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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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"Pfande" l!) verlangen. Durch einfache Umstellung der Worte in der letzten
Zeile (heiß ein andrer brannte) wird dann höchst bequem ein ebenso abscheu¬
licher Reim geschaffen wie oben. Da dichtet wahrlich der Bonner Korps¬
student noch besser, der zu dem ganzen Gedicht noch folgende Zusatzstrophe
mit Beziehung auf eine beliebte Exkneipe singt, in der nach mythenhnfter
Überlieferung der Dichter selber einst viel und gern verkehrt haben soll:

Die angeführten Beispiele haben hoffentlich erwiesen, daß einen Dichter
zu verbessern selbst für einen bedeutendern Komponisten eine recht mißliche
Sache ist. Jedes Lied ist eine Einheit, eben so gut wie ein Gemälde oder
ein Marmorbild; hier wie dort werden fremde Zusätze im einzelnen immer
stören und, wenn sie gehäuft sind, die ursprüngliche Gesamtwirkung schließlich
vernichten. Der Künstler hat sein ganz besondres Rg-dö-it-oorpus-Necht, und
gerade der Kollege vom audern Fach sollte dies am allerwenigsten antasten.

Der Komponist möge also, ebenso wie der Pädagoge, beherzigen: "Das
Wort sie sollen lassen stahu." Es wird ihnen nach so vielen Thorheiten gewiß
gedankt werden!




Bilder aus dem Universitätsleben
8. Der jüdische Student In neun Briefen
1

ieber Freund, du suchst nach einem tragischen Stoff aus der
Gegenwart. Ja, giebt es denn etwas tragischeres als einen
vornehm denkenden und edel empfindenden Juden, der inmitten
einer argwöhnischen und vorurteilsvollen Gesellschaft immer wieder
den verzweifelte" Kampf um Anerkennung seiner Ehrenrechte aus¬
fechten muß, und wenn er den Sieg gewonnen zu haben glaubt, doch wieder
bei irgend einer Gelegenheit mit stechenden Schmerze gewahr wird, daß sein
ehrliches Ringen umsonst gewesen ist, daß man über ihn -- vielleicht nicht
vor seinen Augen, aber umsomehr hinter seinem Rücken -- die Achseln zuckt


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„Pfande" l!) verlangen. Durch einfache Umstellung der Worte in der letzten
Zeile (heiß ein andrer brannte) wird dann höchst bequem ein ebenso abscheu¬
licher Reim geschaffen wie oben. Da dichtet wahrlich der Bonner Korps¬
student noch besser, der zu dem ganzen Gedicht noch folgende Zusatzstrophe
mit Beziehung auf eine beliebte Exkneipe singt, in der nach mythenhnfter
Überlieferung der Dichter selber einst viel und gern verkehrt haben soll:

Die angeführten Beispiele haben hoffentlich erwiesen, daß einen Dichter
zu verbessern selbst für einen bedeutendern Komponisten eine recht mißliche
Sache ist. Jedes Lied ist eine Einheit, eben so gut wie ein Gemälde oder
ein Marmorbild; hier wie dort werden fremde Zusätze im einzelnen immer
stören und, wenn sie gehäuft sind, die ursprüngliche Gesamtwirkung schließlich
vernichten. Der Künstler hat sein ganz besondres Rg-dö-it-oorpus-Necht, und
gerade der Kollege vom audern Fach sollte dies am allerwenigsten antasten.

Der Komponist möge also, ebenso wie der Pädagoge, beherzigen: „Das
Wort sie sollen lassen stahu." Es wird ihnen nach so vielen Thorheiten gewiß
gedankt werden!




Bilder aus dem Universitätsleben
8. Der jüdische Student In neun Briefen
1

ieber Freund, du suchst nach einem tragischen Stoff aus der
Gegenwart. Ja, giebt es denn etwas tragischeres als einen
vornehm denkenden und edel empfindenden Juden, der inmitten
einer argwöhnischen und vorurteilsvollen Gesellschaft immer wieder
den verzweifelte» Kampf um Anerkennung seiner Ehrenrechte aus¬
fechten muß, und wenn er den Sieg gewonnen zu haben glaubt, doch wieder
bei irgend einer Gelegenheit mit stechenden Schmerze gewahr wird, daß sein
ehrliches Ringen umsonst gewesen ist, daß man über ihn — vielleicht nicht
vor seinen Augen, aber umsomehr hinter seinem Rücken — die Achseln zuckt


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[0332] Bilder aus dein Uuiversitcitslebeu „Pfande" l!) verlangen. Durch einfache Umstellung der Worte in der letzten Zeile (heiß ein andrer brannte) wird dann höchst bequem ein ebenso abscheu¬ licher Reim geschaffen wie oben. Da dichtet wahrlich der Bonner Korps¬ student noch besser, der zu dem ganzen Gedicht noch folgende Zusatzstrophe mit Beziehung auf eine beliebte Exkneipe singt, in der nach mythenhnfter Überlieferung der Dichter selber einst viel und gern verkehrt haben soll: Die angeführten Beispiele haben hoffentlich erwiesen, daß einen Dichter zu verbessern selbst für einen bedeutendern Komponisten eine recht mißliche Sache ist. Jedes Lied ist eine Einheit, eben so gut wie ein Gemälde oder ein Marmorbild; hier wie dort werden fremde Zusätze im einzelnen immer stören und, wenn sie gehäuft sind, die ursprüngliche Gesamtwirkung schließlich vernichten. Der Künstler hat sein ganz besondres Rg-dö-it-oorpus-Necht, und gerade der Kollege vom audern Fach sollte dies am allerwenigsten antasten. Der Komponist möge also, ebenso wie der Pädagoge, beherzigen: „Das Wort sie sollen lassen stahu." Es wird ihnen nach so vielen Thorheiten gewiß gedankt werden! Bilder aus dem Universitätsleben 8. Der jüdische Student In neun Briefen 1 ieber Freund, du suchst nach einem tragischen Stoff aus der Gegenwart. Ja, giebt es denn etwas tragischeres als einen vornehm denkenden und edel empfindenden Juden, der inmitten einer argwöhnischen und vorurteilsvollen Gesellschaft immer wieder den verzweifelte» Kampf um Anerkennung seiner Ehrenrechte aus¬ fechten muß, und wenn er den Sieg gewonnen zu haben glaubt, doch wieder bei irgend einer Gelegenheit mit stechenden Schmerze gewahr wird, daß sein ehrliches Ringen umsonst gewesen ist, daß man über ihn — vielleicht nicht vor seinen Augen, aber umsomehr hinter seinem Rücken — die Achseln zuckt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/332>, abgerufen am 27.04.2024.