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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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Unsre ^trafrechtspflege

in seiner Zeit durch die Kölnische Zeitung veröffentlichte Ver¬
fügung des preußischen Justizministers vom 8. Februar d. I.
hat lediglich eiuen Übelstand zum Gegenstände amtlicher Er¬
örterung gemacht, der in fachmännischer Kreisen längst bekannt
war, nämlich daß die Straf"echtspflcge als das schlecht behan¬
delte Stiefkind der Rechtspflege in Preußen bezeichnet werden kaun.

In dem preußischen Nichterstande ist die Meinung weit verbreitet, daß
die Strafrechtspflege im Verhältnis zur Zivilrechtspflege eine untergeordnete
Stellung einnehme, und daraus wird gefolgert, daß die Verwendung der
bessern, namentlich der spezifisch juristisch begabte" Richter als Strafrichter
sozusagen als ein Luxus anzusehen sei, diese vielmehr lediglich in der Zivil¬
rechtspflege zu verwenden seien. Woher kommt diese Anschauung? Ist sie be¬
gründet? und welche Folgen hat sie gehabt?

Soviel bekannt, ist es noch niemandem eingefallen, zu behaupten, daß das
Strafrecht und der Strafprozeß nicht ebenso gut der wissenschaftlichen Behand¬
lung wert und bedürftig seien, wie das Zivilrecht und der Zivilprozeß. Jeden¬
falls ist ihnen seit Feuerbach eine umfangreiche wissenschaftliche Behandlung
zu teil geworden. Und diese wissenschaftliche Behandlung bewegt sich nicht
etwa mehr auf dem historischen und philosophischen, also für die Anwendung
in der Praxis weniger in Betracht kommende Gebiete, sondern ein Blick in
einen der geradezu auf die Praxis zugeschnittenen Kommentare genügt, die
Überzeugung zu erwecken, daß auch in diesen Zweigen der Rechtswissenschaft
die enge und notwendige Verbindung zwischen Theorie und Praxis durchaus
besteht. Die Gelegenheit, ja die Notwendigkeit zu einer wissenschaftlichen Be¬
handlung des Strafrechts in der Praxis fehlt also nicht. Es muß demnach
ein andrer Grund vorliegen, der den preußischen Praktikern die praktische Be¬
schäftigung mit Strafsachen als eine untergeordnete, eines zünftigen Juristen
nicht recht würdige erscheinen läßt. Man wird schwerlich fehl greifen, wenn
mau diese Anschauung zum Teil aus die Einführung des Laienelements in die
Strafrechtspflege zurückführt. Wie man auch, um zuerst von den Schwur¬
gerichten zu sprechen, über die Notwendigkeit oder Zweckmäßigkeit dieser Ein¬
richtung vom politischen und juristischen Standpunkt ans denken mag, das




Unsre ^trafrechtspflege

in seiner Zeit durch die Kölnische Zeitung veröffentlichte Ver¬
fügung des preußischen Justizministers vom 8. Februar d. I.
hat lediglich eiuen Übelstand zum Gegenstände amtlicher Er¬
örterung gemacht, der in fachmännischer Kreisen längst bekannt
war, nämlich daß die Straf»echtspflcge als das schlecht behan¬
delte Stiefkind der Rechtspflege in Preußen bezeichnet werden kaun.

In dem preußischen Nichterstande ist die Meinung weit verbreitet, daß
die Strafrechtspflege im Verhältnis zur Zivilrechtspflege eine untergeordnete
Stellung einnehme, und daraus wird gefolgert, daß die Verwendung der
bessern, namentlich der spezifisch juristisch begabte» Richter als Strafrichter
sozusagen als ein Luxus anzusehen sei, diese vielmehr lediglich in der Zivil¬
rechtspflege zu verwenden seien. Woher kommt diese Anschauung? Ist sie be¬
gründet? und welche Folgen hat sie gehabt?

Soviel bekannt, ist es noch niemandem eingefallen, zu behaupten, daß das
Strafrecht und der Strafprozeß nicht ebenso gut der wissenschaftlichen Behand¬
lung wert und bedürftig seien, wie das Zivilrecht und der Zivilprozeß. Jeden¬
falls ist ihnen seit Feuerbach eine umfangreiche wissenschaftliche Behandlung
zu teil geworden. Und diese wissenschaftliche Behandlung bewegt sich nicht
etwa mehr auf dem historischen und philosophischen, also für die Anwendung
in der Praxis weniger in Betracht kommende Gebiete, sondern ein Blick in
einen der geradezu auf die Praxis zugeschnittenen Kommentare genügt, die
Überzeugung zu erwecken, daß auch in diesen Zweigen der Rechtswissenschaft
die enge und notwendige Verbindung zwischen Theorie und Praxis durchaus
besteht. Die Gelegenheit, ja die Notwendigkeit zu einer wissenschaftlichen Be¬
handlung des Strafrechts in der Praxis fehlt also nicht. Es muß demnach
ein andrer Grund vorliegen, der den preußischen Praktikern die praktische Be¬
schäftigung mit Strafsachen als eine untergeordnete, eines zünftigen Juristen
nicht recht würdige erscheinen läßt. Man wird schwerlich fehl greifen, wenn
mau diese Anschauung zum Teil aus die Einführung des Laienelements in die
Strafrechtspflege zurückführt. Wie man auch, um zuerst von den Schwur¬
gerichten zu sprechen, über die Notwendigkeit oder Zweckmäßigkeit dieser Ein¬
richtung vom politischen und juristischen Standpunkt ans denken mag, das


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[0108] [Abbildung] Unsre ^trafrechtspflege in seiner Zeit durch die Kölnische Zeitung veröffentlichte Ver¬ fügung des preußischen Justizministers vom 8. Februar d. I. hat lediglich eiuen Übelstand zum Gegenstände amtlicher Er¬ örterung gemacht, der in fachmännischer Kreisen längst bekannt war, nämlich daß die Straf»echtspflcge als das schlecht behan¬ delte Stiefkind der Rechtspflege in Preußen bezeichnet werden kaun. In dem preußischen Nichterstande ist die Meinung weit verbreitet, daß die Strafrechtspflege im Verhältnis zur Zivilrechtspflege eine untergeordnete Stellung einnehme, und daraus wird gefolgert, daß die Verwendung der bessern, namentlich der spezifisch juristisch begabte» Richter als Strafrichter sozusagen als ein Luxus anzusehen sei, diese vielmehr lediglich in der Zivil¬ rechtspflege zu verwenden seien. Woher kommt diese Anschauung? Ist sie be¬ gründet? und welche Folgen hat sie gehabt? Soviel bekannt, ist es noch niemandem eingefallen, zu behaupten, daß das Strafrecht und der Strafprozeß nicht ebenso gut der wissenschaftlichen Behand¬ lung wert und bedürftig seien, wie das Zivilrecht und der Zivilprozeß. Jeden¬ falls ist ihnen seit Feuerbach eine umfangreiche wissenschaftliche Behandlung zu teil geworden. Und diese wissenschaftliche Behandlung bewegt sich nicht etwa mehr auf dem historischen und philosophischen, also für die Anwendung in der Praxis weniger in Betracht kommende Gebiete, sondern ein Blick in einen der geradezu auf die Praxis zugeschnittenen Kommentare genügt, die Überzeugung zu erwecken, daß auch in diesen Zweigen der Rechtswissenschaft die enge und notwendige Verbindung zwischen Theorie und Praxis durchaus besteht. Die Gelegenheit, ja die Notwendigkeit zu einer wissenschaftlichen Be¬ handlung des Strafrechts in der Praxis fehlt also nicht. Es muß demnach ein andrer Grund vorliegen, der den preußischen Praktikern die praktische Be¬ schäftigung mit Strafsachen als eine untergeordnete, eines zünftigen Juristen nicht recht würdige erscheinen läßt. Man wird schwerlich fehl greifen, wenn mau diese Anschauung zum Teil aus die Einführung des Laienelements in die Strafrechtspflege zurückführt. Wie man auch, um zuerst von den Schwur¬ gerichten zu sprechen, über die Notwendigkeit oder Zweckmäßigkeit dieser Ein¬ richtung vom politischen und juristischen Standpunkt ans denken mag, das

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/108>, abgerufen am 27.04.2024.