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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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mit Recht, aber man forscht zu selten nach den Gründen dieser Erscheinung.
In Süddeutschland hegen viele gut nationale Männer die Überzeugung, daß
dieser Zustand der Verwirrung zum größten Teile dem Verhalten der Re¬
gierung zuzuschreiben sei, und bereiten sich vor, die Folgerungen aus dieser
Auffassung zu ziehen.




Eine etwas unsaubere, aber höchst wichtige ^>ache

es danke dir, Gott, daß ich nicht bin wie andre Menschen, Räuber,
Mörder, oder dieser Senat von Hamburg; denn bei uns kann
doch so etwas nicht vorkommen! -- Man hat Gelegenheit gehabt,
in den letzten Wochen dieses erbauliche Bekenntnis oft genug
und überall zu hören. Am schönsten nahm es sich in England
ans, dem klassischen Lande des Pharisäismus. Aber auch der deutsche Philister
gewährte einen erhebenden Anblick, wenn er seinen Schmutz überschaute und
meinte, der sei doch ganz etwas andres als der Hamburger Schmutz, und bei
ihm könne so etwas nicht vorkommen. Warum eigentlich nicht?

Die Schuld des Hamburger Senats besteht darin, daß er zwar für die
Einrichtungen, die Geld einbringen, ein gutes Verständnis gehabt hat, daß er
aber bei andern notwendigen Dingen, die keinen unmittelbaren Nutzen gewährten,
immer triftige Gründe gefunden hat, Geldausgaben zu vermeiden und Ver¬
besserungen auf die lange Bank zu schieben. Kenner der Hamburger Ver¬
hältnisse behaupten, daß man dort Dingen gegenüber, die nichts einbringen,
ein ganz ungewöhnliches Beharrungsvermögen habe. Das war so, und das
wird so bleiben. Das norddeutsche Phlegma und die kaufmännische Eng¬
herzigkeit sind daran schuld. Hierzu kam, daß man, um ja nicht den lieben
Handel zu stören, die Thatsachen vertuscht und sich über die Große der Ge¬
fahr fast absichtlich getäuscht hat. Hätte man im Anfange kräftig und richtig
zugegriffen, so hätte es sich vielleicht um einen Aufwand von Tausenden
gehandelt; jetzt handelt es sich um einen Verlust vou Millionen. Man hat
die Dinge an sich herankommen lassen und war, als die Krankheit mit uner¬
hörter Kraft auftrat, wehrlos und ratlos.

Nach den Untersuchungen Kochs ist es fast zur Sicherheit geworden, daß
aus dein großen Schuppen, der am Amerikaquai für russische Auswandrer
gebaut ist, und dessen Abgänge ohne Desinfektion in die Elbe geleitet wurden,^
Cholerakeime in die Elbe gekommen sind. "Ist diese Annahme richtig," schreibt
Dr. Reineke, der gegenwärtige Mediziualinspektor von Hamburg, "dann war


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mit Recht, aber man forscht zu selten nach den Gründen dieser Erscheinung.
In Süddeutschland hegen viele gut nationale Männer die Überzeugung, daß
dieser Zustand der Verwirrung zum größten Teile dem Verhalten der Re¬
gierung zuzuschreiben sei, und bereiten sich vor, die Folgerungen aus dieser
Auffassung zu ziehen.




Eine etwas unsaubere, aber höchst wichtige ^>ache

es danke dir, Gott, daß ich nicht bin wie andre Menschen, Räuber,
Mörder, oder dieser Senat von Hamburg; denn bei uns kann
doch so etwas nicht vorkommen! — Man hat Gelegenheit gehabt,
in den letzten Wochen dieses erbauliche Bekenntnis oft genug
und überall zu hören. Am schönsten nahm es sich in England
ans, dem klassischen Lande des Pharisäismus. Aber auch der deutsche Philister
gewährte einen erhebenden Anblick, wenn er seinen Schmutz überschaute und
meinte, der sei doch ganz etwas andres als der Hamburger Schmutz, und bei
ihm könne so etwas nicht vorkommen. Warum eigentlich nicht?

Die Schuld des Hamburger Senats besteht darin, daß er zwar für die
Einrichtungen, die Geld einbringen, ein gutes Verständnis gehabt hat, daß er
aber bei andern notwendigen Dingen, die keinen unmittelbaren Nutzen gewährten,
immer triftige Gründe gefunden hat, Geldausgaben zu vermeiden und Ver¬
besserungen auf die lange Bank zu schieben. Kenner der Hamburger Ver¬
hältnisse behaupten, daß man dort Dingen gegenüber, die nichts einbringen,
ein ganz ungewöhnliches Beharrungsvermögen habe. Das war so, und das
wird so bleiben. Das norddeutsche Phlegma und die kaufmännische Eng¬
herzigkeit sind daran schuld. Hierzu kam, daß man, um ja nicht den lieben
Handel zu stören, die Thatsachen vertuscht und sich über die Große der Ge¬
fahr fast absichtlich getäuscht hat. Hätte man im Anfange kräftig und richtig
zugegriffen, so hätte es sich vielleicht um einen Aufwand von Tausenden
gehandelt; jetzt handelt es sich um einen Verlust vou Millionen. Man hat
die Dinge an sich herankommen lassen und war, als die Krankheit mit uner¬
hörter Kraft auftrat, wehrlos und ratlos.

Nach den Untersuchungen Kochs ist es fast zur Sicherheit geworden, daß
aus dein großen Schuppen, der am Amerikaquai für russische Auswandrer
gebaut ist, und dessen Abgänge ohne Desinfektion in die Elbe geleitet wurden,^
Cholerakeime in die Elbe gekommen sind. „Ist diese Annahme richtig," schreibt
Dr. Reineke, der gegenwärtige Mediziualinspektor von Hamburg, „dann war


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/13>, abgerufen am 27.04.2024.