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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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Die Waffen nieder?

eit dem Volksschulgesetzkampf im preußischen Abgeorduetenhciuse
läßt sich eine wenn auch nur laugsam fortschreitende und durch
mancherlei Hemmnisse uuterbrochne Annäherung zwischen den
beiden großen liberalen Parteien beobachten, und seit vollends
das Bündnis zwischen Konservativen und Klerikalen offenkundig
geworden ist und durch Kampfgenossenschaft in verschiednen Wahlschlachten die
Feuertaufe erhalten hat, mehren sich die Stimmen, die die Einigung aller
Liberalen zur Abwehr rückschrittlicher Bestrebungen fordern. Es hat den An¬
schein, als ob auch Fürst Bismarck eine solche Einigung nicht ungern scheu
würde. sonderliche Hinneigung zu liberalen Theorien hat er wahrlich nie¬
mals verraten; wenn also sein Hamburger Leibblatt an die Liberalen einen
Mahnruf zur Einigkeit hat ergehen lassen, so muß die Gefahr, wodurch die
mühsamen Errungenschaften langer Jahre in Frage gestellt werden, dringend
genug sein, und die Liberalen haben alle Ursache, den gewiß nicht ohne Selbst¬
überwindung gegebnen Rat zu befolgen.

Allerdings ist dies bei unsern wirren Parteiverhaltnissen mit großen
Schwierigkeiten verbunden. Geringer siud sie für die leitenden Kreise, die von
höhern politischen Gesichtspunkten ausgehen, größer für die Parteigenossen in
den einzelnen Wahlkreisen, die sich in den kleinen Parteikrieg verbissen haben,
und für die Journalisten, denen die gegenseitige Befehdung zur angenehmen
Gewohnheit geworden ist. Besonders eigentümlich liegen die Verhältnisse in
Süddeutschland. Hier ist die deutschfrcisinnige Partei eine künstlich gro߬
gezogne Schmarotzerpflanze, die erst neuerdings durch Begünstigung des Zen¬
trums und der Demokraten, mehr vielleicht noch durch die Fehler der National-


Grenzboten IV 18V2 25


Die Waffen nieder?

eit dem Volksschulgesetzkampf im preußischen Abgeorduetenhciuse
läßt sich eine wenn auch nur laugsam fortschreitende und durch
mancherlei Hemmnisse uuterbrochne Annäherung zwischen den
beiden großen liberalen Parteien beobachten, und seit vollends
das Bündnis zwischen Konservativen und Klerikalen offenkundig
geworden ist und durch Kampfgenossenschaft in verschiednen Wahlschlachten die
Feuertaufe erhalten hat, mehren sich die Stimmen, die die Einigung aller
Liberalen zur Abwehr rückschrittlicher Bestrebungen fordern. Es hat den An¬
schein, als ob auch Fürst Bismarck eine solche Einigung nicht ungern scheu
würde. sonderliche Hinneigung zu liberalen Theorien hat er wahrlich nie¬
mals verraten; wenn also sein Hamburger Leibblatt an die Liberalen einen
Mahnruf zur Einigkeit hat ergehen lassen, so muß die Gefahr, wodurch die
mühsamen Errungenschaften langer Jahre in Frage gestellt werden, dringend
genug sein, und die Liberalen haben alle Ursache, den gewiß nicht ohne Selbst¬
überwindung gegebnen Rat zu befolgen.

Allerdings ist dies bei unsern wirren Parteiverhaltnissen mit großen
Schwierigkeiten verbunden. Geringer siud sie für die leitenden Kreise, die von
höhern politischen Gesichtspunkten ausgehen, größer für die Parteigenossen in
den einzelnen Wahlkreisen, die sich in den kleinen Parteikrieg verbissen haben,
und für die Journalisten, denen die gegenseitige Befehdung zur angenehmen
Gewohnheit geworden ist. Besonders eigentümlich liegen die Verhältnisse in
Süddeutschland. Hier ist die deutschfrcisinnige Partei eine künstlich gro߬
gezogne Schmarotzerpflanze, die erst neuerdings durch Begünstigung des Zen¬
trums und der Demokraten, mehr vielleicht noch durch die Fehler der National-


Grenzboten IV 18V2 25
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[0201] [Abbildung] Die Waffen nieder? eit dem Volksschulgesetzkampf im preußischen Abgeorduetenhciuse läßt sich eine wenn auch nur laugsam fortschreitende und durch mancherlei Hemmnisse uuterbrochne Annäherung zwischen den beiden großen liberalen Parteien beobachten, und seit vollends das Bündnis zwischen Konservativen und Klerikalen offenkundig geworden ist und durch Kampfgenossenschaft in verschiednen Wahlschlachten die Feuertaufe erhalten hat, mehren sich die Stimmen, die die Einigung aller Liberalen zur Abwehr rückschrittlicher Bestrebungen fordern. Es hat den An¬ schein, als ob auch Fürst Bismarck eine solche Einigung nicht ungern scheu würde. sonderliche Hinneigung zu liberalen Theorien hat er wahrlich nie¬ mals verraten; wenn also sein Hamburger Leibblatt an die Liberalen einen Mahnruf zur Einigkeit hat ergehen lassen, so muß die Gefahr, wodurch die mühsamen Errungenschaften langer Jahre in Frage gestellt werden, dringend genug sein, und die Liberalen haben alle Ursache, den gewiß nicht ohne Selbst¬ überwindung gegebnen Rat zu befolgen. Allerdings ist dies bei unsern wirren Parteiverhaltnissen mit großen Schwierigkeiten verbunden. Geringer siud sie für die leitenden Kreise, die von höhern politischen Gesichtspunkten ausgehen, größer für die Parteigenossen in den einzelnen Wahlkreisen, die sich in den kleinen Parteikrieg verbissen haben, und für die Journalisten, denen die gegenseitige Befehdung zur angenehmen Gewohnheit geworden ist. Besonders eigentümlich liegen die Verhältnisse in Süddeutschland. Hier ist die deutschfrcisinnige Partei eine künstlich gro߬ gezogne Schmarotzerpflanze, die erst neuerdings durch Begünstigung des Zen¬ trums und der Demokraten, mehr vielleicht noch durch die Fehler der National- Grenzboten IV 18V2 25

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/201>, abgerufen am 27.04.2024.