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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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Hamburg und die Lholera

sie leichten Herzeiis so große Militürforderimgen bewilligen könnten. So dürften
denn verschiedne Gründe die verschiednen Bestandteile der Partei zu demselben
für die Negierung unerfreulichen Ergebnis führen.

Um zum Schluß doch auch uoch einen Punkt hervorzuheben, worin die
nationalliberale Partei einig ist, so weisen wir auf ihr Verhalten gegen die
katholische Kirche hin; wir sagen absichtlich die katholische Kirche und nicht
den Mtramontanismus. Ihre Katholikenfeindschaft war den norddeutschen und
den süddeutschen Nationalliberalen gemein, aber die Partei macht hierbei den
Fehler, daß sie die geschichtlich gewordne katholische Kirche mit den über¬
spannten hierarchischen Anforderungen der Hetzkaplänc verwechselt und so viel¬
fach wenigstens das Kind mit dem Bade ausschüttet. Außerdem verkennt sie
vollkommen, daß das Zentrum, so weit uicht kirchcuvolitische Fragen maß
gebend sind, durchaus volkstümliche Forderungen stellt und in manchen Be¬
ziehungen der nationalliberalen Partei geradezu als Vorbild dienen könnte.
Im Zusammenhange mit diesem Verhalten gegen die katholische Kirche steht
die einseitige Bevorzugung der Prvtestantenvereinsrichtung innerhalb der evan¬
gelischen Kirche, worin sich die Nationalliberalen wiederum mit den Freisinnigen
berühren, ohne zu bedenken, daß ein wahrhaft freiheitlicher Standpunkt auf
religiösem Gebiete die orthodoxe Richtung oder das positive Christentum eben¬
sogut anerkennen müßte.




Hamburg und die (Lholera
Lin wort der Verteidigung

un die schreckliche Seuche, die länger als zwei Monate in Ham¬
burg gewütet hat, erloschen ist, und die begreifliche Besorgnis,
daß die Krankheit von Hamburg aus auch das übrige Deutsch¬
land ergreifen möchte, keinen fruchtbaren Boden mehr für die
Verbreitung der abenteuerlichsten Erfindungen sensationslüsterner
Reporter bildet, dürfte der Augenblick gekommen sein, einmal in ruhiger und
sachlicher Weise die mannichfaltigen Vorwürfe zu besprechen, die gegen Ham¬
burg, gegen seine Verfassung und Verwaltung und gegen seine leitenden Per¬
sonen erhoben worden sind. Es liegt uns dabei fern, behaupten zu wollen,
daß diese Vorwürfe in jeder Beziehung unberechtigt gewesen seien. Fehlgriffe
und Unterlassungen sind vorgekommen, und wie bei jedem großen Unglück, das
mit elementarer Gewalt hereinbricht, hat sich auch in diesem Falle wieder die
Unvollkommenheit aller menschlichen Einrichtungen und der menschlichen Natur


Hamburg und die Lholera

sie leichten Herzeiis so große Militürforderimgen bewilligen könnten. So dürften
denn verschiedne Gründe die verschiednen Bestandteile der Partei zu demselben
für die Negierung unerfreulichen Ergebnis führen.

Um zum Schluß doch auch uoch einen Punkt hervorzuheben, worin die
nationalliberale Partei einig ist, so weisen wir auf ihr Verhalten gegen die
katholische Kirche hin; wir sagen absichtlich die katholische Kirche und nicht
den Mtramontanismus. Ihre Katholikenfeindschaft war den norddeutschen und
den süddeutschen Nationalliberalen gemein, aber die Partei macht hierbei den
Fehler, daß sie die geschichtlich gewordne katholische Kirche mit den über¬
spannten hierarchischen Anforderungen der Hetzkaplänc verwechselt und so viel¬
fach wenigstens das Kind mit dem Bade ausschüttet. Außerdem verkennt sie
vollkommen, daß das Zentrum, so weit uicht kirchcuvolitische Fragen maß
gebend sind, durchaus volkstümliche Forderungen stellt und in manchen Be¬
ziehungen der nationalliberalen Partei geradezu als Vorbild dienen könnte.
Im Zusammenhange mit diesem Verhalten gegen die katholische Kirche steht
die einseitige Bevorzugung der Prvtestantenvereinsrichtung innerhalb der evan¬
gelischen Kirche, worin sich die Nationalliberalen wiederum mit den Freisinnigen
berühren, ohne zu bedenken, daß ein wahrhaft freiheitlicher Standpunkt auf
religiösem Gebiete die orthodoxe Richtung oder das positive Christentum eben¬
sogut anerkennen müßte.




Hamburg und die (Lholera
Lin wort der Verteidigung

un die schreckliche Seuche, die länger als zwei Monate in Ham¬
burg gewütet hat, erloschen ist, und die begreifliche Besorgnis,
daß die Krankheit von Hamburg aus auch das übrige Deutsch¬
land ergreifen möchte, keinen fruchtbaren Boden mehr für die
Verbreitung der abenteuerlichsten Erfindungen sensationslüsterner
Reporter bildet, dürfte der Augenblick gekommen sein, einmal in ruhiger und
sachlicher Weise die mannichfaltigen Vorwürfe zu besprechen, die gegen Ham¬
burg, gegen seine Verfassung und Verwaltung und gegen seine leitenden Per¬
sonen erhoben worden sind. Es liegt uns dabei fern, behaupten zu wollen,
daß diese Vorwürfe in jeder Beziehung unberechtigt gewesen seien. Fehlgriffe
und Unterlassungen sind vorgekommen, und wie bei jedem großen Unglück, das
mit elementarer Gewalt hereinbricht, hat sich auch in diesem Falle wieder die
Unvollkommenheit aller menschlichen Einrichtungen und der menschlichen Natur


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[0357] Hamburg und die Lholera sie leichten Herzeiis so große Militürforderimgen bewilligen könnten. So dürften denn verschiedne Gründe die verschiednen Bestandteile der Partei zu demselben für die Negierung unerfreulichen Ergebnis führen. Um zum Schluß doch auch uoch einen Punkt hervorzuheben, worin die nationalliberale Partei einig ist, so weisen wir auf ihr Verhalten gegen die katholische Kirche hin; wir sagen absichtlich die katholische Kirche und nicht den Mtramontanismus. Ihre Katholikenfeindschaft war den norddeutschen und den süddeutschen Nationalliberalen gemein, aber die Partei macht hierbei den Fehler, daß sie die geschichtlich gewordne katholische Kirche mit den über¬ spannten hierarchischen Anforderungen der Hetzkaplänc verwechselt und so viel¬ fach wenigstens das Kind mit dem Bade ausschüttet. Außerdem verkennt sie vollkommen, daß das Zentrum, so weit uicht kirchcuvolitische Fragen maß gebend sind, durchaus volkstümliche Forderungen stellt und in manchen Be¬ ziehungen der nationalliberalen Partei geradezu als Vorbild dienen könnte. Im Zusammenhange mit diesem Verhalten gegen die katholische Kirche steht die einseitige Bevorzugung der Prvtestantenvereinsrichtung innerhalb der evan¬ gelischen Kirche, worin sich die Nationalliberalen wiederum mit den Freisinnigen berühren, ohne zu bedenken, daß ein wahrhaft freiheitlicher Standpunkt auf religiösem Gebiete die orthodoxe Richtung oder das positive Christentum eben¬ sogut anerkennen müßte. Hamburg und die (Lholera Lin wort der Verteidigung un die schreckliche Seuche, die länger als zwei Monate in Ham¬ burg gewütet hat, erloschen ist, und die begreifliche Besorgnis, daß die Krankheit von Hamburg aus auch das übrige Deutsch¬ land ergreifen möchte, keinen fruchtbaren Boden mehr für die Verbreitung der abenteuerlichsten Erfindungen sensationslüsterner Reporter bildet, dürfte der Augenblick gekommen sein, einmal in ruhiger und sachlicher Weise die mannichfaltigen Vorwürfe zu besprechen, die gegen Ham¬ burg, gegen seine Verfassung und Verwaltung und gegen seine leitenden Per¬ sonen erhoben worden sind. Es liegt uns dabei fern, behaupten zu wollen, daß diese Vorwürfe in jeder Beziehung unberechtigt gewesen seien. Fehlgriffe und Unterlassungen sind vorgekommen, und wie bei jedem großen Unglück, das mit elementarer Gewalt hereinbricht, hat sich auch in diesem Falle wieder die Unvollkommenheit aller menschlichen Einrichtungen und der menschlichen Natur

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/357>, abgerufen am 27.04.2024.