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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

unser gewesen. Jedenfalls ist das englische Protektorat über Sansibar viel
bedenklicher als die Abtretung der nordischen Gebiete (Wien u. s. f.)"

Doch allmählich kam die Abschiedsstimmung über uns, wir mußten scheiden.
Gegen halb sechs Uhr meldete der Diener, die Wagen, die uns nach der
Station Hammermühle zurückbringen sollten, stünden bereit. Als uus der
Fürst zum Abschiede die Hand reichte, sagte er gütig: "Ich danke den Herren
herzlich, daß sie den weiten Weg zu mir gemacht haben, und bedaure nur,
daß wir nicht Nachbarn sind." Dann begleitete er uns bis an den Wagen,
und seine hohe Gestalt stand noch barhäuptig auf der Veranda, als die Pferde
anzogen. Ein letzter Gruß, ein Hurra aus den frischen Kehlen der drei
Rantzauschen Knaben, der Wagen bog um die Ecke, und in nächtlicher Finsternis
verschwand hinter uns Schloß Varzin. So traten wir die Heimreise an, Kopf
und Herz voll unvergeßlicher Erinnerungen.

Meine anspruchslose Darstellung hat nicht sowohl Politik geben wollen,
soweit sich die überhaupt hier ausschließen läßt, als vielmehr ein Bild des
persönlichen Daseins, das sich freilich nicht geben läßt, ohne daß man selbst
recht persönlich wird. Aber das deutsche Volk hat uun einmal seinen Bismarck
fest ins Herz geschlossen und wird sich ihn nicht nehmen lassen, es hat daher
vielleicht auch jetzt noch eine Art von Anspruch darauf, zu wissen, wie der
Fürst auf seinem eignen Grund und Voden unter den Seinigen lebt. Denn
wer in ihm nur den "eisernen Kanzler" sieht, kennt ihn nnr halb, und vier
da meint, er sitze finster grollend und mit aller Welt beständig hadernd
in seiner selbstgewählten Einsamkeit, der beurteilt ihn ganz falsch. Gewiß, er
würde ruhiger leben, wenn er vergessen könnte, was er gewesen ist und was
er noch ist, und -- wenn die Welt es vergessen könnte. Das aber ist un¬
möglich. Und so hebt sich das friedliche Bild seines Landlebens allerdings
von einem sehr ernsten, ja tiestragischen Hintergrunde ab. Doch wenn man
ihn als Staatsmann bewundern muß, als Menschen muß man ihn lieben.




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Kolumbus ein Katholik?

Zu den neuern Worten Pnpst Leos des Drei¬
zehnter, die zwar auf den kürzlich hie und da gehnltnen Katholikenversnmmlnna.er
ein kräftiges Echo des Beifalls weckten, aber gar sehr genauerer geschichtlicher Be¬
leuchtung bedürfen, gehört auch das bekannte, das den Wiederentdecker Amerikas
für den Katholizismus in Auspruch nimmt. Richtig ist ja, daß Kolumbus gut
katholisch war und sich an katholische Fürsten um Unterstützung seines Planes ge¬
wandt hat, wiewohl ihn gerade die am besten katholisch gesinnte Jsabella am längsten


Maßgebliches und Unmaßgebliches

unser gewesen. Jedenfalls ist das englische Protektorat über Sansibar viel
bedenklicher als die Abtretung der nordischen Gebiete (Wien u. s. f.)"

Doch allmählich kam die Abschiedsstimmung über uns, wir mußten scheiden.
Gegen halb sechs Uhr meldete der Diener, die Wagen, die uns nach der
Station Hammermühle zurückbringen sollten, stünden bereit. Als uus der
Fürst zum Abschiede die Hand reichte, sagte er gütig: „Ich danke den Herren
herzlich, daß sie den weiten Weg zu mir gemacht haben, und bedaure nur,
daß wir nicht Nachbarn sind." Dann begleitete er uns bis an den Wagen,
und seine hohe Gestalt stand noch barhäuptig auf der Veranda, als die Pferde
anzogen. Ein letzter Gruß, ein Hurra aus den frischen Kehlen der drei
Rantzauschen Knaben, der Wagen bog um die Ecke, und in nächtlicher Finsternis
verschwand hinter uns Schloß Varzin. So traten wir die Heimreise an, Kopf
und Herz voll unvergeßlicher Erinnerungen.

Meine anspruchslose Darstellung hat nicht sowohl Politik geben wollen,
soweit sich die überhaupt hier ausschließen läßt, als vielmehr ein Bild des
persönlichen Daseins, das sich freilich nicht geben läßt, ohne daß man selbst
recht persönlich wird. Aber das deutsche Volk hat uun einmal seinen Bismarck
fest ins Herz geschlossen und wird sich ihn nicht nehmen lassen, es hat daher
vielleicht auch jetzt noch eine Art von Anspruch darauf, zu wissen, wie der
Fürst auf seinem eignen Grund und Voden unter den Seinigen lebt. Denn
wer in ihm nur den „eisernen Kanzler" sieht, kennt ihn nnr halb, und vier
da meint, er sitze finster grollend und mit aller Welt beständig hadernd
in seiner selbstgewählten Einsamkeit, der beurteilt ihn ganz falsch. Gewiß, er
würde ruhiger leben, wenn er vergessen könnte, was er gewesen ist und was
er noch ist, und — wenn die Welt es vergessen könnte. Das aber ist un¬
möglich. Und so hebt sich das friedliche Bild seines Landlebens allerdings
von einem sehr ernsten, ja tiestragischen Hintergrunde ab. Doch wenn man
ihn als Staatsmann bewundern muß, als Menschen muß man ihn lieben.




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Kolumbus ein Katholik?

Zu den neuern Worten Pnpst Leos des Drei¬
zehnter, die zwar auf den kürzlich hie und da gehnltnen Katholikenversnmmlnna.er
ein kräftiges Echo des Beifalls weckten, aber gar sehr genauerer geschichtlicher Be¬
leuchtung bedürfen, gehört auch das bekannte, das den Wiederentdecker Amerikas
für den Katholizismus in Auspruch nimmt. Richtig ist ja, daß Kolumbus gut
katholisch war und sich an katholische Fürsten um Unterstützung seines Planes ge¬
wandt hat, wiewohl ihn gerade die am besten katholisch gesinnte Jsabella am längsten


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[0395] Maßgebliches und Unmaßgebliches unser gewesen. Jedenfalls ist das englische Protektorat über Sansibar viel bedenklicher als die Abtretung der nordischen Gebiete (Wien u. s. f.)" Doch allmählich kam die Abschiedsstimmung über uns, wir mußten scheiden. Gegen halb sechs Uhr meldete der Diener, die Wagen, die uns nach der Station Hammermühle zurückbringen sollten, stünden bereit. Als uus der Fürst zum Abschiede die Hand reichte, sagte er gütig: „Ich danke den Herren herzlich, daß sie den weiten Weg zu mir gemacht haben, und bedaure nur, daß wir nicht Nachbarn sind." Dann begleitete er uns bis an den Wagen, und seine hohe Gestalt stand noch barhäuptig auf der Veranda, als die Pferde anzogen. Ein letzter Gruß, ein Hurra aus den frischen Kehlen der drei Rantzauschen Knaben, der Wagen bog um die Ecke, und in nächtlicher Finsternis verschwand hinter uns Schloß Varzin. So traten wir die Heimreise an, Kopf und Herz voll unvergeßlicher Erinnerungen. Meine anspruchslose Darstellung hat nicht sowohl Politik geben wollen, soweit sich die überhaupt hier ausschließen läßt, als vielmehr ein Bild des persönlichen Daseins, das sich freilich nicht geben läßt, ohne daß man selbst recht persönlich wird. Aber das deutsche Volk hat uun einmal seinen Bismarck fest ins Herz geschlossen und wird sich ihn nicht nehmen lassen, es hat daher vielleicht auch jetzt noch eine Art von Anspruch darauf, zu wissen, wie der Fürst auf seinem eignen Grund und Voden unter den Seinigen lebt. Denn wer in ihm nur den „eisernen Kanzler" sieht, kennt ihn nnr halb, und vier da meint, er sitze finster grollend und mit aller Welt beständig hadernd in seiner selbstgewählten Einsamkeit, der beurteilt ihn ganz falsch. Gewiß, er würde ruhiger leben, wenn er vergessen könnte, was er gewesen ist und was er noch ist, und — wenn die Welt es vergessen könnte. Das aber ist un¬ möglich. Und so hebt sich das friedliche Bild seines Landlebens allerdings von einem sehr ernsten, ja tiestragischen Hintergrunde ab. Doch wenn man ihn als Staatsmann bewundern muß, als Menschen muß man ihn lieben. Maßgebliches und Unmaßgebliches Kolumbus ein Katholik? Zu den neuern Worten Pnpst Leos des Drei¬ zehnter, die zwar auf den kürzlich hie und da gehnltnen Katholikenversnmmlnna.er ein kräftiges Echo des Beifalls weckten, aber gar sehr genauerer geschichtlicher Be¬ leuchtung bedürfen, gehört auch das bekannte, das den Wiederentdecker Amerikas für den Katholizismus in Auspruch nimmt. Richtig ist ja, daß Kolumbus gut katholisch war und sich an katholische Fürsten um Unterstützung seines Planes ge¬ wandt hat, wiewohl ihn gerade die am besten katholisch gesinnte Jsabella am längsten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/395>, abgerufen am 27.04.2024.