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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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Bilder aus dein Universitätsleben

6

Liebster Freund! Dein Brief hat mich in große Aufregung versetzt. Du
schreibst, du verstündest mich nicht mehr. Bald wendete ich mich mit Feuer
und Schwert gegen die Antisemiten, bald sei ich voll Gift und Galle gegen
meine Glaubensgenossen. Ach, das ist ja eben der furchtbare Zwiespalt, der
mir alle Freude am Leben und an der Arbeit raubt. Und doch ists bei mir
auch viel Überreizung, persönliche Verstimmung, was mich zu so bittern Worten
gegen die Familie meines Bruders und seinen Gesellschaftskreis fortgerissen
hat. Ich habe ihnen ja so viel zu verdanken, und ich teile dir meine Kämpfe
auch nur mit, weil ich keine Menschenseele habe, gegen die ich mich über meine
schmerzlichen Beobachtungen aussprechen konnte. Sie sind ja nicht alle so
wie meine Schwägerin; wir haben viele jüdische Mädchen, die an Tugenden
kaum übertroffen werden können, aber diese schnell reich gewordnen, oberfläch¬
lichen, genußsüchtigen und herzlosen Wesen sind mir in der Seele verhaßt.
Das Geld, das Geld -- ich sehe es immer klarer, das Geld ist unser größter
Feind, es macht uns zu Bestien! Alle Tugenden werden durchs Geld in
Laster verwandelt, und daß trotzdem heutzutage alles für Geld zu haben ist,
Macht, Ehre, Ruhm, Unsterblichkeit, das treibt meine überall zurückgesetzten
Glaubensgenossen mit unwiderstehlicher Gewalt dazu, Geld und immer wieder
Geld zusammenzuraffen, mit nervöser Gier aufzuspeichern und ihre Schätze
wie Drachen zu hüten. Ein paar Millionen besitzen heißt heutzutage Führer
und Herrscher des Volkes sein. Ist es da den Juden zu verdenken, daß sie
sich des allmächtigen Zaubermittels auf jeden Fall, es koste, was es wolle,
zu bemächtige" suchen?

Du schreibst, ich sei voll Haß und Verachtung gegen meine materia¬
listischen, glaubenslosen und abtrünnigen Stammesgenossen, aber ich identi-
fizirte mich sofort mit ihnen und kämpfte für sie wie ein Verzweifelter, sobald
ganz berechtigte Angriffe gegen sie gerichtet würden. Lieber Freund, kann ich
denn aus meiner Haut heraus, kann ich mir andres Blut in die Adern pumpen,
mir ein andres Knochengerüst anschaffen?

Die Antisemiten greifen den edeln Juden ebenso an wie den charakter¬
losen, den fleißigen ebenso wie den faulen, den armen ebenso wie den reichen,
die bloße Abstammung ist ihnen Verbrechen genug. Müssen wir da nicht wie
eine Phalanx geschlossen vorgehen, um diese kläffenden Hunde niederzu¬
treten ?

Es ist unter meinen Stammesgenossen vieles widerwärtig, ungesund, faul.
Aber es soll anders werden. O, Hütten wir bei uns die Disziplin der katho¬
lischen Kirche, hätte unsre Religionsgemeinschaft ein einziges Oberhaupt, mit
der Gewalt eines Papstes ausgestattet, glaube mir, wir Juden wären nicht
mehr die Geduldeten, die Augefeiudeteu, die Verfolgte". Wer weiß, was uns
die Zukunft bringen wird. Du sprichst von einer Wiedergeburt des Juden-


Bilder aus dein Universitätsleben

6

Liebster Freund! Dein Brief hat mich in große Aufregung versetzt. Du
schreibst, du verstündest mich nicht mehr. Bald wendete ich mich mit Feuer
und Schwert gegen die Antisemiten, bald sei ich voll Gift und Galle gegen
meine Glaubensgenossen. Ach, das ist ja eben der furchtbare Zwiespalt, der
mir alle Freude am Leben und an der Arbeit raubt. Und doch ists bei mir
auch viel Überreizung, persönliche Verstimmung, was mich zu so bittern Worten
gegen die Familie meines Bruders und seinen Gesellschaftskreis fortgerissen
hat. Ich habe ihnen ja so viel zu verdanken, und ich teile dir meine Kämpfe
auch nur mit, weil ich keine Menschenseele habe, gegen die ich mich über meine
schmerzlichen Beobachtungen aussprechen konnte. Sie sind ja nicht alle so
wie meine Schwägerin; wir haben viele jüdische Mädchen, die an Tugenden
kaum übertroffen werden können, aber diese schnell reich gewordnen, oberfläch¬
lichen, genußsüchtigen und herzlosen Wesen sind mir in der Seele verhaßt.
Das Geld, das Geld — ich sehe es immer klarer, das Geld ist unser größter
Feind, es macht uns zu Bestien! Alle Tugenden werden durchs Geld in
Laster verwandelt, und daß trotzdem heutzutage alles für Geld zu haben ist,
Macht, Ehre, Ruhm, Unsterblichkeit, das treibt meine überall zurückgesetzten
Glaubensgenossen mit unwiderstehlicher Gewalt dazu, Geld und immer wieder
Geld zusammenzuraffen, mit nervöser Gier aufzuspeichern und ihre Schätze
wie Drachen zu hüten. Ein paar Millionen besitzen heißt heutzutage Führer
und Herrscher des Volkes sein. Ist es da den Juden zu verdenken, daß sie
sich des allmächtigen Zaubermittels auf jeden Fall, es koste, was es wolle,
zu bemächtige» suchen?

Du schreibst, ich sei voll Haß und Verachtung gegen meine materia¬
listischen, glaubenslosen und abtrünnigen Stammesgenossen, aber ich identi-
fizirte mich sofort mit ihnen und kämpfte für sie wie ein Verzweifelter, sobald
ganz berechtigte Angriffe gegen sie gerichtet würden. Lieber Freund, kann ich
denn aus meiner Haut heraus, kann ich mir andres Blut in die Adern pumpen,
mir ein andres Knochengerüst anschaffen?

Die Antisemiten greifen den edeln Juden ebenso an wie den charakter¬
losen, den fleißigen ebenso wie den faulen, den armen ebenso wie den reichen,
die bloße Abstammung ist ihnen Verbrechen genug. Müssen wir da nicht wie
eine Phalanx geschlossen vorgehen, um diese kläffenden Hunde niederzu¬
treten ?

Es ist unter meinen Stammesgenossen vieles widerwärtig, ungesund, faul.
Aber es soll anders werden. O, Hütten wir bei uns die Disziplin der katho¬
lischen Kirche, hätte unsre Religionsgemeinschaft ein einziges Oberhaupt, mit
der Gewalt eines Papstes ausgestattet, glaube mir, wir Juden wären nicht
mehr die Geduldeten, die Augefeiudeteu, die Verfolgte». Wer weiß, was uns
die Zukunft bringen wird. Du sprichst von einer Wiedergeburt des Juden-


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[0341] Bilder aus dein Universitätsleben 6 Liebster Freund! Dein Brief hat mich in große Aufregung versetzt. Du schreibst, du verstündest mich nicht mehr. Bald wendete ich mich mit Feuer und Schwert gegen die Antisemiten, bald sei ich voll Gift und Galle gegen meine Glaubensgenossen. Ach, das ist ja eben der furchtbare Zwiespalt, der mir alle Freude am Leben und an der Arbeit raubt. Und doch ists bei mir auch viel Überreizung, persönliche Verstimmung, was mich zu so bittern Worten gegen die Familie meines Bruders und seinen Gesellschaftskreis fortgerissen hat. Ich habe ihnen ja so viel zu verdanken, und ich teile dir meine Kämpfe auch nur mit, weil ich keine Menschenseele habe, gegen die ich mich über meine schmerzlichen Beobachtungen aussprechen konnte. Sie sind ja nicht alle so wie meine Schwägerin; wir haben viele jüdische Mädchen, die an Tugenden kaum übertroffen werden können, aber diese schnell reich gewordnen, oberfläch¬ lichen, genußsüchtigen und herzlosen Wesen sind mir in der Seele verhaßt. Das Geld, das Geld — ich sehe es immer klarer, das Geld ist unser größter Feind, es macht uns zu Bestien! Alle Tugenden werden durchs Geld in Laster verwandelt, und daß trotzdem heutzutage alles für Geld zu haben ist, Macht, Ehre, Ruhm, Unsterblichkeit, das treibt meine überall zurückgesetzten Glaubensgenossen mit unwiderstehlicher Gewalt dazu, Geld und immer wieder Geld zusammenzuraffen, mit nervöser Gier aufzuspeichern und ihre Schätze wie Drachen zu hüten. Ein paar Millionen besitzen heißt heutzutage Führer und Herrscher des Volkes sein. Ist es da den Juden zu verdenken, daß sie sich des allmächtigen Zaubermittels auf jeden Fall, es koste, was es wolle, zu bemächtige» suchen? Du schreibst, ich sei voll Haß und Verachtung gegen meine materia¬ listischen, glaubenslosen und abtrünnigen Stammesgenossen, aber ich identi- fizirte mich sofort mit ihnen und kämpfte für sie wie ein Verzweifelter, sobald ganz berechtigte Angriffe gegen sie gerichtet würden. Lieber Freund, kann ich denn aus meiner Haut heraus, kann ich mir andres Blut in die Adern pumpen, mir ein andres Knochengerüst anschaffen? Die Antisemiten greifen den edeln Juden ebenso an wie den charakter¬ losen, den fleißigen ebenso wie den faulen, den armen ebenso wie den reichen, die bloße Abstammung ist ihnen Verbrechen genug. Müssen wir da nicht wie eine Phalanx geschlossen vorgehen, um diese kläffenden Hunde niederzu¬ treten ? Es ist unter meinen Stammesgenossen vieles widerwärtig, ungesund, faul. Aber es soll anders werden. O, Hütten wir bei uns die Disziplin der katho¬ lischen Kirche, hätte unsre Religionsgemeinschaft ein einziges Oberhaupt, mit der Gewalt eines Papstes ausgestattet, glaube mir, wir Juden wären nicht mehr die Geduldeten, die Augefeiudeteu, die Verfolgte». Wer weiß, was uns die Zukunft bringen wird. Du sprichst von einer Wiedergeburt des Juden-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/341>, abgerufen am 27.04.2024.