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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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Drachen gezogen hatten, mußten noch eine Weile leiden von dem Übeln Ge¬
rüche, den das Platzen des giftgeschwollenen llnticrchens verbreitet hatte.




So hatte ich mir in jener Nacht den Mythos von dem neuen Sternbilde
des kleinen Drachen zurechtgelegt. Da trat ein Freund zu mir, dem ich das
Lichtbild zeigte und den Mythos deutete. Der aber lachte mich aus und sagte:
Aber ich bitte dich, das ist ja gar kein Sternbild, es ist ja nur ein beleuchteter
Papierdrache -- neuestes Patent, schillert in allen Farben, ein Spielzeug für
die blasirten, entnervten, skandalsüchtigen Kinder der großen Stadt. Allwöchent¬
lich wird er angezündet und losgelassen und so mit allerlei giftigem Zierat
aufgeputzt, daß er aussehen soll wie ein wirklicher Drache. -- Meinst du, daß
er noch lange zu sehen sein wird? sagte ich. -- Nun, die Zukunft muß es ja
wissen, wie lange er noch steigen wird.




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Neserveoffizierkasiuos.

Die Absicht des Berliner Offizierkorps des Be-
nrlanbtenstandes, sich in eignem Hause ein eignes Heim zu gründen, hat gewisse
liberale Blätter, die sonst jeder "Gründung" zuzujubeln pflegen, mit edler Ent¬
rüstung erfüllt. Ganz besonders übel wurde vermerkt, daß das neue Kasino der
"Hebung des Stcmdesbewnßtseins" dienen soll. Man könnte diese Empfindung
bis zu einem gewissen Grade begreiflich finden, wenn man unter Standes¬
bewußtsein notwendig Überhebung über gewöhnliche zivilistische Sterbliche, die
entweder gar nicht gedient oder sich doch die Offiziersepauletten nicht erdient
haben, verstehen müßte. Es soll auch nicht geleugnet werden, daß unter jüngern
Reserveoffizieren oder doch bei ihren Müttern, Cousinen und Tanten, hie und da
eine Neigung zu dieser Art von Standesbewußtsein besteht. Auch klagt oder
spottet man nicht ganz mit Unrecht über das Umsichgreifen gewisser steifleinener
militärischer Gewohnheiten in der Gesellschaft. So hat z. B. der xlnralis rnili-
timis: "Gnädiges Fräulein befehlen" und: "Herr Rat haben" im Unterhnltungston
wie im dienstlichen Verkehr bei den Zivilämtern seit einigen Jahren auch in Mittel-
und Oberdeutschland reißende Fortschritte gemacht. Das heute so tiefempfundne
Bedürfnis, in jeder noch so zufälligen Gesellschaft, im Wirtshaus, im "Wagen¬
abteil" und allerorten jedermann mit obligatem Zusammenklappen der Stiefelabsätze
zuzurufen: "Mein Name ist Müller!" mochten wir ebenfalls zu den entbehrlichen
Segnungen der allgemeinen Wehrpflicht zählen. Nur soll man nicht glauben, daß
über diese und manche andre kleine Sonderbarkeiten in den Reserveoffizierkasinos
weniger als in andern gut bürgerlichen Kreisen gelächelt wird. Und ist denn
Siandesgefühl nnr auf Kosten andrer Stände möglich? Darf man die große
Masse der Reserveoffiziere wirklich für so thöricht halten, daß sie, wenn sie des
Abends im eiguen Kasino sitzen, auf sich selbst, wie sie noch vor zwei Stunden
waren und morgen früh wieder sein werden, mit Geringschätzung herabblicken?
Die heilsame Selbstzucht, die der Reserveoffizier bei seinem ganzen gesellschaftlichen


Drachen gezogen hatten, mußten noch eine Weile leiden von dem Übeln Ge¬
rüche, den das Platzen des giftgeschwollenen llnticrchens verbreitet hatte.




So hatte ich mir in jener Nacht den Mythos von dem neuen Sternbilde
des kleinen Drachen zurechtgelegt. Da trat ein Freund zu mir, dem ich das
Lichtbild zeigte und den Mythos deutete. Der aber lachte mich aus und sagte:
Aber ich bitte dich, das ist ja gar kein Sternbild, es ist ja nur ein beleuchteter
Papierdrache — neuestes Patent, schillert in allen Farben, ein Spielzeug für
die blasirten, entnervten, skandalsüchtigen Kinder der großen Stadt. Allwöchent¬
lich wird er angezündet und losgelassen und so mit allerlei giftigem Zierat
aufgeputzt, daß er aussehen soll wie ein wirklicher Drache. — Meinst du, daß
er noch lange zu sehen sein wird? sagte ich. — Nun, die Zukunft muß es ja
wissen, wie lange er noch steigen wird.




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Neserveoffizierkasiuos.

Die Absicht des Berliner Offizierkorps des Be-
nrlanbtenstandes, sich in eignem Hause ein eignes Heim zu gründen, hat gewisse
liberale Blätter, die sonst jeder „Gründung" zuzujubeln pflegen, mit edler Ent¬
rüstung erfüllt. Ganz besonders übel wurde vermerkt, daß das neue Kasino der
„Hebung des Stcmdesbewnßtseins" dienen soll. Man könnte diese Empfindung
bis zu einem gewissen Grade begreiflich finden, wenn man unter Standes¬
bewußtsein notwendig Überhebung über gewöhnliche zivilistische Sterbliche, die
entweder gar nicht gedient oder sich doch die Offiziersepauletten nicht erdient
haben, verstehen müßte. Es soll auch nicht geleugnet werden, daß unter jüngern
Reserveoffizieren oder doch bei ihren Müttern, Cousinen und Tanten, hie und da
eine Neigung zu dieser Art von Standesbewußtsein besteht. Auch klagt oder
spottet man nicht ganz mit Unrecht über das Umsichgreifen gewisser steifleinener
militärischer Gewohnheiten in der Gesellschaft. So hat z. B. der xlnralis rnili-
timis: „Gnädiges Fräulein befehlen" und: „Herr Rat haben" im Unterhnltungston
wie im dienstlichen Verkehr bei den Zivilämtern seit einigen Jahren auch in Mittel-
und Oberdeutschland reißende Fortschritte gemacht. Das heute so tiefempfundne
Bedürfnis, in jeder noch so zufälligen Gesellschaft, im Wirtshaus, im „Wagen¬
abteil" und allerorten jedermann mit obligatem Zusammenklappen der Stiefelabsätze
zuzurufen: „Mein Name ist Müller!" mochten wir ebenfalls zu den entbehrlichen
Segnungen der allgemeinen Wehrpflicht zählen. Nur soll man nicht glauben, daß
über diese und manche andre kleine Sonderbarkeiten in den Reserveoffizierkasinos
weniger als in andern gut bürgerlichen Kreisen gelächelt wird. Und ist denn
Siandesgefühl nnr auf Kosten andrer Stände möglich? Darf man die große
Masse der Reserveoffiziere wirklich für so thöricht halten, daß sie, wenn sie des
Abends im eiguen Kasino sitzen, auf sich selbst, wie sie noch vor zwei Stunden
waren und morgen früh wieder sein werden, mit Geringschätzung herabblicken?
Die heilsame Selbstzucht, die der Reserveoffizier bei seinem ganzen gesellschaftlichen


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[0245] Drachen gezogen hatten, mußten noch eine Weile leiden von dem Übeln Ge¬ rüche, den das Platzen des giftgeschwollenen llnticrchens verbreitet hatte. So hatte ich mir in jener Nacht den Mythos von dem neuen Sternbilde des kleinen Drachen zurechtgelegt. Da trat ein Freund zu mir, dem ich das Lichtbild zeigte und den Mythos deutete. Der aber lachte mich aus und sagte: Aber ich bitte dich, das ist ja gar kein Sternbild, es ist ja nur ein beleuchteter Papierdrache — neuestes Patent, schillert in allen Farben, ein Spielzeug für die blasirten, entnervten, skandalsüchtigen Kinder der großen Stadt. Allwöchent¬ lich wird er angezündet und losgelassen und so mit allerlei giftigem Zierat aufgeputzt, daß er aussehen soll wie ein wirklicher Drache. — Meinst du, daß er noch lange zu sehen sein wird? sagte ich. — Nun, die Zukunft muß es ja wissen, wie lange er noch steigen wird. Maßgebliches und Unmaßgebliches Neserveoffizierkasiuos. Die Absicht des Berliner Offizierkorps des Be- nrlanbtenstandes, sich in eignem Hause ein eignes Heim zu gründen, hat gewisse liberale Blätter, die sonst jeder „Gründung" zuzujubeln pflegen, mit edler Ent¬ rüstung erfüllt. Ganz besonders übel wurde vermerkt, daß das neue Kasino der „Hebung des Stcmdesbewnßtseins" dienen soll. Man könnte diese Empfindung bis zu einem gewissen Grade begreiflich finden, wenn man unter Standes¬ bewußtsein notwendig Überhebung über gewöhnliche zivilistische Sterbliche, die entweder gar nicht gedient oder sich doch die Offiziersepauletten nicht erdient haben, verstehen müßte. Es soll auch nicht geleugnet werden, daß unter jüngern Reserveoffizieren oder doch bei ihren Müttern, Cousinen und Tanten, hie und da eine Neigung zu dieser Art von Standesbewußtsein besteht. Auch klagt oder spottet man nicht ganz mit Unrecht über das Umsichgreifen gewisser steifleinener militärischer Gewohnheiten in der Gesellschaft. So hat z. B. der xlnralis rnili- timis: „Gnädiges Fräulein befehlen" und: „Herr Rat haben" im Unterhnltungston wie im dienstlichen Verkehr bei den Zivilämtern seit einigen Jahren auch in Mittel- und Oberdeutschland reißende Fortschritte gemacht. Das heute so tiefempfundne Bedürfnis, in jeder noch so zufälligen Gesellschaft, im Wirtshaus, im „Wagen¬ abteil" und allerorten jedermann mit obligatem Zusammenklappen der Stiefelabsätze zuzurufen: „Mein Name ist Müller!" mochten wir ebenfalls zu den entbehrlichen Segnungen der allgemeinen Wehrpflicht zählen. Nur soll man nicht glauben, daß über diese und manche andre kleine Sonderbarkeiten in den Reserveoffizierkasinos weniger als in andern gut bürgerlichen Kreisen gelächelt wird. Und ist denn Siandesgefühl nnr auf Kosten andrer Stände möglich? Darf man die große Masse der Reserveoffiziere wirklich für so thöricht halten, daß sie, wenn sie des Abends im eiguen Kasino sitzen, auf sich selbst, wie sie noch vor zwei Stunden waren und morgen früh wieder sein werden, mit Geringschätzung herabblicken? Die heilsame Selbstzucht, die der Reserveoffizier bei seinem ganzen gesellschaftlichen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/245>, abgerufen am 27.04.2024.