
überhaupt von selbst an ihrer eignen Maßlosigkeit und Zügellosigkeit zu Grunde
gehen werde, so werde es nur der geeigneten Nachhilfe mittels Polizei- und
Waffengewalt bedürfen, um sie völlig zu vernichten.

Wir können vor einer folchen Betrachtungsweise nur mit allem Ernste
warnen. Möglich ist es ja gewiß —- wer wollte dies verkennen? —, daß
die Sozialdemokratie den Weg nimmt, den die Pessimisten voraussehen, und
sicher ist es auch nach unsrer Meinung, daß sie auf diesem Wege zu Grnnde


Grenzboten lV 1392 1Z
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[0105] [Abbildung] Die Umbildung der sozialdemokratischen Partei le grundverkehrte Stellung, die der überwiegende Teil der uicht- sozialdemokratischen Presse gegenüber der Sozialdemokratie ein¬ nimmt, zeigt sich wohl am deutlichsten in der Art, wie sich diese Presse gegenüber den innerhalb der Sozialdemokratie hervor¬ tretenden Spaltungen verhält. Mit einem gewissen Behagen wird jeder von den Unabhängigen ins Werk gesetzte Radau, jede Äußerung, die sich gegen die „Bourgeois" gewordnen Führer, gegen die Korruption und Versumpfung innerhalb der „Parteibureankratie" richtet, wiedergegeben und mit unverkennbarer Schadenfreude jedes Anzeichen erwähnt, das dafür spricht, daß das Ansehen der Führer sich mindert und die Massen ihnen nicht mehr so willig folgen, wie früher. Der Gedanke, der diesem Wohlwollen für die „ehrlichen" Umsturzmänuer zu Grunde liegt, ist nicht schwer zu erraten. Wenn nur erst einmal die Parteileitung mit ihrer ganzen Organisation von den Unabhängigen über den Hansen geworfen ist, wenn den Führern die Geister über den Kopf gewachsen sind, die sie selbst gerufen haben, wenn das eingetreten ist, was man immer als das Ende vorausgesagt hat, ein Hinabgleite» der Bewegung in immer radikalere Bahnen, dann ^ so glaubt man — werde man mit der ganzen Sozialdemokratie sehr schnell fertig werden. Wenn die Bewegung dann nicht überhaupt von selbst an ihrer eignen Maßlosigkeit und Zügellosigkeit zu Grunde gehen werde, so werde es nur der geeigneten Nachhilfe mittels Polizei- und Waffengewalt bedürfen, um sie völlig zu vernichten. Wir können vor einer folchen Betrachtungsweise nur mit allem Ernste warnen. Möglich ist es ja gewiß —- wer wollte dies verkennen? —, daß die Sozialdemokratie den Weg nimmt, den die Pessimisten voraussehen, und sicher ist es auch nach unsrer Meinung, daß sie auf diesem Wege zu Grnnde Grenzboten lV 1392 1Z

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/105>, abgerufen am 27.04.2024.