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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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Herbsttage in varzin

Man mag vielleicht noch darüber hinwegsehen, daß die Sammelpunkte des
Liebhabertums auf künstlerischem Gebiete leicht zu Brutstätten oberfläch¬
licher Eitelkeit und Überhebung werden, wenn man diese Erscheinung nur vom
menschlichen Standpunkte aus betrachtet. Aber sie birgt auch ernste künst¬
lerische Gefahren in sich, nnter denen der Geschmack der Massen leiden kann.
Während die wenigen Bescheidnen in der Erkenntnis der jeder bloßen Lieb¬
haberei anhaftenden und unverwischbaren Mangelhaftigkeit ihrer Leistungen zu
denen berufner Kräfte als zu anspornender Vorbildern aufschauen, wird die
große Masse der selbstzufriednem und selbstgefälligen uur zu rasch den Ma߬
stab für die Leistungsfähigkeit der Nichtliebhaber und damit auch den Ge¬
schmack an wirklich künstlerischen Darstellungen verlieren. In Orten, wo die
Liebhaberbühnen einen breiten Raum des öffentlichen Interesses in Anspruch
nehmen, wird meist nicht nur die pekuniäre Ernte der Berufsschauspieler,
sondern auch die künstlerische gering sein. Denn mit den Töchtern und Söhnen,
die nach des Hauses und des Geschäftes Arbeit auf den Brettern, die die
Welt bedeuten, ihren Benedix oder gar Schiller agiren, verlieren die Tanten,
Basen, Väter und Onkel, die bewundernd oder mit kleinlicher Mißgunst zu
ihnen emporschauen, den Geschmack, wenn sie überhaupt welchen zu verlieren
haben. Meist fehlt es auch an einer wirklich sachverständigen Persönlichkeit,
die in der Lage wäre, alle die Hinz und Kunz auf das aufmerksam zu macheu,
was ihnen nvtthut, und einigermaßen auf Stil und Würde zu halten. Im
stillen Kümmerleüi mag der Dilettantismus, wie ihn z. B. mancher kunstbe¬
geisterte Jüngling Pflegt, eine gute und dienliche Sache sein, in der Öffent¬
lichkeit wird er für den Liebhaber wie für das Publikum gefährlich und selten
für die Entwicklung des Kunstgeschmacks zum Guten förderlich.

(Schluß folgt)


Herbsttage in Varzin
von Gelo Aaemmel

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essittg stellt einmal den Satz auf, der Historiker könne nur die
Geschichte seiner eignen Zeit schreiben, eine Behauptung, gegen die
sich vielleicht ebensoviel sagen läßt wie dafür. In einem sehr wich¬
tigen Punkte aber wird jedenfalls der Geschichtschreiber, der seine
Zeit, also die von ihm mit Bewußtsein durchlebte Zeit, behandelt,
in großem Vorteil sein: es wird ihm möglich sein, die maßgebenden Persön¬
lichkeiten unmittelbar auf sich wirken zu küssen. Die Geschichte wird uun


Herbsttage in varzin

Man mag vielleicht noch darüber hinwegsehen, daß die Sammelpunkte des
Liebhabertums auf künstlerischem Gebiete leicht zu Brutstätten oberfläch¬
licher Eitelkeit und Überhebung werden, wenn man diese Erscheinung nur vom
menschlichen Standpunkte aus betrachtet. Aber sie birgt auch ernste künst¬
lerische Gefahren in sich, nnter denen der Geschmack der Massen leiden kann.
Während die wenigen Bescheidnen in der Erkenntnis der jeder bloßen Lieb¬
haberei anhaftenden und unverwischbaren Mangelhaftigkeit ihrer Leistungen zu
denen berufner Kräfte als zu anspornender Vorbildern aufschauen, wird die
große Masse der selbstzufriednem und selbstgefälligen uur zu rasch den Ma߬
stab für die Leistungsfähigkeit der Nichtliebhaber und damit auch den Ge¬
schmack an wirklich künstlerischen Darstellungen verlieren. In Orten, wo die
Liebhaberbühnen einen breiten Raum des öffentlichen Interesses in Anspruch
nehmen, wird meist nicht nur die pekuniäre Ernte der Berufsschauspieler,
sondern auch die künstlerische gering sein. Denn mit den Töchtern und Söhnen,
die nach des Hauses und des Geschäftes Arbeit auf den Brettern, die die
Welt bedeuten, ihren Benedix oder gar Schiller agiren, verlieren die Tanten,
Basen, Väter und Onkel, die bewundernd oder mit kleinlicher Mißgunst zu
ihnen emporschauen, den Geschmack, wenn sie überhaupt welchen zu verlieren
haben. Meist fehlt es auch an einer wirklich sachverständigen Persönlichkeit,
die in der Lage wäre, alle die Hinz und Kunz auf das aufmerksam zu macheu,
was ihnen nvtthut, und einigermaßen auf Stil und Würde zu halten. Im
stillen Kümmerleüi mag der Dilettantismus, wie ihn z. B. mancher kunstbe¬
geisterte Jüngling Pflegt, eine gute und dienliche Sache sein, in der Öffent¬
lichkeit wird er für den Liebhaber wie für das Publikum gefährlich und selten
für die Entwicklung des Kunstgeschmacks zum Guten förderlich.

(Schluß folgt)


Herbsttage in Varzin
von Gelo Aaemmel

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essittg stellt einmal den Satz auf, der Historiker könne nur die
Geschichte seiner eignen Zeit schreiben, eine Behauptung, gegen die
sich vielleicht ebensoviel sagen läßt wie dafür. In einem sehr wich¬
tigen Punkte aber wird jedenfalls der Geschichtschreiber, der seine
Zeit, also die von ihm mit Bewußtsein durchlebte Zeit, behandelt,
in großem Vorteil sein: es wird ihm möglich sein, die maßgebenden Persön¬
lichkeiten unmittelbar auf sich wirken zu küssen. Die Geschichte wird uun


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[0383] Herbsttage in varzin Man mag vielleicht noch darüber hinwegsehen, daß die Sammelpunkte des Liebhabertums auf künstlerischem Gebiete leicht zu Brutstätten oberfläch¬ licher Eitelkeit und Überhebung werden, wenn man diese Erscheinung nur vom menschlichen Standpunkte aus betrachtet. Aber sie birgt auch ernste künst¬ lerische Gefahren in sich, nnter denen der Geschmack der Massen leiden kann. Während die wenigen Bescheidnen in der Erkenntnis der jeder bloßen Lieb¬ haberei anhaftenden und unverwischbaren Mangelhaftigkeit ihrer Leistungen zu denen berufner Kräfte als zu anspornender Vorbildern aufschauen, wird die große Masse der selbstzufriednem und selbstgefälligen uur zu rasch den Ma߬ stab für die Leistungsfähigkeit der Nichtliebhaber und damit auch den Ge¬ schmack an wirklich künstlerischen Darstellungen verlieren. In Orten, wo die Liebhaberbühnen einen breiten Raum des öffentlichen Interesses in Anspruch nehmen, wird meist nicht nur die pekuniäre Ernte der Berufsschauspieler, sondern auch die künstlerische gering sein. Denn mit den Töchtern und Söhnen, die nach des Hauses und des Geschäftes Arbeit auf den Brettern, die die Welt bedeuten, ihren Benedix oder gar Schiller agiren, verlieren die Tanten, Basen, Väter und Onkel, die bewundernd oder mit kleinlicher Mißgunst zu ihnen emporschauen, den Geschmack, wenn sie überhaupt welchen zu verlieren haben. Meist fehlt es auch an einer wirklich sachverständigen Persönlichkeit, die in der Lage wäre, alle die Hinz und Kunz auf das aufmerksam zu macheu, was ihnen nvtthut, und einigermaßen auf Stil und Würde zu halten. Im stillen Kümmerleüi mag der Dilettantismus, wie ihn z. B. mancher kunstbe¬ geisterte Jüngling Pflegt, eine gute und dienliche Sache sein, in der Öffent¬ lichkeit wird er für den Liebhaber wie für das Publikum gefährlich und selten für die Entwicklung des Kunstgeschmacks zum Guten förderlich. (Schluß folgt) Herbsttage in Varzin von Gelo Aaemmel ?a,iriao insorvionäo c,or>Suwo>' essittg stellt einmal den Satz auf, der Historiker könne nur die Geschichte seiner eignen Zeit schreiben, eine Behauptung, gegen die sich vielleicht ebensoviel sagen läßt wie dafür. In einem sehr wich¬ tigen Punkte aber wird jedenfalls der Geschichtschreiber, der seine Zeit, also die von ihm mit Bewußtsein durchlebte Zeit, behandelt, in großem Vorteil sein: es wird ihm möglich sein, die maßgebenden Persön¬ lichkeiten unmittelbar auf sich wirken zu küssen. Die Geschichte wird uun

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/383>, abgerufen am 27.04.2024.