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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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Die Fehler der nationalliberalen Partei

rendige Betrachtungen sind es nicht, die man augenblicklich über
das Verhalten der nationalliberalen Partei anstellen muß; viel¬
mehr beschleichen den Vaterlandsfrennd Gefühle des Bedauerns,
wenn er sieht, wie eine Partei, der das Verdienst, erfolgreich
an der Errichtung des deutschen Reichs mitgearbeitet zu haben,
unverkürzt bleiben muß, langsam aber sicher dem Untergange oder doch der
Bedeutungslosigkeit entgegengeht, es müßte denn sein, daß sie noch in letzter
Stunde ans dem verderblichen Pfade umkehrte. Merkwürdigerweise zerbricht
man sich im uationalliberalen Lager ganz unnütz den Kops darüber, wie die
Konservativen ihr neues Programm gestalten werden; man begegnet in der
nationalliberalen Presse öfter ganz unbegründeten absprechende" Äußerungen
über die Lage der konservativen Partei, während sie doch daran denken sollte,
daß es im eignen Hause noch viel schlechter bestellt ist.

Der erste Fehler der nationalliberalen Partei von heute ist ihr Maugel
an Aufrichtigkeit, um nicht zu sagen die Heuchelei, die namentlich in einer
Angelegenheit getrieben wird. Wenn die Konservativen beabsichtigen, in ihrem
neuen Programm Christen- und Deutschtum schärfer zu betonen und das Ein¬
dringen des Judentums in die maßgebenden Stellen abzuwehren, dann ge¬
berden sich die Natioualliberalen, als ob das ein schrecklicher Rückfall ins
finsterste Mittelalter wäre, und ihre Presse trieft vor Entrüstung; und doch
denkt man im uationalliberalen Lager genau so, man empfindet es dort genau
so, daß die steigende Macht des Judentums ein Krebsschaden für das deutsche
Volk ist, und man äußert sich in diesem Sinne, wenn man -- unter sich ist. Nach
außen hiu aber (mit alleiniger löblicher Ausnahme der sächsischen National-
liberalen) verdammt man die antisemitische Bewegung, erklärt sie für eine


Grenzbvte" IV 1892 44


Die Fehler der nationalliberalen Partei

rendige Betrachtungen sind es nicht, die man augenblicklich über
das Verhalten der nationalliberalen Partei anstellen muß; viel¬
mehr beschleichen den Vaterlandsfrennd Gefühle des Bedauerns,
wenn er sieht, wie eine Partei, der das Verdienst, erfolgreich
an der Errichtung des deutschen Reichs mitgearbeitet zu haben,
unverkürzt bleiben muß, langsam aber sicher dem Untergange oder doch der
Bedeutungslosigkeit entgegengeht, es müßte denn sein, daß sie noch in letzter
Stunde ans dem verderblichen Pfade umkehrte. Merkwürdigerweise zerbricht
man sich im uationalliberalen Lager ganz unnütz den Kops darüber, wie die
Konservativen ihr neues Programm gestalten werden; man begegnet in der
nationalliberalen Presse öfter ganz unbegründeten absprechende» Äußerungen
über die Lage der konservativen Partei, während sie doch daran denken sollte,
daß es im eignen Hause noch viel schlechter bestellt ist.

Der erste Fehler der nationalliberalen Partei von heute ist ihr Maugel
an Aufrichtigkeit, um nicht zu sagen die Heuchelei, die namentlich in einer
Angelegenheit getrieben wird. Wenn die Konservativen beabsichtigen, in ihrem
neuen Programm Christen- und Deutschtum schärfer zu betonen und das Ein¬
dringen des Judentums in die maßgebenden Stellen abzuwehren, dann ge¬
berden sich die Natioualliberalen, als ob das ein schrecklicher Rückfall ins
finsterste Mittelalter wäre, und ihre Presse trieft vor Entrüstung; und doch
denkt man im uationalliberalen Lager genau so, man empfindet es dort genau
so, daß die steigende Macht des Judentums ein Krebsschaden für das deutsche
Volk ist, und man äußert sich in diesem Sinne, wenn man — unter sich ist. Nach
außen hiu aber (mit alleiniger löblicher Ausnahme der sächsischen National-
liberalen) verdammt man die antisemitische Bewegung, erklärt sie für eine


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[0353] [Abbildung] Die Fehler der nationalliberalen Partei rendige Betrachtungen sind es nicht, die man augenblicklich über das Verhalten der nationalliberalen Partei anstellen muß; viel¬ mehr beschleichen den Vaterlandsfrennd Gefühle des Bedauerns, wenn er sieht, wie eine Partei, der das Verdienst, erfolgreich an der Errichtung des deutschen Reichs mitgearbeitet zu haben, unverkürzt bleiben muß, langsam aber sicher dem Untergange oder doch der Bedeutungslosigkeit entgegengeht, es müßte denn sein, daß sie noch in letzter Stunde ans dem verderblichen Pfade umkehrte. Merkwürdigerweise zerbricht man sich im uationalliberalen Lager ganz unnütz den Kops darüber, wie die Konservativen ihr neues Programm gestalten werden; man begegnet in der nationalliberalen Presse öfter ganz unbegründeten absprechende» Äußerungen über die Lage der konservativen Partei, während sie doch daran denken sollte, daß es im eignen Hause noch viel schlechter bestellt ist. Der erste Fehler der nationalliberalen Partei von heute ist ihr Maugel an Aufrichtigkeit, um nicht zu sagen die Heuchelei, die namentlich in einer Angelegenheit getrieben wird. Wenn die Konservativen beabsichtigen, in ihrem neuen Programm Christen- und Deutschtum schärfer zu betonen und das Ein¬ dringen des Judentums in die maßgebenden Stellen abzuwehren, dann ge¬ berden sich die Natioualliberalen, als ob das ein schrecklicher Rückfall ins finsterste Mittelalter wäre, und ihre Presse trieft vor Entrüstung; und doch denkt man im uationalliberalen Lager genau so, man empfindet es dort genau so, daß die steigende Macht des Judentums ein Krebsschaden für das deutsche Volk ist, und man äußert sich in diesem Sinne, wenn man — unter sich ist. Nach außen hiu aber (mit alleiniger löblicher Ausnahme der sächsischen National- liberalen) verdammt man die antisemitische Bewegung, erklärt sie für eine Grenzbvte» IV 1892 44

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/353>, abgerufen am 27.04.2024.