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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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Der Weltfriedenskongreß zu Bern

s giebt Leute, denen, was auch auf humanen Gebiete erstrebt
und erreicht werden mag, als bekämpfenswerteste Inhumanität
erscheint, weil ihr Standpunkt auf jener Wolkenkuckuckshochburg
Utopia liegt, von der sich die Wirklichkeit mit ihren Menschen
von Fleisch und Blut ausnimmt wie ein Nippfigurenkästchen,
dessen Inhalt man nach Gefallen rütteln, schütteln und aufstellen kann.

Eine hvchaufgeschoßue Pflanze aus der Treibhauskultur dieser Humanitäts¬
apostel ist der vor kurzem wieder einmal mit viel Reden und ohne Thaten
-- wenn man nicht die öffentlichen Umarmungen und Küßduetts dazu rechnen
will -- verfloßne Weltfriedenskongreß zu Bern.

Die Veranstalter hatten zunächst in ihren Zeitungen und Schriften da¬
durch für ihr Schauspiel Propaganda gemacht, daß sie (echt human) jeden
Menschen, der sich unterstand, anders zu denken, als sie vorgeschrieben hatten,
für dumm und roh erklären ließen. Man spekulirte dabei auf die schwache
Seite der Halbgebildeten und Urteilslosen, um Gottes und aller Heiligen
willen "gebildet und geistreich" erscheinen zu wollen; und hier hatte mau es
ja so billig, man brauchte nur nachzubeten -- nachzubeten den vorgeschriebnen
Katechismus, dessen Merkstellen statt des üblichen: "Was ist das?" lauteten:
"Wer schrieb das?" oder "Wer sagte das?" Daß die Namen, die dann als
Erklärung folgten, "Klang" hatten, dafür sorgten die Handlanger der Huma¬
nitätspächter mit einer Extraauflage von Druckerschwärze.

Auch eine Belohnung hatte man für die Gläubigen erfunden; sie bestand
-- wer sollte es bei dieser Weltenvcrbrüderungsgemeinde denken! -- in einem
Titel. Aber nicht etwa Graf, Baron, Gehenner Ober-, Über- oder Unterrat --
behüte, das klingt alles viel zu gewöhnlich, "Edelmeusch" lautete er. Edel-


Grenzbote" IV 1892 IN


Der Weltfriedenskongreß zu Bern

s giebt Leute, denen, was auch auf humanen Gebiete erstrebt
und erreicht werden mag, als bekämpfenswerteste Inhumanität
erscheint, weil ihr Standpunkt auf jener Wolkenkuckuckshochburg
Utopia liegt, von der sich die Wirklichkeit mit ihren Menschen
von Fleisch und Blut ausnimmt wie ein Nippfigurenkästchen,
dessen Inhalt man nach Gefallen rütteln, schütteln und aufstellen kann.

Eine hvchaufgeschoßue Pflanze aus der Treibhauskultur dieser Humanitäts¬
apostel ist der vor kurzem wieder einmal mit viel Reden und ohne Thaten
— wenn man nicht die öffentlichen Umarmungen und Küßduetts dazu rechnen
will — verfloßne Weltfriedenskongreß zu Bern.

Die Veranstalter hatten zunächst in ihren Zeitungen und Schriften da¬
durch für ihr Schauspiel Propaganda gemacht, daß sie (echt human) jeden
Menschen, der sich unterstand, anders zu denken, als sie vorgeschrieben hatten,
für dumm und roh erklären ließen. Man spekulirte dabei auf die schwache
Seite der Halbgebildeten und Urteilslosen, um Gottes und aller Heiligen
willen „gebildet und geistreich" erscheinen zu wollen; und hier hatte mau es
ja so billig, man brauchte nur nachzubeten — nachzubeten den vorgeschriebnen
Katechismus, dessen Merkstellen statt des üblichen: „Was ist das?" lauteten:
„Wer schrieb das?" oder „Wer sagte das?" Daß die Namen, die dann als
Erklärung folgten, „Klang" hatten, dafür sorgten die Handlanger der Huma¬
nitätspächter mit einer Extraauflage von Druckerschwärze.

Auch eine Belohnung hatte man für die Gläubigen erfunden; sie bestand
— wer sollte es bei dieser Weltenvcrbrüderungsgemeinde denken! — in einem
Titel. Aber nicht etwa Graf, Baron, Gehenner Ober-, Über- oder Unterrat —
behüte, das klingt alles viel zu gewöhnlich, „Edelmeusch" lautete er. Edel-


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[0153] [Abbildung] Der Weltfriedenskongreß zu Bern s giebt Leute, denen, was auch auf humanen Gebiete erstrebt und erreicht werden mag, als bekämpfenswerteste Inhumanität erscheint, weil ihr Standpunkt auf jener Wolkenkuckuckshochburg Utopia liegt, von der sich die Wirklichkeit mit ihren Menschen von Fleisch und Blut ausnimmt wie ein Nippfigurenkästchen, dessen Inhalt man nach Gefallen rütteln, schütteln und aufstellen kann. Eine hvchaufgeschoßue Pflanze aus der Treibhauskultur dieser Humanitäts¬ apostel ist der vor kurzem wieder einmal mit viel Reden und ohne Thaten — wenn man nicht die öffentlichen Umarmungen und Küßduetts dazu rechnen will — verfloßne Weltfriedenskongreß zu Bern. Die Veranstalter hatten zunächst in ihren Zeitungen und Schriften da¬ durch für ihr Schauspiel Propaganda gemacht, daß sie (echt human) jeden Menschen, der sich unterstand, anders zu denken, als sie vorgeschrieben hatten, für dumm und roh erklären ließen. Man spekulirte dabei auf die schwache Seite der Halbgebildeten und Urteilslosen, um Gottes und aller Heiligen willen „gebildet und geistreich" erscheinen zu wollen; und hier hatte mau es ja so billig, man brauchte nur nachzubeten — nachzubeten den vorgeschriebnen Katechismus, dessen Merkstellen statt des üblichen: „Was ist das?" lauteten: „Wer schrieb das?" oder „Wer sagte das?" Daß die Namen, die dann als Erklärung folgten, „Klang" hatten, dafür sorgten die Handlanger der Huma¬ nitätspächter mit einer Extraauflage von Druckerschwärze. Auch eine Belohnung hatte man für die Gläubigen erfunden; sie bestand — wer sollte es bei dieser Weltenvcrbrüderungsgemeinde denken! — in einem Titel. Aber nicht etwa Graf, Baron, Gehenner Ober-, Über- oder Unterrat — behüte, das klingt alles viel zu gewöhnlich, „Edelmeusch" lautete er. Edel- Grenzbote» IV 1892 IN

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/153>, abgerufen am 27.04.2024.