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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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Die deutsche Kolonialpolitik und die öffentliche Meinung

liebe Meinung noch etwas mehr als geographische Erschließung, wissenschaft¬
liche Erforschung, Verbreitung europäischer Kultur. Ein moderner großer
Industrie- und Hcmdclsstaat begehrt den Besitz von Kolonien als Absatz¬
gebieten, sucht die Zahl derer, die von ihm ihre Waren beziehen, zu ver¬
mehren, und berechnet, ob diese ihm ein vollwertiges Entgelt zu liefern
vermögen, ob sie zahlungsfähig und gute Kunden sind. Man ist nicht mit
Siegen, Trophäen und Eroberungen zufrieden, man will Kapitalanlagen er¬
möglichen, die gute Zinsen abwerfen. Das versteht mau nach kapitalistischen
Sprachgebrauchs unter "positiven" Schöpfungen, und den dauernden Mangel
an solchen würde man auch der im übrigen erfolgreichsten Kolonialpolitik nie
verzeihen. Alles, was die Anlage von Pflanzungen und Faktoreien, die Aus¬
breitung und den Aufschwung des Karawanen-, des Einfuhr- und Ausfuhr¬
handels, die Steuer- und Kaufkraft, die Arbeitslust und -fähigkeit der Be¬
völkerung betrifft, alle solche wirtschaftlichen Fragen werden von der öffent¬
lichen Meinung am gewissenhaftesten verfolgt und besprochen. Als Spielzeug
sind Kolonien ein teures und kostspieliges Vergnügen, und das große und
kleine Kapital ist nicht zur Mitwirkung an bloßen Abenteuern mit großem
Risiko und wenig Aussichten geneigt.

In dieser Beziehung macht sich nun gerade in der letzten Zeit, wie wir
glauben möchten, eine unverkennbare Besserung der Verhältnisse im deutschen
Afrika bemerkbar; zum Beispiel versprechen die Pflanzungen und Unter¬
nehmungen, die man in der Nähe der deutsch ostafrikanischen Küste, insbesondre
in Usambcira, plant oder schon ausgeführt hat, glückliche Ergebnisse. In der
That kann man nicht bestreiten, daß die wirtschaftliche Seite der Kolonial¬
politik die wichtigste ist, und daß die öffentliche Meinung ihr mit Recht die
größte Aufmerksamkeit widmet, obwohl man, wenn man den Gesamtverlauf
der geschichtlichen Entwicklung zu überschauen unternimmt, die wirtschaftlichen
Bedingungen von hente nur als Mittel zum Zweck in dem Fortschritt der
Gesamtmenschheit betrachten kann. Indem der Gewinn den Pflanzer und
Kaufmann nach Afrika lockt, ist er nur ein vergängliches und selbstsüchtiges
Werkzeug in der Hand einer Vorsehung, deren Ziele und Absichten rein
moralische sind und keine andern sein können.

Die öffentliche Meinung unsrer Tage wendet sich somit mit verschiednen
Wünschen idealer und besonders auch materialer Art an die Kolonialpolitik,
aber bis zu ihrer Erfüllung muß sie sich notgedrungen gedulden und bescheiden,
denn der schwarze Erdteil lehrt -- Geduld. Europa und Afrika sind Gegen¬
sätze in jeder Beziehung, jenes reich und dieses schwach gegliedert, jenes das
Licht, dieses das Dunkel der jetzigen Zeit, jenes mit freundlichem, dieses mit
feindlichem oder wenigstens zweifelhaftem Klima, jenes die Heimat des Weißen,
dieses die des Schwarzen. In Europa wird mit Maschinen, mit Dampf und
Elektrizität gearbeitet und geschafft, die Zeit ist Geld, die Menschen sind


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Die deutsche Kolonialpolitik und die öffentliche Meinung

liebe Meinung noch etwas mehr als geographische Erschließung, wissenschaft¬
liche Erforschung, Verbreitung europäischer Kultur. Ein moderner großer
Industrie- und Hcmdclsstaat begehrt den Besitz von Kolonien als Absatz¬
gebieten, sucht die Zahl derer, die von ihm ihre Waren beziehen, zu ver¬
mehren, und berechnet, ob diese ihm ein vollwertiges Entgelt zu liefern
vermögen, ob sie zahlungsfähig und gute Kunden sind. Man ist nicht mit
Siegen, Trophäen und Eroberungen zufrieden, man will Kapitalanlagen er¬
möglichen, die gute Zinsen abwerfen. Das versteht mau nach kapitalistischen
Sprachgebrauchs unter „positiven" Schöpfungen, und den dauernden Mangel
an solchen würde man auch der im übrigen erfolgreichsten Kolonialpolitik nie
verzeihen. Alles, was die Anlage von Pflanzungen und Faktoreien, die Aus¬
breitung und den Aufschwung des Karawanen-, des Einfuhr- und Ausfuhr¬
handels, die Steuer- und Kaufkraft, die Arbeitslust und -fähigkeit der Be¬
völkerung betrifft, alle solche wirtschaftlichen Fragen werden von der öffent¬
lichen Meinung am gewissenhaftesten verfolgt und besprochen. Als Spielzeug
sind Kolonien ein teures und kostspieliges Vergnügen, und das große und
kleine Kapital ist nicht zur Mitwirkung an bloßen Abenteuern mit großem
Risiko und wenig Aussichten geneigt.

In dieser Beziehung macht sich nun gerade in der letzten Zeit, wie wir
glauben möchten, eine unverkennbare Besserung der Verhältnisse im deutschen
Afrika bemerkbar; zum Beispiel versprechen die Pflanzungen und Unter¬
nehmungen, die man in der Nähe der deutsch ostafrikanischen Küste, insbesondre
in Usambcira, plant oder schon ausgeführt hat, glückliche Ergebnisse. In der
That kann man nicht bestreiten, daß die wirtschaftliche Seite der Kolonial¬
politik die wichtigste ist, und daß die öffentliche Meinung ihr mit Recht die
größte Aufmerksamkeit widmet, obwohl man, wenn man den Gesamtverlauf
der geschichtlichen Entwicklung zu überschauen unternimmt, die wirtschaftlichen
Bedingungen von hente nur als Mittel zum Zweck in dem Fortschritt der
Gesamtmenschheit betrachten kann. Indem der Gewinn den Pflanzer und
Kaufmann nach Afrika lockt, ist er nur ein vergängliches und selbstsüchtiges
Werkzeug in der Hand einer Vorsehung, deren Ziele und Absichten rein
moralische sind und keine andern sein können.

Die öffentliche Meinung unsrer Tage wendet sich somit mit verschiednen
Wünschen idealer und besonders auch materialer Art an die Kolonialpolitik,
aber bis zu ihrer Erfüllung muß sie sich notgedrungen gedulden und bescheiden,
denn der schwarze Erdteil lehrt — Geduld. Europa und Afrika sind Gegen¬
sätze in jeder Beziehung, jenes reich und dieses schwach gegliedert, jenes das
Licht, dieses das Dunkel der jetzigen Zeit, jenes mit freundlichem, dieses mit
feindlichem oder wenigstens zweifelhaftem Klima, jenes die Heimat des Weißen,
dieses die des Schwarzen. In Europa wird mit Maschinen, mit Dampf und
Elektrizität gearbeitet und geschafft, die Zeit ist Geld, die Menschen sind


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[0214] Die deutsche Kolonialpolitik und die öffentliche Meinung liebe Meinung noch etwas mehr als geographische Erschließung, wissenschaft¬ liche Erforschung, Verbreitung europäischer Kultur. Ein moderner großer Industrie- und Hcmdclsstaat begehrt den Besitz von Kolonien als Absatz¬ gebieten, sucht die Zahl derer, die von ihm ihre Waren beziehen, zu ver¬ mehren, und berechnet, ob diese ihm ein vollwertiges Entgelt zu liefern vermögen, ob sie zahlungsfähig und gute Kunden sind. Man ist nicht mit Siegen, Trophäen und Eroberungen zufrieden, man will Kapitalanlagen er¬ möglichen, die gute Zinsen abwerfen. Das versteht mau nach kapitalistischen Sprachgebrauchs unter „positiven" Schöpfungen, und den dauernden Mangel an solchen würde man auch der im übrigen erfolgreichsten Kolonialpolitik nie verzeihen. Alles, was die Anlage von Pflanzungen und Faktoreien, die Aus¬ breitung und den Aufschwung des Karawanen-, des Einfuhr- und Ausfuhr¬ handels, die Steuer- und Kaufkraft, die Arbeitslust und -fähigkeit der Be¬ völkerung betrifft, alle solche wirtschaftlichen Fragen werden von der öffent¬ lichen Meinung am gewissenhaftesten verfolgt und besprochen. Als Spielzeug sind Kolonien ein teures und kostspieliges Vergnügen, und das große und kleine Kapital ist nicht zur Mitwirkung an bloßen Abenteuern mit großem Risiko und wenig Aussichten geneigt. In dieser Beziehung macht sich nun gerade in der letzten Zeit, wie wir glauben möchten, eine unverkennbare Besserung der Verhältnisse im deutschen Afrika bemerkbar; zum Beispiel versprechen die Pflanzungen und Unter¬ nehmungen, die man in der Nähe der deutsch ostafrikanischen Küste, insbesondre in Usambcira, plant oder schon ausgeführt hat, glückliche Ergebnisse. In der That kann man nicht bestreiten, daß die wirtschaftliche Seite der Kolonial¬ politik die wichtigste ist, und daß die öffentliche Meinung ihr mit Recht die größte Aufmerksamkeit widmet, obwohl man, wenn man den Gesamtverlauf der geschichtlichen Entwicklung zu überschauen unternimmt, die wirtschaftlichen Bedingungen von hente nur als Mittel zum Zweck in dem Fortschritt der Gesamtmenschheit betrachten kann. Indem der Gewinn den Pflanzer und Kaufmann nach Afrika lockt, ist er nur ein vergängliches und selbstsüchtiges Werkzeug in der Hand einer Vorsehung, deren Ziele und Absichten rein moralische sind und keine andern sein können. Die öffentliche Meinung unsrer Tage wendet sich somit mit verschiednen Wünschen idealer und besonders auch materialer Art an die Kolonialpolitik, aber bis zu ihrer Erfüllung muß sie sich notgedrungen gedulden und bescheiden, denn der schwarze Erdteil lehrt — Geduld. Europa und Afrika sind Gegen¬ sätze in jeder Beziehung, jenes reich und dieses schwach gegliedert, jenes das Licht, dieses das Dunkel der jetzigen Zeit, jenes mit freundlichem, dieses mit feindlichem oder wenigstens zweifelhaftem Klima, jenes die Heimat des Weißen, dieses die des Schwarzen. In Europa wird mit Maschinen, mit Dampf und Elektrizität gearbeitet und geschafft, die Zeit ist Geld, die Menschen sind ?i

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/214>, abgerufen am 27.04.2024.