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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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Bilder aus dem Universitätsleben

beiß man glauben konnte, man sei unter lauter Tobsüchtige geraten. Marou
verließ sofort den Hörsaal, er zitterte vor Erregung. Ach, ich Hütte vor Wut
weinen mögen! Nach einer Weile kam der Dekan der philosophischen Fakultät
und teilte mit, daß Professor Marou seine Vorlesungen einstellen würde. Da
erhob sich ein wahrer Sturm des Beifalls, als handelte es sich um die Ret¬
tung des Vaterlandes. Ein paar Unverschämte riefen: Magnifizenz soll kommen
und uus das mitteilen! Es kam aber der Oberpedell, und der drohte, er
würde das Gas abdrehen, wenn man den Hörsaal nicht sofort räumte. Das
wirkte wie ein Sturzbad, alles griff nach Hut und Überzieher und stürzte
hinaus. Ich habe dabei für meinen neuen Hut einen ganz alten, schäbigen
eingetauscht.

Fritz, du machst dir keinen Begriff, wie mich diese Szene erregt und er¬
schüttert hat. Welche neue, unverdiente Demütigung! Stehen wir Juden vor
solcher Brutalität nicht machtlos da? Und das Gift frißt in einer Weise um
sich, daß sich unsereins wie rechtlos, wie geächtet, wie gebrandmarkt vor¬
kommt. Was haben wir denn verbrochen, daß sich alle Welt und gerade die
Menschen, deren Achtung wir so gern erringen möchten, achselzuckend von uns
abwenden? Unser Schulfreund Koch, der Korpsbursche geworden ist, bat mich
neulich, ihn nicht mehr auf seiner Bude zu besuchen, seine Couleurbrüder
hätten sich darüber aufgehalten. Was soll ich machen? Soll ich ihn auf
Pistolen fordern? Aber muß ich nicht fürchten, daß sie mir sagen, eine Jude
sei uicht satisfaktivnsfähig? Rate mir!


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Unter ist große Gesellschaft, Louis giebt ein Tauseudthalersouper! Die
Schwägerin ist so liebenswürdig gewesen, mir für diesen Abend ihren Platz
im Schauspielhaus" abzutreten. Es ist richtig, ich kann in der geistreichelnden,
frivol witzelnden Gesellschaft nicht genug reprüsentiren; auch fürchtet sie wohl
meine Vorwürfe, denn ich nehme mir jetzt kein Blatt mehr vor den Mund.
Die Koryphäen der Wissenschaft, der Kunst und Litteratur sind unten ver¬
sammelt. Es ist zum Lachen! Louis, der sich mit Mühe und Not das Ein-
jährig-Freiwilligenzengnis ersessen hat, ist hier in Berlin eine Säule des litte¬
rarischen und künstlerischen Lebens geworden! Sollte man nicht eine Pulver-
verschwöruug anzetteln und die ganze Gesellschaft in die Luft sprengen? Die
Stimmung dazu hätte ich. Ich hoffe, daß meine Schwägerin nicht gewußt
hat, als sie mir das Billet heraufschickte, daß heute der Kaufmann von Ve¬
nedig gegeben wird; sonst wäre es eine ganz gemeine Handlungsweise. Es ist
mir stets ein Rätsel geblieben, wie Shakespeare solch ein unglaubliches, wider¬
wärtiges Machwerk hat schreiben können; dieser Shylock ist doch die Aus¬
geburt eines Wahnsinnigen oder die Phantasiegebilde eines betrnnknen Wilden.
Wie Recht hat doch Voltaire gehabt -- ja die Franzosen! ich studire jetzt


Bilder aus dem Universitätsleben

beiß man glauben konnte, man sei unter lauter Tobsüchtige geraten. Marou
verließ sofort den Hörsaal, er zitterte vor Erregung. Ach, ich Hütte vor Wut
weinen mögen! Nach einer Weile kam der Dekan der philosophischen Fakultät
und teilte mit, daß Professor Marou seine Vorlesungen einstellen würde. Da
erhob sich ein wahrer Sturm des Beifalls, als handelte es sich um die Ret¬
tung des Vaterlandes. Ein paar Unverschämte riefen: Magnifizenz soll kommen
und uus das mitteilen! Es kam aber der Oberpedell, und der drohte, er
würde das Gas abdrehen, wenn man den Hörsaal nicht sofort räumte. Das
wirkte wie ein Sturzbad, alles griff nach Hut und Überzieher und stürzte
hinaus. Ich habe dabei für meinen neuen Hut einen ganz alten, schäbigen
eingetauscht.

Fritz, du machst dir keinen Begriff, wie mich diese Szene erregt und er¬
schüttert hat. Welche neue, unverdiente Demütigung! Stehen wir Juden vor
solcher Brutalität nicht machtlos da? Und das Gift frißt in einer Weise um
sich, daß sich unsereins wie rechtlos, wie geächtet, wie gebrandmarkt vor¬
kommt. Was haben wir denn verbrochen, daß sich alle Welt und gerade die
Menschen, deren Achtung wir so gern erringen möchten, achselzuckend von uns
abwenden? Unser Schulfreund Koch, der Korpsbursche geworden ist, bat mich
neulich, ihn nicht mehr auf seiner Bude zu besuchen, seine Couleurbrüder
hätten sich darüber aufgehalten. Was soll ich machen? Soll ich ihn auf
Pistolen fordern? Aber muß ich nicht fürchten, daß sie mir sagen, eine Jude
sei uicht satisfaktivnsfähig? Rate mir!


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Unter ist große Gesellschaft, Louis giebt ein Tauseudthalersouper! Die
Schwägerin ist so liebenswürdig gewesen, mir für diesen Abend ihren Platz
im Schauspielhaus« abzutreten. Es ist richtig, ich kann in der geistreichelnden,
frivol witzelnden Gesellschaft nicht genug reprüsentiren; auch fürchtet sie wohl
meine Vorwürfe, denn ich nehme mir jetzt kein Blatt mehr vor den Mund.
Die Koryphäen der Wissenschaft, der Kunst und Litteratur sind unten ver¬
sammelt. Es ist zum Lachen! Louis, der sich mit Mühe und Not das Ein-
jährig-Freiwilligenzengnis ersessen hat, ist hier in Berlin eine Säule des litte¬
rarischen und künstlerischen Lebens geworden! Sollte man nicht eine Pulver-
verschwöruug anzetteln und die ganze Gesellschaft in die Luft sprengen? Die
Stimmung dazu hätte ich. Ich hoffe, daß meine Schwägerin nicht gewußt
hat, als sie mir das Billet heraufschickte, daß heute der Kaufmann von Ve¬
nedig gegeben wird; sonst wäre es eine ganz gemeine Handlungsweise. Es ist
mir stets ein Rätsel geblieben, wie Shakespeare solch ein unglaubliches, wider¬
wärtiges Machwerk hat schreiben können; dieser Shylock ist doch die Aus¬
geburt eines Wahnsinnigen oder die Phantasiegebilde eines betrnnknen Wilden.
Wie Recht hat doch Voltaire gehabt — ja die Franzosen! ich studire jetzt


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[0339] Bilder aus dem Universitätsleben beiß man glauben konnte, man sei unter lauter Tobsüchtige geraten. Marou verließ sofort den Hörsaal, er zitterte vor Erregung. Ach, ich Hütte vor Wut weinen mögen! Nach einer Weile kam der Dekan der philosophischen Fakultät und teilte mit, daß Professor Marou seine Vorlesungen einstellen würde. Da erhob sich ein wahrer Sturm des Beifalls, als handelte es sich um die Ret¬ tung des Vaterlandes. Ein paar Unverschämte riefen: Magnifizenz soll kommen und uus das mitteilen! Es kam aber der Oberpedell, und der drohte, er würde das Gas abdrehen, wenn man den Hörsaal nicht sofort räumte. Das wirkte wie ein Sturzbad, alles griff nach Hut und Überzieher und stürzte hinaus. Ich habe dabei für meinen neuen Hut einen ganz alten, schäbigen eingetauscht. Fritz, du machst dir keinen Begriff, wie mich diese Szene erregt und er¬ schüttert hat. Welche neue, unverdiente Demütigung! Stehen wir Juden vor solcher Brutalität nicht machtlos da? Und das Gift frißt in einer Weise um sich, daß sich unsereins wie rechtlos, wie geächtet, wie gebrandmarkt vor¬ kommt. Was haben wir denn verbrochen, daß sich alle Welt und gerade die Menschen, deren Achtung wir so gern erringen möchten, achselzuckend von uns abwenden? Unser Schulfreund Koch, der Korpsbursche geworden ist, bat mich neulich, ihn nicht mehr auf seiner Bude zu besuchen, seine Couleurbrüder hätten sich darüber aufgehalten. Was soll ich machen? Soll ich ihn auf Pistolen fordern? Aber muß ich nicht fürchten, daß sie mir sagen, eine Jude sei uicht satisfaktivnsfähig? Rate mir! 5 Unter ist große Gesellschaft, Louis giebt ein Tauseudthalersouper! Die Schwägerin ist so liebenswürdig gewesen, mir für diesen Abend ihren Platz im Schauspielhaus« abzutreten. Es ist richtig, ich kann in der geistreichelnden, frivol witzelnden Gesellschaft nicht genug reprüsentiren; auch fürchtet sie wohl meine Vorwürfe, denn ich nehme mir jetzt kein Blatt mehr vor den Mund. Die Koryphäen der Wissenschaft, der Kunst und Litteratur sind unten ver¬ sammelt. Es ist zum Lachen! Louis, der sich mit Mühe und Not das Ein- jährig-Freiwilligenzengnis ersessen hat, ist hier in Berlin eine Säule des litte¬ rarischen und künstlerischen Lebens geworden! Sollte man nicht eine Pulver- verschwöruug anzetteln und die ganze Gesellschaft in die Luft sprengen? Die Stimmung dazu hätte ich. Ich hoffe, daß meine Schwägerin nicht gewußt hat, als sie mir das Billet heraufschickte, daß heute der Kaufmann von Ve¬ nedig gegeben wird; sonst wäre es eine ganz gemeine Handlungsweise. Es ist mir stets ein Rätsel geblieben, wie Shakespeare solch ein unglaubliches, wider¬ wärtiges Machwerk hat schreiben können; dieser Shylock ist doch die Aus¬ geburt eines Wahnsinnigen oder die Phantasiegebilde eines betrnnknen Wilden. Wie Recht hat doch Voltaire gehabt — ja die Franzosen! ich studire jetzt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/339>, abgerufen am 27.04.2024.