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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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Bilder aus dein Universitätsleben

Es ist schon spät in der Nacht. Unten ist noch lärmende Musik.

Bester, schick ein paar Zeilen deinem unruhigen, alten Jugenfreuude


S K
2

Acht Tage sind vergangen, und kein Freundschaftlichen ist von dir ge¬
kommen. Soll ich mich auch deinetwegen trüben Gedanken hingeben? Aber
du schweifst gewiß mit gesunden Sinnen auf den Bergen und in den Wäldern
umher oder schaukelst dich auf den Wellen der Saale, und hier in dieser ver¬
lognen Umgebung, in dieser raffinirten Uberkultur sitzt der arme Siegfried --
weshalb man mich eigentlich Siegfried genannt hat, es ist kläglich! Sehe ich
aus wie ein Drachentvter, ich häßlicher, kleiner, dachsbeiniger Mensch? Mein
Name ist eine große Thorheit, die einzige, die ich meinen Eltern vorzuwerfen
habe. Ich habe darunter schon viel zu leiden gehabt.

Manchmal schweifen meine Gedanken zurück in die Schuljahre, und mich
schauderts, wenn ich sie mir vergegenwärtige. Es war doch eine Leidenszeit
für mich. Wie oft hast du mich Schwächling aus dem boshaften Schwarm
herausgehauen und deine Arme über mich ausgebreitet! Ich fange jetzt eigent¬
lich erst an, über meine in der kleinen Vaterstadt verlebte Kindheit nachzu¬
denken. Welch eine lange Kette von Drangsalen und Demütigungen war das!
Ohne dich Hütte ich das wirkliche, frische Knabenleben kaum kennen gelernt.

Es ist ja alles kindisch, was ich dir hier schreibe, aber mir geht es heute
nicht ans dem Kopfe. Man sah mich schon als Knaben nicht für voll an;
wie lange dauerte es, bis ihr mich zu euern Svldateuspieleu auf dem Fuchs¬
felde am Kamlower Weg zuließet! Und auch das erst, als du entschieden er¬
klärtest: Siegfried Konitzer kommt mit, wir brauchen auch einen Train, und
den Train soll er bilden. Dann singt ihr mir die Flasche Bier um und
den Brotbeutel mit requirirten Rüben, und dann mußte ich während eurer
Kämpfe von weitem stehen bleiben und zusehen; und als der Feldwächter kam,
liest ihr fort, aber der Train blieb getreu ans dem anbefvhlnen Platze stehen,
und meine arme Mutter mußte zehn Groschen Strafe zahlen. Ich habe früher
darüber gelacht, jetzt erscheint mir das alles sehr ernst und niederdrückend.
Es war doch eine große Demütigung, die ihr unbewußt dem jüdischen Knaben
anthatet.

Du siehst, auch die Vergangenheit läßt mir keine Ruhe. Ich komme aus
den trüben Bildern nicht heraus. Welche armseligen Verhältnisse bei uus,
als mein Vater gestorben war! Wie hat sich meine Mutter, die kleine, rührige,
energische Frau, gequält, um uns drei Jungen durchzuringen! Aber du kennst
das ja alles und weißt, wie wir in dem dürftigen Häuschen an der Neuen-
dvrfer Chaussee gelebt haben, bis mein Bruder Louis in Berlin vorwärts kam
und uns unterstützte. Du konntest Louis nie recht leiden, dir war David
lieber, weil er Soldat war und er dir in der Dragvneruniform so gefiel. David


Bilder aus dein Universitätsleben

Es ist schon spät in der Nacht. Unten ist noch lärmende Musik.

Bester, schick ein paar Zeilen deinem unruhigen, alten Jugenfreuude


S K
2

Acht Tage sind vergangen, und kein Freundschaftlichen ist von dir ge¬
kommen. Soll ich mich auch deinetwegen trüben Gedanken hingeben? Aber
du schweifst gewiß mit gesunden Sinnen auf den Bergen und in den Wäldern
umher oder schaukelst dich auf den Wellen der Saale, und hier in dieser ver¬
lognen Umgebung, in dieser raffinirten Uberkultur sitzt der arme Siegfried —
weshalb man mich eigentlich Siegfried genannt hat, es ist kläglich! Sehe ich
aus wie ein Drachentvter, ich häßlicher, kleiner, dachsbeiniger Mensch? Mein
Name ist eine große Thorheit, die einzige, die ich meinen Eltern vorzuwerfen
habe. Ich habe darunter schon viel zu leiden gehabt.

Manchmal schweifen meine Gedanken zurück in die Schuljahre, und mich
schauderts, wenn ich sie mir vergegenwärtige. Es war doch eine Leidenszeit
für mich. Wie oft hast du mich Schwächling aus dem boshaften Schwarm
herausgehauen und deine Arme über mich ausgebreitet! Ich fange jetzt eigent¬
lich erst an, über meine in der kleinen Vaterstadt verlebte Kindheit nachzu¬
denken. Welch eine lange Kette von Drangsalen und Demütigungen war das!
Ohne dich Hütte ich das wirkliche, frische Knabenleben kaum kennen gelernt.

Es ist ja alles kindisch, was ich dir hier schreibe, aber mir geht es heute
nicht ans dem Kopfe. Man sah mich schon als Knaben nicht für voll an;
wie lange dauerte es, bis ihr mich zu euern Svldateuspieleu auf dem Fuchs¬
felde am Kamlower Weg zuließet! Und auch das erst, als du entschieden er¬
klärtest: Siegfried Konitzer kommt mit, wir brauchen auch einen Train, und
den Train soll er bilden. Dann singt ihr mir die Flasche Bier um und
den Brotbeutel mit requirirten Rüben, und dann mußte ich während eurer
Kämpfe von weitem stehen bleiben und zusehen; und als der Feldwächter kam,
liest ihr fort, aber der Train blieb getreu ans dem anbefvhlnen Platze stehen,
und meine arme Mutter mußte zehn Groschen Strafe zahlen. Ich habe früher
darüber gelacht, jetzt erscheint mir das alles sehr ernst und niederdrückend.
Es war doch eine große Demütigung, die ihr unbewußt dem jüdischen Knaben
anthatet.

Du siehst, auch die Vergangenheit läßt mir keine Ruhe. Ich komme aus
den trüben Bildern nicht heraus. Welche armseligen Verhältnisse bei uus,
als mein Vater gestorben war! Wie hat sich meine Mutter, die kleine, rührige,
energische Frau, gequält, um uns drei Jungen durchzuringen! Aber du kennst
das ja alles und weißt, wie wir in dem dürftigen Häuschen an der Neuen-
dvrfer Chaussee gelebt haben, bis mein Bruder Louis in Berlin vorwärts kam
und uns unterstützte. Du konntest Louis nie recht leiden, dir war David
lieber, weil er Soldat war und er dir in der Dragvneruniform so gefiel. David


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[0334] Bilder aus dein Universitätsleben Es ist schon spät in der Nacht. Unten ist noch lärmende Musik. Bester, schick ein paar Zeilen deinem unruhigen, alten Jugenfreuude S K 2 Acht Tage sind vergangen, und kein Freundschaftlichen ist von dir ge¬ kommen. Soll ich mich auch deinetwegen trüben Gedanken hingeben? Aber du schweifst gewiß mit gesunden Sinnen auf den Bergen und in den Wäldern umher oder schaukelst dich auf den Wellen der Saale, und hier in dieser ver¬ lognen Umgebung, in dieser raffinirten Uberkultur sitzt der arme Siegfried — weshalb man mich eigentlich Siegfried genannt hat, es ist kläglich! Sehe ich aus wie ein Drachentvter, ich häßlicher, kleiner, dachsbeiniger Mensch? Mein Name ist eine große Thorheit, die einzige, die ich meinen Eltern vorzuwerfen habe. Ich habe darunter schon viel zu leiden gehabt. Manchmal schweifen meine Gedanken zurück in die Schuljahre, und mich schauderts, wenn ich sie mir vergegenwärtige. Es war doch eine Leidenszeit für mich. Wie oft hast du mich Schwächling aus dem boshaften Schwarm herausgehauen und deine Arme über mich ausgebreitet! Ich fange jetzt eigent¬ lich erst an, über meine in der kleinen Vaterstadt verlebte Kindheit nachzu¬ denken. Welch eine lange Kette von Drangsalen und Demütigungen war das! Ohne dich Hütte ich das wirkliche, frische Knabenleben kaum kennen gelernt. Es ist ja alles kindisch, was ich dir hier schreibe, aber mir geht es heute nicht ans dem Kopfe. Man sah mich schon als Knaben nicht für voll an; wie lange dauerte es, bis ihr mich zu euern Svldateuspieleu auf dem Fuchs¬ felde am Kamlower Weg zuließet! Und auch das erst, als du entschieden er¬ klärtest: Siegfried Konitzer kommt mit, wir brauchen auch einen Train, und den Train soll er bilden. Dann singt ihr mir die Flasche Bier um und den Brotbeutel mit requirirten Rüben, und dann mußte ich während eurer Kämpfe von weitem stehen bleiben und zusehen; und als der Feldwächter kam, liest ihr fort, aber der Train blieb getreu ans dem anbefvhlnen Platze stehen, und meine arme Mutter mußte zehn Groschen Strafe zahlen. Ich habe früher darüber gelacht, jetzt erscheint mir das alles sehr ernst und niederdrückend. Es war doch eine große Demütigung, die ihr unbewußt dem jüdischen Knaben anthatet. Du siehst, auch die Vergangenheit läßt mir keine Ruhe. Ich komme aus den trüben Bildern nicht heraus. Welche armseligen Verhältnisse bei uus, als mein Vater gestorben war! Wie hat sich meine Mutter, die kleine, rührige, energische Frau, gequält, um uns drei Jungen durchzuringen! Aber du kennst das ja alles und weißt, wie wir in dem dürftigen Häuschen an der Neuen- dvrfer Chaussee gelebt haben, bis mein Bruder Louis in Berlin vorwärts kam und uns unterstützte. Du konntest Louis nie recht leiden, dir war David lieber, weil er Soldat war und er dir in der Dragvneruniform so gefiel. David

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/334>, abgerufen am 27.04.2024.