Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite


Die antike Kunst und die Schule

äst in gleichen Zwischenräumen von zehn zu zehn Jahren hat
I o h a n n e s O v e r b e et s e i n e G e s es i es t e d e r g r i e es i s es e n P l a se i k
zu neuer Auflage nen bearbeiten können: soeben ist der erste Halb¬
hart der vierten Auflage erschienen.") Das ist ein erfreulicher
Beweis für die Teilnahme, die den archäologischen Forschungen
entgegengebracht wird, um so erfreulicher, als es zuweilen scheinen wollte,
als würde die Gleichgiltigkeit, die in weiten Kreisen der Gebildeten gegen die
Dichtkunst der Alten herrscht, auch auf die bildende Kunst des Altertums über¬
tragen. An verschiednen Universitäten hat man in letzter Zeit die Erfahrung
machen müssen, daß der Besuch der archäologischen Vorlesungen in auffälliger
Weise nachgelassen hat. In Leipzig ist es gegen früher kaum noch der dritte
Teil, der archäologische Vorlesungen hört, und während noch zu unsrer Zeit
Mediziner, Juristen und Theologen neben dem Philologen saßen, sind es jetzt
fast uur noch Philologen, und auch diese in geringerer Zahl.

Nach der Entwicklung, die unsre höhere Schule zu nehmen scheint, Hütte
man eher das Gegenteil erwarten sollen, nämlich eine Zunahme der Philo¬
logen, die die archäologischen Vorlesungen besuchen. Seit einer Reihe von
Jahren ist die Überzeugung weit verbreitet, daß unser Gymnasium über der
Form den Inhalt vernachlässigt habe. Hier muß vor allem eine innere
Umwandlung der Gymnasien einsetzen. Gegenüber dem Sprachlichen muß
wieder das Sachliche mehr in den Vordergrund gestellt werden, denn unsre
Schule ist nicht dazu da, junge Philologen heranzuziehen, sondern sie soll
unsre Jugend in den Geist des klassischen Altertums einführen und ihr an
den einfachern und doch künstlerisch vollendet schönen Schöpfungen der Alten
das Verständnis für die bunter zusammengesetzten, unruhigern und schwierigern
Verhältnisse unsrer Zeit erschließen. Die Sprache aber und das in ihr ge¬
schaffne, die Litteratur, ist nur ein Bruchteil des klassischen Geistes. Eben¬
bürtig stehen neben ihr die Schöpfungen der bildenden Kunst, ja auf gewisse
Kreise des griechischen und römischen Volks mag die bildende Kunst einen



") Erste Auflage, Leipzig, Hinrichs, 1857 und 1858; zweite Auflage, ebenda, 1869
und 1870; dritte Auflage, ebenda, 1830 und 1882; vierte Auflage, erster Halbhart,
ebenda. 1892.


Die antike Kunst und die Schule

äst in gleichen Zwischenräumen von zehn zu zehn Jahren hat
I o h a n n e s O v e r b e et s e i n e G e s es i es t e d e r g r i e es i s es e n P l a se i k
zu neuer Auflage nen bearbeiten können: soeben ist der erste Halb¬
hart der vierten Auflage erschienen.") Das ist ein erfreulicher
Beweis für die Teilnahme, die den archäologischen Forschungen
entgegengebracht wird, um so erfreulicher, als es zuweilen scheinen wollte,
als würde die Gleichgiltigkeit, die in weiten Kreisen der Gebildeten gegen die
Dichtkunst der Alten herrscht, auch auf die bildende Kunst des Altertums über¬
tragen. An verschiednen Universitäten hat man in letzter Zeit die Erfahrung
machen müssen, daß der Besuch der archäologischen Vorlesungen in auffälliger
Weise nachgelassen hat. In Leipzig ist es gegen früher kaum noch der dritte
Teil, der archäologische Vorlesungen hört, und während noch zu unsrer Zeit
Mediziner, Juristen und Theologen neben dem Philologen saßen, sind es jetzt
fast uur noch Philologen, und auch diese in geringerer Zahl.

Nach der Entwicklung, die unsre höhere Schule zu nehmen scheint, Hütte
man eher das Gegenteil erwarten sollen, nämlich eine Zunahme der Philo¬
logen, die die archäologischen Vorlesungen besuchen. Seit einer Reihe von
Jahren ist die Überzeugung weit verbreitet, daß unser Gymnasium über der
Form den Inhalt vernachlässigt habe. Hier muß vor allem eine innere
Umwandlung der Gymnasien einsetzen. Gegenüber dem Sprachlichen muß
wieder das Sachliche mehr in den Vordergrund gestellt werden, denn unsre
Schule ist nicht dazu da, junge Philologen heranzuziehen, sondern sie soll
unsre Jugend in den Geist des klassischen Altertums einführen und ihr an
den einfachern und doch künstlerisch vollendet schönen Schöpfungen der Alten
das Verständnis für die bunter zusammengesetzten, unruhigern und schwierigern
Verhältnisse unsrer Zeit erschließen. Die Sprache aber und das in ihr ge¬
schaffne, die Litteratur, ist nur ein Bruchteil des klassischen Geistes. Eben¬
bürtig stehen neben ihr die Schöpfungen der bildenden Kunst, ja auf gewisse
Kreise des griechischen und römischen Volks mag die bildende Kunst einen



") Erste Auflage, Leipzig, Hinrichs, 1857 und 1858; zweite Auflage, ebenda, 1869
und 1870; dritte Auflage, ebenda, 1830 und 1882; vierte Auflage, erster Halbhart,
ebenda. 1892.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0232" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/213346"/>
          <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341855_213113/figures/grenzboten_341855_213113_213346_000.jpg"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Die antike Kunst und die Schule</head><lb/>
          <p xml:id="ID_680"> äst in gleichen Zwischenräumen von zehn zu zehn Jahren hat<lb/>
I o h a n n e s O v e r b e et s e i n e G e s es i es t e d e r g r i e es i s es e n P l a se i k<lb/>
zu neuer Auflage nen bearbeiten können: soeben ist der erste Halb¬<lb/>
hart der vierten Auflage erschienen.") Das ist ein erfreulicher<lb/>
Beweis für die Teilnahme, die den archäologischen Forschungen<lb/>
entgegengebracht wird, um so erfreulicher, als es zuweilen scheinen wollte,<lb/>
als würde die Gleichgiltigkeit, die in weiten Kreisen der Gebildeten gegen die<lb/>
Dichtkunst der Alten herrscht, auch auf die bildende Kunst des Altertums über¬<lb/>
tragen. An verschiednen Universitäten hat man in letzter Zeit die Erfahrung<lb/>
machen müssen, daß der Besuch der archäologischen Vorlesungen in auffälliger<lb/>
Weise nachgelassen hat. In Leipzig ist es gegen früher kaum noch der dritte<lb/>
Teil, der archäologische Vorlesungen hört, und während noch zu unsrer Zeit<lb/>
Mediziner, Juristen und Theologen neben dem Philologen saßen, sind es jetzt<lb/>
fast uur noch Philologen, und auch diese in geringerer Zahl.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_681" next="#ID_682"> Nach der Entwicklung, die unsre höhere Schule zu nehmen scheint, Hütte<lb/>
man eher das Gegenteil erwarten sollen, nämlich eine Zunahme der Philo¬<lb/>
logen, die die archäologischen Vorlesungen besuchen. Seit einer Reihe von<lb/>
Jahren ist die Überzeugung weit verbreitet, daß unser Gymnasium über der<lb/>
Form den Inhalt vernachlässigt habe. Hier muß vor allem eine innere<lb/>
Umwandlung der Gymnasien einsetzen. Gegenüber dem Sprachlichen muß<lb/>
wieder das Sachliche mehr in den Vordergrund gestellt werden, denn unsre<lb/>
Schule ist nicht dazu da, junge Philologen heranzuziehen, sondern sie soll<lb/>
unsre Jugend in den Geist des klassischen Altertums einführen und ihr an<lb/>
den einfachern und doch künstlerisch vollendet schönen Schöpfungen der Alten<lb/>
das Verständnis für die bunter zusammengesetzten, unruhigern und schwierigern<lb/>
Verhältnisse unsrer Zeit erschließen. Die Sprache aber und das in ihr ge¬<lb/>
schaffne, die Litteratur, ist nur ein Bruchteil des klassischen Geistes. Eben¬<lb/>
bürtig stehen neben ihr die Schöpfungen der bildenden Kunst, ja auf gewisse<lb/>
Kreise des griechischen und römischen Volks mag die bildende Kunst einen</p><lb/>
          <note xml:id="FID_17" place="foot"> ") Erste Auflage, Leipzig, Hinrichs, 1857 und 1858; zweite Auflage, ebenda, 1869<lb/>
und 1870; dritte Auflage, ebenda, 1830 und 1882; vierte Auflage, erster Halbhart,<lb/>
ebenda. 1892.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0232] [Abbildung] Die antike Kunst und die Schule äst in gleichen Zwischenräumen von zehn zu zehn Jahren hat I o h a n n e s O v e r b e et s e i n e G e s es i es t e d e r g r i e es i s es e n P l a se i k zu neuer Auflage nen bearbeiten können: soeben ist der erste Halb¬ hart der vierten Auflage erschienen.") Das ist ein erfreulicher Beweis für die Teilnahme, die den archäologischen Forschungen entgegengebracht wird, um so erfreulicher, als es zuweilen scheinen wollte, als würde die Gleichgiltigkeit, die in weiten Kreisen der Gebildeten gegen die Dichtkunst der Alten herrscht, auch auf die bildende Kunst des Altertums über¬ tragen. An verschiednen Universitäten hat man in letzter Zeit die Erfahrung machen müssen, daß der Besuch der archäologischen Vorlesungen in auffälliger Weise nachgelassen hat. In Leipzig ist es gegen früher kaum noch der dritte Teil, der archäologische Vorlesungen hört, und während noch zu unsrer Zeit Mediziner, Juristen und Theologen neben dem Philologen saßen, sind es jetzt fast uur noch Philologen, und auch diese in geringerer Zahl. Nach der Entwicklung, die unsre höhere Schule zu nehmen scheint, Hütte man eher das Gegenteil erwarten sollen, nämlich eine Zunahme der Philo¬ logen, die die archäologischen Vorlesungen besuchen. Seit einer Reihe von Jahren ist die Überzeugung weit verbreitet, daß unser Gymnasium über der Form den Inhalt vernachlässigt habe. Hier muß vor allem eine innere Umwandlung der Gymnasien einsetzen. Gegenüber dem Sprachlichen muß wieder das Sachliche mehr in den Vordergrund gestellt werden, denn unsre Schule ist nicht dazu da, junge Philologen heranzuziehen, sondern sie soll unsre Jugend in den Geist des klassischen Altertums einführen und ihr an den einfachern und doch künstlerisch vollendet schönen Schöpfungen der Alten das Verständnis für die bunter zusammengesetzten, unruhigern und schwierigern Verhältnisse unsrer Zeit erschließen. Die Sprache aber und das in ihr ge¬ schaffne, die Litteratur, ist nur ein Bruchteil des klassischen Geistes. Eben¬ bürtig stehen neben ihr die Schöpfungen der bildenden Kunst, ja auf gewisse Kreise des griechischen und römischen Volks mag die bildende Kunst einen ") Erste Auflage, Leipzig, Hinrichs, 1857 und 1858; zweite Auflage, ebenda, 1869 und 1870; dritte Auflage, ebenda, 1830 und 1882; vierte Auflage, erster Halbhart, ebenda. 1892.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/232
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/232>, abgerufen am 27.04.2024.