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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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Bilder aus dem Universitätsleben

kann. Das giebt Kraft und Selbstbewußtsein. Jetzt sind sie dabei, eine neue
Bank zu gründen, die alle andern tot machen soll. Wenn sich nur nicht so
viele Blutsauger an Louis hängen wollten! Alles drängt sich an ihn heran,
und es scheint fast, als ob sein fabelhaftes Glück den ganzen Osten nach
Berlin zöge. Es giebt jetzt dort kann eine Familie, die nicht einen An¬
gehörigen als Eisbrecher hierher nach Berlin schickte. Gelingts ihm, ein gutes
Fahrwasser herzustellen, so folgt bald die ganze Sippe truppweise nach; und
das hängt dann wie die Kletten zusammen. Ach, die lieben Verwandten!

Mich wollten sie gestern überrede", die Juristerei an den Nagel zu hängen
und Germanistik zu studiren. Ein Professor, der hier viel in Vvrsenkreisen
verkehrt, hätte ihnen gesagt, in dem Fache würde ich jetzt sehr schnell vor¬
wärtskommen, mindestens sehr bald Universitätsprofessor werden, und dann
wäre mir eine halbe Million Mitgift sicher. Darnach wird hier also der Wert
der Wissenschaft geschätzt, es ist doch eine erbärmliche Gesellschaft! Wenns
möglich wäre, würden sie mich sogar auffordern, Offizier zu werden, weil ich
dann leicht eine ganze Million erwischen könnte. Es wird ja mit meiner
ganzen Juristerei nichts, das sehe ich immer klarer. Auch hab ich keine Lust,
Anwalt zu werden und mich zeitlebens mit dein Abschaum der Menschheit
herumzuschlagen oder Amtsrichter zu werden und daun als Jude die wenig
beneidenswerte Rolle in der Gesellschaft zu spielen, wie etwa der gute Cohn-
heim in unsrer Vaterstadt. Ich komme von meinen philosophischen Studien
nicht mehr los, jetzt stecke ich tief in den Engländern. Aber Louis zetert
darüber, es seien alles brodlose Künste, und die ganze Philosophie sei "Schafs¬
mist." Was soll ans mir werden? Diese Abhängigkeit von meinem Bruder
und der liebenswürdigen Schwägerin ertrage ich nicht länger. Ich muß ein¬
Dein S. mal dem Professor Marou mein Herz ausschütten.


4

Oh, ich möchte vor Wild und Scham vergehen, es ist unglaublich, ganz
unfaßbar! Die antisemitischen Studenten haben soeben den Professor Marou
aus dem Hörsaal hinaus getrampelt. Ich bin wie gelähmt. Die paar an¬
ständigen Menschen konnten absolut nichts ausrichten. Ich selbst habe getobt
und nach Ruhe geschrien, aber der Skandal wurde dadurch nur noch ärger.
Ich wurde durch Schimpfworte schwer beleidigt und von den Antisemiten
thätlich angegriffen. Es ist infam!

Die ganze Demonstration war planmäßig vorbereitet worden. Gestern
ging in den Hörsülen ein Zettel von Bank zu Bank mit der harmlosen Auf¬
forderung, recht zahlreich an der nächsten Vorlesung Marons teilzunehmen.
Die Radaubrüder füllten denn auch alle Plätze und standen kampfbereit in
den Gängen bis an die Thür. Kaum hatte Marou das Katheder betreten,
da brach ein Lärm, ein Schreien, Trampeln, Johlen und Pfeifen los,


Bilder aus dem Universitätsleben

kann. Das giebt Kraft und Selbstbewußtsein. Jetzt sind sie dabei, eine neue
Bank zu gründen, die alle andern tot machen soll. Wenn sich nur nicht so
viele Blutsauger an Louis hängen wollten! Alles drängt sich an ihn heran,
und es scheint fast, als ob sein fabelhaftes Glück den ganzen Osten nach
Berlin zöge. Es giebt jetzt dort kann eine Familie, die nicht einen An¬
gehörigen als Eisbrecher hierher nach Berlin schickte. Gelingts ihm, ein gutes
Fahrwasser herzustellen, so folgt bald die ganze Sippe truppweise nach; und
das hängt dann wie die Kletten zusammen. Ach, die lieben Verwandten!

Mich wollten sie gestern überrede», die Juristerei an den Nagel zu hängen
und Germanistik zu studiren. Ein Professor, der hier viel in Vvrsenkreisen
verkehrt, hätte ihnen gesagt, in dem Fache würde ich jetzt sehr schnell vor¬
wärtskommen, mindestens sehr bald Universitätsprofessor werden, und dann
wäre mir eine halbe Million Mitgift sicher. Darnach wird hier also der Wert
der Wissenschaft geschätzt, es ist doch eine erbärmliche Gesellschaft! Wenns
möglich wäre, würden sie mich sogar auffordern, Offizier zu werden, weil ich
dann leicht eine ganze Million erwischen könnte. Es wird ja mit meiner
ganzen Juristerei nichts, das sehe ich immer klarer. Auch hab ich keine Lust,
Anwalt zu werden und mich zeitlebens mit dein Abschaum der Menschheit
herumzuschlagen oder Amtsrichter zu werden und daun als Jude die wenig
beneidenswerte Rolle in der Gesellschaft zu spielen, wie etwa der gute Cohn-
heim in unsrer Vaterstadt. Ich komme von meinen philosophischen Studien
nicht mehr los, jetzt stecke ich tief in den Engländern. Aber Louis zetert
darüber, es seien alles brodlose Künste, und die ganze Philosophie sei „Schafs¬
mist." Was soll ans mir werden? Diese Abhängigkeit von meinem Bruder
und der liebenswürdigen Schwägerin ertrage ich nicht länger. Ich muß ein¬
Dein S. mal dem Professor Marou mein Herz ausschütten.


4

Oh, ich möchte vor Wild und Scham vergehen, es ist unglaublich, ganz
unfaßbar! Die antisemitischen Studenten haben soeben den Professor Marou
aus dem Hörsaal hinaus getrampelt. Ich bin wie gelähmt. Die paar an¬
ständigen Menschen konnten absolut nichts ausrichten. Ich selbst habe getobt
und nach Ruhe geschrien, aber der Skandal wurde dadurch nur noch ärger.
Ich wurde durch Schimpfworte schwer beleidigt und von den Antisemiten
thätlich angegriffen. Es ist infam!

Die ganze Demonstration war planmäßig vorbereitet worden. Gestern
ging in den Hörsülen ein Zettel von Bank zu Bank mit der harmlosen Auf¬
forderung, recht zahlreich an der nächsten Vorlesung Marons teilzunehmen.
Die Radaubrüder füllten denn auch alle Plätze und standen kampfbereit in
den Gängen bis an die Thür. Kaum hatte Marou das Katheder betreten,
da brach ein Lärm, ein Schreien, Trampeln, Johlen und Pfeifen los,


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[0338] Bilder aus dem Universitätsleben kann. Das giebt Kraft und Selbstbewußtsein. Jetzt sind sie dabei, eine neue Bank zu gründen, die alle andern tot machen soll. Wenn sich nur nicht so viele Blutsauger an Louis hängen wollten! Alles drängt sich an ihn heran, und es scheint fast, als ob sein fabelhaftes Glück den ganzen Osten nach Berlin zöge. Es giebt jetzt dort kann eine Familie, die nicht einen An¬ gehörigen als Eisbrecher hierher nach Berlin schickte. Gelingts ihm, ein gutes Fahrwasser herzustellen, so folgt bald die ganze Sippe truppweise nach; und das hängt dann wie die Kletten zusammen. Ach, die lieben Verwandten! Mich wollten sie gestern überrede», die Juristerei an den Nagel zu hängen und Germanistik zu studiren. Ein Professor, der hier viel in Vvrsenkreisen verkehrt, hätte ihnen gesagt, in dem Fache würde ich jetzt sehr schnell vor¬ wärtskommen, mindestens sehr bald Universitätsprofessor werden, und dann wäre mir eine halbe Million Mitgift sicher. Darnach wird hier also der Wert der Wissenschaft geschätzt, es ist doch eine erbärmliche Gesellschaft! Wenns möglich wäre, würden sie mich sogar auffordern, Offizier zu werden, weil ich dann leicht eine ganze Million erwischen könnte. Es wird ja mit meiner ganzen Juristerei nichts, das sehe ich immer klarer. Auch hab ich keine Lust, Anwalt zu werden und mich zeitlebens mit dein Abschaum der Menschheit herumzuschlagen oder Amtsrichter zu werden und daun als Jude die wenig beneidenswerte Rolle in der Gesellschaft zu spielen, wie etwa der gute Cohn- heim in unsrer Vaterstadt. Ich komme von meinen philosophischen Studien nicht mehr los, jetzt stecke ich tief in den Engländern. Aber Louis zetert darüber, es seien alles brodlose Künste, und die ganze Philosophie sei „Schafs¬ mist." Was soll ans mir werden? Diese Abhängigkeit von meinem Bruder und der liebenswürdigen Schwägerin ertrage ich nicht länger. Ich muß ein¬ Dein S. mal dem Professor Marou mein Herz ausschütten. 4 Oh, ich möchte vor Wild und Scham vergehen, es ist unglaublich, ganz unfaßbar! Die antisemitischen Studenten haben soeben den Professor Marou aus dem Hörsaal hinaus getrampelt. Ich bin wie gelähmt. Die paar an¬ ständigen Menschen konnten absolut nichts ausrichten. Ich selbst habe getobt und nach Ruhe geschrien, aber der Skandal wurde dadurch nur noch ärger. Ich wurde durch Schimpfworte schwer beleidigt und von den Antisemiten thätlich angegriffen. Es ist infam! Die ganze Demonstration war planmäßig vorbereitet worden. Gestern ging in den Hörsülen ein Zettel von Bank zu Bank mit der harmlosen Auf¬ forderung, recht zahlreich an der nächsten Vorlesung Marons teilzunehmen. Die Radaubrüder füllten denn auch alle Plätze und standen kampfbereit in den Gängen bis an die Thür. Kaum hatte Marou das Katheder betreten, da brach ein Lärm, ein Schreien, Trampeln, Johlen und Pfeifen los,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/338>, abgerufen am 27.04.2024.